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Ausgabe:

1932 Nr. 26

Spalte:

594-596

Autor/Hrsg.:

Faber, Hermann

Titel/Untertitel:

Religiöser Glaube und politische Parteibildung 1932

Rezensent:

Delekat, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 26.

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Aufstellungen der Gegenwartstheologie hat leiten lassen.
Fezer der ihm als Gewährsmann dient und als solcher
nächst Hirsch und Holl dankbar anerkannt wird, spricht
gerade von Calvin nicht! Die Gefahr ist, auch bei
Calvin zu sehr „Gott" und „Gottes Wort" zu ver-
einerleien.

Heidelberg. Andreas Duhm.

Schilling, Dr. Jakob: Die Auffassungen Kants und des hl.
Thomas von Aquin von der Religion. Würzburg: C. J. Becker
1932. (XII, 241 S.) gr. 8°. = Abhandlngn. z. Philos. u. Psychol.
d. Religion. Hrsg. v. G. Wunderle. H. 27/28. RM 6—.

Gegenüber der weitverbreiteten Tendenz des modernen
Katholizismus, Kant für allen modernen Unglauben
verantwortlich zu machen, sticht die von Dyroff
angeregte und in seinem Geiste durchgeführte vorliegende
Bonner Dissertation vorteilhaft ab. Der Verf. bemüht
sich ernsthaft um ein Verständnis des wahren
Sinnes und der tiefsten Motive der kantischen Philosophie
. Die Arbeit entwickelt in parallelen Untersuchungen
die Begründungen des Daseins Gottes und
die Auffassung vom Wesen der Religion erst bei Kant
(S. i—61) und dann bei Thomas von Aquino (S.
62—132), um im 3. Teile (S. 133—217) die beiden
Auffassungen in jedem der beiden Punkte kritisch miteinander
zu vergleichen. Der Verf. ist dabei ernsthaft
um eine vorurteilslose philosophische Auseinandersetzung
mit Kant bemüht. Wenn dabei Thomas als der umfassendere
über Kant gestellt wird, so gibt der Verf.
doch andererseits zu, daß Kant durch seinen Ausgang
vom Bewußtsein erst der Religionsphilosophie den
rechten Weg gewiesen habe (S. 134). Und Thomas sei
vielmehr wegen seiner Problemstellungen maßgeblich
als durch sein — zeitgebundenes — System (S. 65).

Der Verf. unterstreicht im Anschluß an Heimsoeth,
Schmalenbach u. a. den religiösen Charakter des kantischen
Philosophierens. Er scheint ihn mir freilich noch
zu eng zu fassen, wenn er ihn nur im Moralischen und
Erkenntnistheoretischen finden will. Auch sonst habe
ich gegen manche Einzelheiten dieser Kantinterpretation
noch Bedenken. Sch. hat sich durch seine Gliederung,
die eben nur für Thomas richtig ist, den Zugang zu Kant
erschwert. Denn der geht von der religiösen, auf Gott
gerichteten Haltung als einer Funktion der praktischen
Vernunft aus, in der die Realität Gottes unmittelbar
mitgesetzt ist, ohne noch eines Beweises zu bedürfen,
um dann in den drei Kritiken Umfang, Inhalt und Geltung
der religiösen Vorstellungen zu bestimmen
(vgl. dagegen S. 140—150). In der Sch.sehen Analyse
des heiligen Thomas bekommen, vor allem im Anschluß
an Przywara, das vorwissenschaftliche Erkennen
neben dem metaphysischen und der Begriff des Deus
tamquam ignotus neben der rationalen Gottesmeta,-
physik ein stärkeres Gewicht, als sie es beim geschichtlichen
Thomas haben. Diese Überbetonung der augusti-
nisch-neuplatonischen Elemente erlaubt, in Thomas die
moderne Problematik wiederzufinden, sie ermöglicht
nun nicht nur eine weitgehende Parallelisierung der beiden
Denker, sondern auch eine fruchtbare Synthese, wobei
freilich Kant die niedere, mit Irrtum gemengte Wahrheit
darstellt gegenüber der reinen und höheren Wahrheit
des heiligen Thomas.

Die weitgehende Gemeinsamkeit beider Denker, die
sich am deutlichsten darin zeigt, daß bei Beiden der Gedanke
des finis Sittlichkeit und Religion verbindet,
scheint mir in dem gemeinsamen augustinischen wie
antik-humanistischen Erbe begründet zu sein; Momente,
die dann deutlicher heraustreten, wenn man wie der Verf.
auf die Geltendmachung des eigentlich Theologischen
bei Thomas verzichtet. Kant und Thomas gehören deshalb
in noch höherem Maße als es dem Verf. bewußt
ist, zusammen gegenüber den nominalistischen Tendenzen
des Luthertums. Denn beide sind sich darin einig, daß
die sittliche Forderung ihren Geltungsgrund in ihrer
Vernünftigkeit habe, nicht schon in ihrem Gebotensein

unabhängig von ihrer Einsichtigkeit. In Sch.s Ausführungen
S. 175 f. wird der Umstand verdeckt, daß die
biblisch-theonome Auffassung des Sittlichen bei Thomas,
die seine Überlegenheit über Kant begründen soll, nur
sehr lose mit seiner aristotelischen „autonomen" zusammenhängt
.

Sch.s Untersuchung hat durch ihre Belesenheit und
Sorgfalt und durch die Ehrfurcht ihres Interpretierens
über die Grenzen der katholischen Theologie hinaus
ihren Wert für die Erkenntnis der religiösen Bedeutung
Kants. Sie zeigt nicht nur seine Grenzen, sondern auch
deutlicher als die gleichgerichteten nichttheologischen
Untersuchungen den Ernst und die Wichtigkeit seiner
religiösen Fragestellungen.

Von störenden Druckfehlern ist mir aufgefallen S. 99 Z. 3 v. o. ist
nach homo einzufügen: naturaliter, in quantum desiderat; S. 124 Z. 2
v. u. 1. et aer.

Münster/W. Otto Piper.

Wünsch, Georg: Die Staatsauffassungen von Martin Luther,
Richard Rothe und Karl Marx in ihrem systematischen
Zusammenhang.

Faber, Hermann: Religiöser Glaube und politische Parteibildung
. Gotha: L. Klotz 1931. (IV, 46 S.) gr. 8°. = Marburger
Theol. Stud., hrsg. v. H. Frick. Rudolf Otto-Festgruß. 4. H.
Zur politischen Ethik. RM 2 — .

W. schildert nacheinander die Staatsauffassungen
von Luther, R. Rothe und Karl Marx. Er glaubt feststellen
zu können, daß „alle drei den Staat als Gewalt-
und Herrschaftsorganisation kennen und gleichzeitig ablehnen
. Er ist ein notwendiges Übel, ein fremder Bestandteil
der Gesellschaft, der zur Voraussetzung einen
tiefgreifenden Unsinn hat". Aber bei Luther werde dieser
„Unsinn" näher definiert als „Sünde", bei Rothe als
„Anormalität" des gegenwärtigen Gesellschaftszustan-
des", bei Marx als das Produkt der verkehrten kapitalistischen
Gesellschaftsordnung. Alle drei kennten eine
Überwindung des Staates, die von Luther allerdings im
Transcendenten gesucht werde, während Rothe erwarte,
daß der Staat am Ende seiner Entwicklung nicht bloß die
Kirche, sondern auch sich selbst als Zwangsinstitut überflüssig
machen werde (wie übrigens Fichte auch). Marx
und Engels lehren die gewaltlose Überwindung und das
Überflüssigwerden des Staates beim Aufkommen der
neuen sozialistischen Wirtschaftsordnung. („Der Staat
wird nicht abgeschafft, er stirbt ab", Engels). Folgerungen
für unsere heutige Situation zieht W. nicht. Ich
verzichte deshalb auf Kritik.

F. kritisiert unter dem oben angegebenen Titel die
Versuche zur Gründung einer besonderen evangelischen
Partei. Er glaubt, innerhalb des Katholizismus eine Tendenz
feststellen zu können, die „die grundsätzliche Unmöglichkeit
einer besonderen katholischen Parteipolitik
zu erkennen beginnt" und auf eine überparteiliche Betätigung
der Kirche hindrängt. (Mir ist das nicht so
sicher. Wer das eine tut, braucht ja das andere nicht zu
lassen.) Gleichzeitig versuche man auf evangelischer
Seite die Gründung einer evangelischen Partei. Als
solche faßt F. besonders den christlich-sozialen Volksdienst
ins Auge und kritisiert ihn mit folgenden Argumenten
. Selbstverständlich sei, daß der evangelische
Christ sich politisch betätigen müsse, aber fraglich, „ob
es eine evangelische Politik als solche gebe". Letzteres
wird bestritten. Denn erstens sei es nicht möglich, über
konkrete Einzelfragen der Politik (Einheitsstaat oder
Bundesstaat, Erfüllungspolitik oder Protestpolitik, Polizeifragen
und Steuerfragen) vom Evangelium aus Richtlinien
zu erhalten, da dieses weder ein Gesetz noch ein
Parteiprogramm sei. Eine politische Partei aber brauche
ein Programm. Denn sonst müsse sie sich in der Kritik
anderer Parteien die größte Vorsicht auferlegen, könne
ihre Anhänger nicht richtig schulen und sei in Gefahr,
der Phrase anheimzufallen. Es sei auch „die Frage, ob
Christen den erkannten Willen Gottes im politischen
Leben wirksam ausführen können, wenn sie keine konkreten
Ziele in Form von Programmen haben". Zwei-