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Ausgabe:

1932 Nr. 24

Spalte:

563-565

Autor/Hrsg.:

Jelke, Robert

Titel/Untertitel:

Vernunft und Offenbarung 1932

Rezensent:

Bonhoeffer, Dietrich

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563 Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 24. 564

1923 werden die ersten Bücher der Kulturphilosophie Luther einsetzt und wiederum der materiale Gebrauch

fertig, an denen er die Jahre über, besonders bei seinen der Vernunft den Offenbarungsbegriff verdirbt. Das

Aufenthalten in der Heimat, gearbeitet hat. Als Schluß- i wird bis in die Theologie der Gegenwart durchgeführt

ergebnis bringt S. die zusammenfassenden Sätze: „Nicht i und die gesamte sog. dialektische Theologie wird mit

durch ein Erkennen, sondern durch ein Erleben der dem Vorwurf behaftet, sie „arbeite mit dem materialen

Welt kommen wir in ein Verhältnis zu ihr. Alles Denken, Denken" (95). „Hier ist die Gottes- und Offenbarungs-

das in die Tiefe geht, endet in ethischer Mystik. Der erkenntnis nichts anderes als reine Vernunfterkenntnis.

Rationalismus setzt sich in das Irrationale fort. Die ethi- Hier steht nicht Gott im Zentrum, sondern der Mensch'

sehe Mystik der Ehrfurcht vor dem Leben ist zu Ende (45). Die Theologie stehe ja hier auf dem Grunde

gedachter Rationalismus". einer Existenzphilosophie, daher versuche man auch,

Des Verfassers Weg geht 1917 über zwei Inter- j „die Vernunfttranszendenz der Offenbarung vernunft-

niertenlager, in denen er Gelegenheit zur ärztlichen mäßig zu erweisen" (65), womit man sowohl der Offen-

Tätigkeit und zum Predigen hat, nach Straßburg zurück, i barung wie der Vernunft zu nahe trete. Die Paradoxie,

wo er Assistenzarzt am Bürgerspital und zugleich wieder
Vikar an St. Nikolai wird, Tätigkeiten, die er auch nach
dem Waffenstillstand ausübt. Nebenher eine große Vortragstätigkeit
und Orgelkonzerte, die dem Werk in Lam-
barene dienen, im Inland und1 Ausland. Vor der Wieder-

daß Gottes „Offenbarung ganz Gottes Werk und doch
zugleich menschliches Erkennen" (99) sei, werde also
von den Dialektikern nicht gelöst oder begriffen. Hier
herrsche die Vernunft über die Offenbarung und zwar
darum weil man nicht zwischen der formalen und der

ausreise nach Afrika werden noch die in Birmingham ge- materialen Vernunft zu unterscheiden vermöge. Dieser

haltenen Vorträge über „Das Christentum und die Welt- Unterscheidung aber bedürfe man unbedingt, „wenn das

religionen" fertig. Ebenso entsteht in der Heimat das i Problem Vernunft und Offenbarung eine einwandfreie

prächtige Buch „Zwischen Wasser und Urwald", das, ! Lösung erhalten soll" (96).

weit verbreitet, nachhaltigsten Eindruck gemacht hat und Es ist zwar etwas anderes, ob man das Problem
besonders geeignet ist, um Gebildeten zu einem Ver- | Vernunft und Offenbarung versteht als das Problem von
ständnis von dem Recht und der Art der Mission zu Philosophie und Theologie, oder als das von Theologie
helfen, es erscheint zunächst schwedisch, dann deutsch j und Glauben, oder als das von Erkennen und Glauben,
und englisch und ist später noch in mehrere andere i und diese Fragen wären an sich streng zu scheiden; da
Sprachen übersetzt worden. Zum zweiten und dritten j aber eine solche oder ähnliche Unterscheidung hier nicht
Mal geht es nach Lambarene, S. kann sich der großen i vorliegt, muß angenommen werden, daß sich die vorAusdehnung
seines Werkes, das immer neue Anforde- | geschlagene Lösung auf alle drei Fragen beziehen soll-

rungen stellt, freuen; das Spital ist auf Hunderte von
Kilometern bekannt, zur Operation kommen Leute, die
z. T. wochenlang unterwegs sind.

In der Heimat vollendet Verf. dann noch sein großes
Werk „Die Mystik des Apostel Paulus", den er auch

Dies ist im Auge zu behalten.

Der zweite systematische Teil der Arbeit soll der
Durchführung der These gelten. In einer Erörterung
über das Wesen der Vernunft wird als das Apriori des
Geistes, als seine „wertvollste Fähigkeit" (76) die Fähigganz
eschatologisch bestimmt versteht. Hier kommt er j keit der Vergegenständlichung der einzelnen Bewußt-
zu dem Schlußurteil: P. hat nicht an die Stelle des ein- j seinsinhalte bezeichnet. Nur in diesem Akt gebe es
fachen Evangeliums Jesu ein kompliziertes Dogma ge- j Selbstbewußtsein. Diese Verstandesfunktion der Vernunft
setzt trotz des Rabbinischen, das er gelegentlich an sich | im Sinne der ratio stecke in aller Erkenntnis (78)
hat. Nicht dem Buchstaben, aber dem Geist nach setzt j schlechthin; also auch in der religiösen. Ein religiöses
er das einfache Evangelium fort. Indem er den eschato- I Apriori müsse an das theoretische anknüpfen, aber es
logischen Glauben an Jesum und das Reich Gottes zur I führe freilich selbständig über diese hinaus, indem es als
Mystik der Gemeinschaft mit Jesus ausdenkt, gibt er j Stoff nicht mehr das ungeformt Gegebene, sondern das
ihm eine Fassung, in der er fähig wird, das Hinfällig- j durch das theoretische Apriori bereits Geformte habe,
werden der eschatologischen Erwartung zu überdauern Die „religiöse Vernunftbetätigung" (87) bilde nun zu den
und in jeder Weltanschauung als ethische Christus- I raum-zeitlichen Bestimmungen des Seins gerade die je-
mystik Gestalt zu gewinnen. Dadurch daß er den j weils entgegengesetzte Bestimmung — also: Begrenzt-
eschatologischen Christusglauben bis in seine letzten ■ heit-Unbegrenztheit, Endlichkeit-Unendlichkeit, Gebunden-
Konsequenzen ausdenkt, dringt er zu Gedanken über j heit-Losgelöstsein (87). Es sei nun verkehrt zu meinen,
unser Verhältnis zu Jesus vor, die ihrer geistigen und das religiöse Apriori sei das Aktive und1 der Stoff das
ethischen Bedeutung nach endgültig und überzeitlich ! Passive (90). Vielmehr funktioniert das religiöse Apri-
sind, wenn sie auch in der Metaphysik der Eschato- [ ori nur durch einen Anstoß durch den Stoff. Es sei
logie entstanden. allein als die „formale Möglichkeit der religiösen Ideen-

Das Buch schließt mit einem Epilog, der zunächst bildung" (93) zu fassen. Insofern sei es ganz passiv
ein hohes Lied auf das Denken ist, das in unserer Zeit und ganz formal. „Die Offenbarung geschieht nicht
mißachtet werde. Nicht das unelementare Denken, nicht durch die Vernunft, aber im Bereich der Vernunft" (94),
die Mystik helfen. In dem Denken der „Ehrfurcht vor aber eben der formalen Vernunft, die sich nicht um ein
dem Leben" findet eine Erneuerung des elementaren System bemüht (95), sondern die im Aufnehmen und
Denkens statt, das durchaus sachlich geworden ist und Formen des sich bietenden Stoffes besteht. — Was hier
sich in Ethik umsetzt, die in elementarer Weise fromm j vom Vernunftbegriff her gewonnen ist, wird dann ent-
ist. Der Epilog wie das ganze Buch läßt uns in das J sprechend auch vom Offenbarungsbegriff abgeleitet (103
Herz eines demütigen, dankbaren, opferbereiten, beiden- i bis 141) mit dem Ergebnis, daß der Offenbarungsbegriff
mütigen Jüngers Jesu sehen. »die Fähigkeit der menschlichen Seele, mit Hilfe des

Pouch bei Bitterfeld. Wilhelm User.er. 1 Endlichen das Unendliche sich vorzustellen und zu

J e 1 k e, Prtf. D. Dr. Robert: Vernunft und Offenbarung. Gütersloh: ; fassen" (134), fordere. Die Frage der Gewißheit um
C. Bertelsmann 1932. (141 s.) s°. = Beitr. z. Förderung christl. ■ die Wirklichkeit des in der religiösen Erkenntnis GeTheologie
. Hrsg. v. A. Schlatter u. w. Lütgert. 36 Bd.. 2. H. RM 4—. I gebenen meint Jelke noch besonders stellen zu müssen
„Das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung ist und beantwortet sie mit dem Hinweis auf die unmittel-
material ein exklusives" (103). Das ist die These dieser j bare Glaubenserfahrung. Hier wie auch schon früher
Arbeit. Der Verf. beruft sich für sie auf Luther und j zeigt sich der realistische Ansatz von Jelkes religiöser
zeigt in einem historischen Teil, wie vor Luther der Erkenntnistheorie.

materiale Gebrauch der Vernunft für das Offenbarungs- j Ohne hier in die Erörterung über die Möglicherkennen
als durchaus zulässig galt, wie dann Luther das keit der Rede von einem „ungeformten Stoff" usw. einursprüngliche
Verständnis der Offenbarung in ihrem ex- treten zu können, muß gleich die zentrale Frage gestellt
klusiv materialem Verhältnis zur Vernunft wieder ent- werden, ob die Unterscheidung von formaler und matedeckte
und wie schon mit Melanchthon der Abfall von rialer Vernunft, auf die das Ganze ausgeht, philosophisch