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Ausgabe:

1932 Nr. 26

Spalte:

591-593

Autor/Hrsg.:

Mülhaupt, Erwin

Titel/Untertitel:

Die Predigt Calvins, ihre Geschichte, ihre Form und ihre religiösen Grundgedanken 1932

Rezensent:

Duhm, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 26.

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Kloster S. Maroo VI, 9. 15. Jahrh.) den Vorzug verdienen
vor den Hdschr., die auf eine, von Rhenanus in
seiner 1. Ausgabe (Basel 1521) benützte, Hirsauer
Stammhandschr. zurückgehen (cod. Flor. Magliabech. aus
S. Marco VI, 10, 15. Jahrh.; cod. Leid. Lat. 2, 15.
Jahrh.; cod. Vindob 4194, 15. Jahrh.). Diese Erkenntnis
wird durch die neue Hdschr. von Troyes bestätigt,
wie Borl. (S. 5 ff.) an zahlreichen Beispielen zeigt.
Den überragenden Wert der neuen Hdschr. aber beweisen
die Lesarten, die sie allein bietet und die sehr
häufig erstmals den ursprünglichen Wortlaut erkennen
lassen. Auch dafür bringt Borl. (S. 1 ff.) eine stattliche
Anzahl von Belegen. Das berechtigt dazu, diese, dem
12. Jahrh. angehörende und ursprünglich im Kloster
Clairvaux aufbewahrte Hdschr. zur Grundlage zu nehmen
, wo sie aber versagt, hauptsächlich der aus der
Stammhdschr. von Cluny geflossenen Florentinerhdschr.
zu folgen. Es finden sich nämlich auch in T zahlreiche,
namentlich durch „Haplographie" oder „Dittographie"
entstandene Fehler, sowie mißglückte „Verbesserungen".
Und der letzte Teil der Schrift, von c. 8, 8 bis 12, 9,
also ungefähr ein Drittel, ist mit Ausnahme des Schlußsatzes
ausgefallen und muß schon in der Vorlage gefehlt
haben. Nach diesen seinen Ausführungen behandelt
Borl. nicht weniger als 30 Stellen von c. 1 bis 8, 3, an
denen er mit Hilfe des cod. T und unter sorgfältiger
Beobachtung des tertullianischen Sprachgebrauchs und
Gedankengutes die ursprüngliche Lesart herstellt, und
ich glaube, daß man seinen Darlegungen wird zustimmen
müssen. So gewinnt er (S. 40f.) in c. 3, 14 den Text:
voluntatis cum vis tanta sit, ut nos solatio sui saturans
pro facto cedat, pro facto ergo plectetur. In c. 6, 15
schreibt er: Si ergo qui venditant prius nummum quo
paciscuntur examinant, ne scalptus ne versus ne adulter,
non etiam dominum credimus paenitentiae probationem
prius iuire, tantain nobis mercedem, perennis scilicet
vitae concessurum, und er rechtfertigt (S. 49 ff.) diesen
Text namentlich auch das ne versus, in glänzenden Erklärungen
und Nachweisen. Diese beiden Beispiele werden
hier genügen, um die besten Hoffnungen auf die in
Aussicht gestellte Neuausgabe der tertullianischen Bußschrift
zu wecken.
München. Hugo Koch.

Mülhaupt, Lic. Erwin: Die Predigt Calvins, ihre Geschichte,
ihre Form und ihre religiösen Grundgedanken. Berlin: W. de Gruyter
& Co. 1931. (XX, 173 S.) 8°. = Arbeiten z. Kirchengesch., hrsg.
v. E. Hirsch u. H. Lietzmann, 18. RM 12—; geb. 13—.

Der Plan dieser Schrift erforderte ein gründliches
Sichhineinarbeiten in mehr als ein Fach der Theologie.
Das Ergebnis befriedigt denn auch weitgehend die Ansprüche
, die sowohl der Historiker und Systematiker
wie der Praktiker anmelden.

Noch mehr der Historiker als der Homiletiker wird
sich über den guten Gedanken freuen, die wissenschaftliche
Theologie eines der Größten oder einer der kirchengeschichtlich
bedeutungsvollsten Zeiten auch aus
der Predigt der betr. Zeit ergänzend oder auch berichtigend
zu erkunden. Eine Aufgabe, die wir uns öfter
stellen sollten und zu der dieses Buch Mut macht.
Denn die Predigt kann auch insofern eine gesunde Sichtung
und Klärung einer in der Geschichte erscheinenden
Theologie bringen, als sie die Probe auf die Verwendbarkeit
für das untheologische Volk, die Gemeinde, für
die doch alle Theologie bestimmt sein muß, leistet. Zwischen
den beiden Strömungen, in denen sich eine Theologie
fortsetzt: der oberirdischen, literarischen und einer
unterirdischen in Gestalt unliterarischer Frömmigkeit,
schlägt die Predigt die Brücke. Verf. versucht, an Irland
der erhaltenen Predigten Calvins einerseits für die Auseinandersetzung
über einige Fragen seiner Theologie
Klarheit zu gewinnen, andererseits zu erkennen, welche
Elemente dieser Theologie den Weg ins fromme Bewußtsein
der Gemeinde suchen. Wie weit das gelungen
ist, kann besser der Systematiker entscheiden. Das Urteil
hätte ihm allerdings leichter gemacht werden können,
wenn am Schlüsse deutlicher auf die Einleitung zurückgegriffen
worden wäre; es ist nicht ganz leicht zu sehen,
wie und wo die aufgeworfenen Fragen im Verlaufe der
! Ausführung beantwortet wiederkehren. Aber der Leser
j empfindet mit Freude, wie diese und jene Aufstellung
i Calvins hier in den Predigten in wärmere Gemütstöne
; gekleidet erscheint. So wenn (S. 138) klar wird: „Wo
! Gott dem Menschen als Person Liebe erweist und
der Mensch ihn daraufhin anrufen kann, da wird sich
Gottes Liebe dann schon auch auf die Werke des
Menschen erstrecken, indem Gott sie nun nicht mehr
nach der Strenge des Gesetzes richtet, sondern den Versuch
für die Tat nimmt und so die Sündenvergebung
stetig währen läßt", ein Satz, der einen Punkt zeigt, an
dem die Reformationstheologie dem vorpaulinischen Jesus
verhältnismäßig am nächsten kommt. Oder in dem,
was im Folgenden gesagt ist von dem neuen Leben, das
Gott durch Christus im Menschen weckt, alles belegt
durch zahlreiche Zitate, die den Text des Buches begleiten
. Trotzdem fühlt man im Allgemeinen — vielleicht
gegen den Willen des Darstellers! —, wieviel
Künstliches und Schwerverständliches auch der Gemeindepredigt
der Reformation innewohnte.

Nicht ganz so stark interessiert zeigt sich der Verf.
an dem, was der Praktiker vornehmlich von dieser
Untersuchung erwartet. Was er sagt über Calvins Predigt
-Gelegenheiten, über Form und Ausdrucksmittel seiner
Predigt und das Verhalten der Genfer Gemeinde zu
ihr, das dient alles mittelbar dem historisch-systematischen
Hauptzweck des Buches. So kann der Praktiker
bedauern, daß nicht mehr zu erfahren ist über die mehr
politische als dogmatische Predigt Calvins und seiner
Freunde (etwa von 1538) oder über die antikatholische
Polemik. Sehr fein wird die Bildersprache in einem besonderen
Abschnitt in Beziehung zum Dogmatischen
gesetzt. Man möchte aber noch deutlicher ein Gesamtbild
der Predigtweise Calvins empfangen, womöglich
so, daß der Dozent der Homiletik es unmittelbar verwerten
könnte! Der Leser muß und kann sich an Hand
des gebotenen Materials selbst dieses Bild zu gewinnen
suchen; aber der eingearbeitete Verfasser konnte ihm
dabei noch mehr helfen. Z. B. ein Vergleich mit der
Art Luthers, auf dem Grunde der Verschiedenheit nicht
der Theologie, sondern der Persönlichkeit, wie die Predigt
des Genfers noch mehr in der Katheder-Sprechweise
bleibt als die des Wittenbergers, wie hier das Gemüt
und das Temperament nicht so unwiderstehlich wie dort
hervortreten, sondern aus den Zitatstücken mit etwas
williger Mühe herausgefühlt werden müssen. Gerade an
den Bildern, wo man am ehesten warmes Leben zu
treffen hofft, enthüllt sich am greifbarsten der tatsächliche
Mangel daran, die verstandesmäßig analysierende
Kühle der Rhetorik Calvins, wenn z. B. die Bilder von
der Sonne, weit entfernt von Luthers gemütvoller Weltfreude
(s. etwa die Osterpredigt vom 13. April 1533),
wie eine Verbindung von dogmatischer und physikali-
: scher Vorlesung anmuten. Begrüßenswert ist die Über-
i windung der herkömmlichen Anschauung von der Ho-
i milie durch den Blick auf den innerlich einheitlichen
! Aufbau einer Predigt Calvins. Nur daß hierin nicht ein
j besonderer Vorzug dieses Predigers gefunden werden
sollte; die hier gerühmte Einheitsschau auch in der text-
! analytischen Predigt ist bei den besten Homilien aller
! Zeiten gewahrt. Bei Calvin besonders erscheint so die
i Predigt weniger als Bibelerklärung denn als theolc-
i gisch-systematische Belehrung. Wichtig ist auch das
■ über die Berücksichtigung des Kirchenjahres Festgestellte
(S. 18). In der aufgeworfenen Frage nach den
Predigten über Evangelienharmonien liegt ein Ansatz
zu weiterer Forschung. — Das Wertvollste für den
Praktiker findet sich etwa auf S. 30—38. Eine Frage,
auf die hier nicht ausführlich eingegangen werden kann,
ist die, ob Verf. bei der Erörterung der homiletischen
Theorie sich nicht zu sehr von bestimmten tendenziösen