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Ausgabe:

1932 Nr. 2

Spalte:

547-550

Autor/Hrsg.:

Eberhard, Otto

Titel/Untertitel:

Arbeitsschule, Religionsunterricht und Gemeinschaftserziehung. 3. Aufl 1932

Rezensent:

Schuster, Hermann

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547 Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 23.

Zur Religionspädagogik Otto Eberhards.

Eberhard, SchulratD.Otto: Arbeitsschule, Religionsunterricht
und Gemeinschaftserziehung. Ein Beitrag zur Tat- und Lebenserziehung
. 3. Aufl. Berlin: Union Deutsche Verlagsgesellschaft [1924].
(III, 213 S.) gr. 8°. = Zur Fortbildung des Lehrers u. der Lehrerin,
H. 51. RM 4—; geb. 5—.

Ders.: Von der Arbeitsschule zur Lebensschule. Ebd. [1925].
(XII, 208 S.) gr. 8°. RM 5.20 ; geb. 6.20.

Ders.: Arbeitsschulmäßiger Religionsunterricht. Gesammelte
Stundenbilder aus pädagogischer Werkstatt. 3. u. 4. Aufl. Stuttgart:
J. F. Steinkopf 1925. (XX, 308 S.) 8°. RM 7—.

Ders.: Lebendiger Religionsunterricht. N. F. des Arbeitsschul-
mäfiigen Rel.-Unterr. In gesammelten Stundenbildern hrsg. 1.—2.
Aufl. Ebd. 1925. (XXIII, 415 S.) 8°. geb. RM 8-.

Ders.: Der Katechismus als pädagogisches Problem im Lichte
des Arbeitsschulgedankens. Ein Beitr. z. Theorie u. Praxis d.
Christi. Lebenskunde. Osterwieck a H.: A. W. Zickfeldt 1923. (VII,
100 S.) 8°. = Zur Theorie u. Praxis d. Arbeitsschule, 8. H. RM 1.40.

Ders.: Schule, Religion und Leben. Religionspädagogische Studien.
Stuttgart: J. F. Steinkopf 1926. (IV, 250 S.) 8°. RM 6.50.

Ders.: Evangelische Lebenskunde auf wertpädagogischer Grundlage.
Ebd. 1928. (VII, 286 S.) 8°. RM 6- ; geb. 8-.

Ders.: Das Buch der Eltern. Ein Führer durch die Erziehungsfragen
d. Gegenwart u. d. Entwicklungsnöte der Jugend. Ebd. 1931. (327 S.)
8°. RM 5.50 ; geb. 6.80.

Es scheint mir, für einen Bericht in dieser Zeitung
wesentlich zu sein, daß die Leser ein möglichst deutliches
Bild von Eberhards religionspädagogischem Denken und
Wollen erhalten, nicht aber von dem besonderen Inhalt
der zahlreichen einzelnen, oben aufgeführten Schriften.
Eine solche sorgfältige Unterscheidung würde in eine
Fachzeitschrift gehören. Ich halte mich in erster Linie
an eins der frühsten Bücher E.s: „Arbeitsschule, Religionsunterricht
und Gemeinschaftserziehung" und ziehe
die andern, so weit nötig, zur Ergänzung heran.

Eberhard zitiert gelegentlich die Äußerung eines Religionslehrers
der alten Schule, die Einführung des Arbeitsprinzips
in den Religionsunterricht bedeute das Ende
des R. U. Er ist genau der entgegengesetzten Meinung
und leitet sein Urteil aus dem Tatcharakter (Mt. 7 Ende)
des Christentums ab. Dieser Tatcharakter ist von F r ö -
bei richtig erkannt: „Religion ohne Werktätigkeit, ohne
Arbeit läuft Gefahr, leere Träumerei, nichtige Schwärmerei
, gehaltloses Phantasieren zu werden, so wie Arbeit,
Werktätigkeit ohne Religion den Menschen zum Lasttier
, zur Maschine macht". Er erinnert auch an das berühmte
Wort Gustav Werners: „Was nicht zur Tat
wird, hat keinen Wert". Er läßt auch aus der Geschichte
der religiösen Erziehung die wichtigsten Zeugen für
einen arbeitsmäßigen R. U. zu Worte kommen, Pestalozzi
, Falk und Wichern.

Was allgemein für den guten Unterricht gilt, daß
der Lehrer nicht sagen soll, was der Schüler selbständig
finden kann, gilt auch für den R. U. Es würde dem Schüler
sonst die spornende Freude eigener Entdeckung genommen
werden. Der Grundsatz des „schaffenden
Lernens" gilt auch für den R. U. Alle psychologischen
Möglichkeiten sind auszuschöpfen; neben die
Pädagogik des Wortes tritt die der Anschauung und die
der Tat. Der Lehrplan der Volksschulen des Kantons
Zürich hat dies letzte Prinzip schon früh erkannt.
Er bestimmt im Jahre 1905: „Das Hauptgewicht ist
auf die Bildung des Gemüts und des Charakters durch
Wirkung edler Gesinnungen und Anregungen zum sittlichen
Handeln zu legen; dabei ist ein besonderes Augenmerk
darauf zu richten, daß die Schüler die im
Unterricht geweckten Gesinnungen in und
außer der Schule praktisch betätigen".

Da E. von Kerschensteiner das Gesetz der „seelischen
Totalität" übernimmt und richtig feststellt, daß
G a u d i g s Grundsatz der „freien, geistigen Tätigkeit"
(als Sinn des Arbeitsunterrichts) sich wesentlich in Anregung
der intellektuellen Tätigkeit des Schülers
auswirkt, also nur eine Seite der Seele erfaßt, und
zwar nicht die für den R. U. entscheidende, so erweitert
er den Gedanken des Arbeitsunterrichts, um
auch Gefühl und Wille in Bewegung zu setzen. Das

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intellektuelle Streben der „freien, geistigen Tätigkeit, soll
nicht entbunden werden ohne gleichzeitige Anregung
eines gefühlsbewegten inneren Erlebens, „und diese Off'
nung des Seelenkelches wiederum nicht ohne die Tatfreiheit
und Willensbereitschaft der Selbsterziehung auf
den Lebensfeldern der Gemeinschaft". Dem R. U. stellt
er also drei Leitbilder vor: 1. „Die am Stoff selbsttätig
werdende Arbeitsgemeinschaft", 2. „die zu den verborgenen
Quellen des Lebens herniedersteigende Seelengemeinschaft
", 3. „die zu sozialethischem Handeln einsgewordene
Tatgemeinschaft". Der Arbeits-, der Erlebnis
- und der Tatgedanke bilden also gewissermaßen
eine religionspädagogische Dreieinigkeit (Arbeitsschulmäßiger
R. U. S. 10).

Sinn der Arbeitsschule ist die Entbindung g £1'
stiger Kraft. Als Mittel für diesen Zweck werden
nacheinander beschrieben: das Spiel oder die szenische
Darstellung, die Beschränkung des Stoffes im Typenunterricht
, quellenmäßige Erarbeitung, das Erlebnisprinzip
, die freie Aussprache, das textentwickelnde Verfahren
und die Anwendung (im praktischen Tun). Besonders
wertvoll sind die Ausführungen über den Typ«11"
Unterricht. E. protestiert gegen den Götzen der
Vollständigkeit. Es ist wertlos, die Schüler um der Vollständigkeit
willen mit einer Fülle oberflächlich beschriebener
Tatsachen zu überschütten. Wirklich bildend ist
nur die mit gesammelter Hingabe geleistete Herausarbeitung
typischer Beispiele (wie einer Klosteranlage
oder einer bestimmten Kirche), wodurch der Schüler
befähigt wird, die am Typus gewonnenen Einsichten
selbständig auf andere analoge Fälle anzuwenden. Auf
den Erlebnisunterricht komme ich zum Schluß zu sprechen
. Hier nur noch über die freie Aussprache
ein Wort. E. fragt mit großem Ernst: „Ob nicht darum
mancher schulmäßige R. U. so fruchtlos war und nach
der Schulzeit kräftig abgeschüttelt wurde oder gar zielstrebig
in die Reihen der Gegner des Christentums
führte, weil keinerlei Lebensbewegung, keinerlei Freiheit,
keinerlei Ansatz zur Bildung einer Persönlichkeit mit der
Darreichung und Behandlung des Stoffes verbunden war-
Das war alles ,fertig* und gültig und verpflichtend im
Sinne einer Wahrheit, die es nur seinem intellektuellen
Verständnis und dem Gedächtnis einzuverleiben gelte.
Du mußt das auswendig lernen, du mußt das wissen,
so hieß es hölzern und unbarmherzig, autoritativ bevormundend
auch da, wo des Kindes unreflektiertes Denken
und Empfinden sich nicht gleich in die Zusammenhänge
finden konnte." Er erinnert an einen von "Adolf Matthias
berichteten Fall, wo ein Primaner bei der Geschichte
vom Jüngling zu Nain erklärt, er könne das
nicht glauben: der Lehrer läuft in seiner Hilflosigkeit in
der Klasse auf und ab, ruft einmal nach dem andern:
das müssen wir glauben und erblickt hinterher in der
Offenheit des Schülers gar ein Vergehen gegen die Disziplin-

Die Fruchtbarmachung des Unterrichts im
sittlichen und religiösen Tun schildert E. in sechs
Abschnitten, 1. Übung im guten Handeln (Selbsterziehung
Gewöhnung an das Gute), 2. sozial-ethische
Pflege des Klassengeistes, 3. moralpädagogische Methoden
der individuellen Willensbildung (allerlei Dienstleistungen
der Nothilfe für den Nächsten in der Gemeinde
), 4. Schulfeiern und Schulandachten, 5. Erziehung
zur kirchlichen Gemeinschaft (gemeinsame Gottesdienste
und Abendmahlsfeiern), 6. die Schulgemeinde und ihre
sozialpädagogischen Einrichtungen. — Die Unterscheidung
der einzelnen Abschnitte ist nicht immer deutlich,
die Reihenfolge nicht glücklich, die drei Gruppen, individuelles
Tun, Schulgemeinde, Kirchgemeinde treten
nicht deutlich heraus, aber der Grundgedanke: das Drängen
zur Darstellung und zur Tat wird deutlich genug-

Dem Begriff der „Arbeitsschule" haftet ursprünglich
ein stark technischer und intellektueller Geschmack
an, und er reicht deshalb mindestens nicht aus, um das
den tieferen und innerlichen Schichten der Seele zugewandte
Ziel des R. U. zu erfüllen; auch legt E. auf die
Betätigung in der Gemeinschaft so großes Gewicht, daß