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Ausgabe:

1932 Nr. 23

Spalte:

537-540

Autor/Hrsg.:

Aner, Karl

Titel/Untertitel:

Die Theologie der Lessingzeit 1932

Rezensent:

Zscharnack, Leopold

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 23.

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,Pwußte Anlehnung 1 migkeit und Theologie aus der literarischen Kultur der

das Lied Vit süeze w*re minne 76,22, bei dem H. in dem Zeit" sagt, gilt von der aufklärerischen wie hernach von

an die Art des Pilgerliedes erkennt, zum Gesang im * ^ ^ b]oß , ^ frühidealistischen Situation, wie anderseits noch das

doch die ritterliche Schicht so stark vertre'en ^ und der stu deutet ] ganze 18. Jahrhundert hindurch das Hineinspielen der

nun Einzelgesang gedacht war. Wie der i jn cine veredeite Form ■ ^ligiöseri und theologischen Interessen in das nicht-

darauf auch der «frische Aufbau, h. " hnljche Schlichtheit the°logische Schrifttum zu beobachten ist. Fast wünschte

volksmaß.ger StaopMt. EteeJJr Walfter ^ def Darstellungs- ; jneo g ^ ^ mehr Laien<1 ^ m

ÄtSÄ i -gen hätte als nur Lessing, der immer wieder in den

den Verse geben etwas sehr Lyrisches, Getragenes. Das ue | uBui .

und dieselbe Stimmung dauernd fest, und doch liegt dabei im Rhythmischen
zugleich auch etwas Drängendes, Unermüdliches, das einem fernen Ziele
zustrebt. Daß zwei klingende Verse gebunden werden, ist etwas Allge-
'äufiges, aber wenn hier drei Verse, vollkommen gleich, einander folgen,
ehe die Reihe mit dem stumpfen Vers den Abschluß findet, so empfindet
man das als ein Hinausschieben des Ziels, auf das die Bewegung hinstrebt
. Und auf der nächsten Stufe ist das wieder ebenso; wenn da
5 solcher Glieder aufeinander folgen, immer wieder von gleicher Art,
so ist das ein immer erneutes Aufnehmen derselben Bewegung desselben

Mittelpunkt der Darstellung gerückt wird, oder Friedrich
Nicolai, dessen Beurteilung seitens Aners wir aus
seinem Nicolaibuch v. J. 1912 kennen, oder Gottsched,
den er als ersten Neologen bezeichnet, und einige andere.
Auch die Theologen, die er behandelt, bilden trotz
der Fülle der Namen, die begegnen, natürlich nur eine
Auswahl aus dem gesamten theologischen Schrifttum
der Zeit, dessen Breite einem deutlich wird, wenn man

Strebens, bis das Strophenende einen gewissen Abschluß bringt. Und etwa eine Bibliographie der Literatur der Theologie seit

dennoch kommt auch mit diesem Abschnitt noch nichts grundsätzlich
Anderes, es ist nur ein Einschnitt und kein Abschluß, und so hat man
■n der Folge der 4 Strophen noch einmal dasselbe, daß man immer von
neuem wieder in die gleiche Bewegung eintritt. So liegt im rhythmischen
und strophischen Aufbau dieses Liedes, wie mir scheint, etwas
vom seelischen Rhythmus eines langen, gleichartigen Wanderns einem
Ziel entgegen, das trotz aller kleineren und größeren Teilstrecken, die
man zurücklegt, doch immer noch in weiter Ferne bleibt, etwas vom
seelischen Rhythmus eines Wanderns, das sich immer wieder aus dem
gleichen Hoffnungen Mut und Willen neubelebt.

Qöttingen. Ludwig Wolff.

An er, Prof. D. Dr. Karl: Die Theologie der Lessingzeit. Halle
a. S.: M. Niemeyer 1929. (XI, 376 S.) gr. 8°. RM 16 — ; geb. 18—.
Auer ist sich dessen bewußt, daß die theologische
Welt von heute einer rational eingestellten Epoche wie
der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, deren eines Glied
die von ihm in dem hier anzuzeigenden Buch behandelte
theologische „Neologie" ist, weithin keine Liebe, sogar
kein Interesse entgegenbringt. Er weiß, daß es daher
in gewissem Sinne ein Wagnis ist, gerade heute in Zusammenfassung
und Fortführung seiner zahlreichen vorangegangenen
Einzelstudien eine so detaillierte Darstellung
einer Phase der deutschen Aufklärungstheologie
vorzulegen, und daß es heißt, völlig gegen den Strom
schwimmen, wenn er dieser Zeit nicht nur sein wissenschaftliches
Interesse widmet, sondern seine persönliche
Sympathie mit dem Wesentlichen in ihr, ihrer Erlebnisfrömmigkeit
, dem vernünftigen Zug ihrer Theologie,
ihrem kritischen Geist u. dgl. nicht verhehlt und zuletzt
(S. 364 f.) geradezu der Überzeugung Ausdruck gibt,
nach all den heutigen Forciertheiten in Mystik, Irrationalismus
, Kierkegaardfieber, Lutherrenaissance werde eines
Tages „die Gesundheit einer selbstredend durch das
19. Jahrhundert hindurch an Fülle der historischen Erkenntnis
und religiöser Feinfühligkeit gewachsenen Neologie
" wiederkehren. Diese seine persönliche Einstellung
zur theologischen Neologie des 18. Jahrhunderts gab
Aner die Fähigkeit, sich in ihre Gestalten und deren
literarische Schöpfungen, in die Fülle ungedruckter Briefe
und bisher nicht ausgenutzter Zeitschriften mit der Liebe
zu versenken, die man in seiner Darstellung spürt, und
ein so anschauliches und auf breiter Grundlage ruhendes
Bild der Entwicklung von 1740 bis 1790 zu zeichnen,
wie wir es bisher nicht besaßen, und für das auch derjenige
unter wissenschaftlichem Gesichtspunkt ihm dankbar
sein muß, der persönlich gegenüber dem Objekt der
Darstellung schärfer Distanz hält.

Wenn Aner seine Geschichte der Neologie als der
zweiten Phase der deutschen Aufklärungstheologie unter
den Titel „Die Theologie der Lessingzeit" stellt, so
spiegelt sich in dieser Titelnennung Lessings nicht nur
die Wertung, die er Lessing als der überragenden Gestalt
dieses halben Jahrhunderts und seinem theologischen
Schrifttum zuteil werden läßt, sondern mehr noch der
Wille, den Zusammenhang der theologischen Bewegung
mit der Gesamtkultur der Zeit zu erfassen. In der Tat
kann nur so ein zutreffendes Bild der theologischen
Entwicklung entstehen. Was er vom „Zustrom zu Fröm-

-------B-- ' " - "

1750 wie die von Jon. Samuel Ersch (1814) zur Hand
nimmt. Den führenden Neologen hat Aner im II. Kapitel
(S. 61—143) auch kurze biographische Skizzen,
vielfach unter Berichtigung älterer ungenauerer oder unsicherer
Angaben, gewidmet, wobei schon sein besonderes
Interesse für den Abt Jerusalem hervortritt, an den
er auch in den anderen Partien seines Buches immer
wieder anknüpft, weil nach seinem Urteil keiner in
gleichem Maße wie Jerusalem die theologische Entwicklung
und die Fortschritte der Zeitbildung wiederspiegelt
. Vielleicht wird diese Vorliebe für einen Einzelnen
doch hier und da zu einer Ungerechtigkeit gegenüber
Anderen, die jedenfalls wirksamer als Jerusalem
in die theologische Arbeit eingegriffen haben. Besonders
harte Worte schreibt Aner in diesem Kapitel über Semler
, den er hier freilich viel zu ausschließlich von seinem
Auftreten gegen Bahrdt und seiner Verteidigung des
Wöllnerschen Ediktes aus beurteilt und als unaufrichtigen
, unehrlichen Mittelparteiler charakterisiert, obwohl
er weiß, wieviel komplizierter beidemale die theologische
und kirchenpolitische Situation war. Semlers von seinem
Lehrer Sig. Jak. Baumgarten übernommenes, aber
erst von ihm ausgeführtes Grundprinzip einer „szienti-
fischen" Theologie und einer ^freien" theologischen
Lehrart sowie seine dogmengeschichtlich fundierte Dogmenkritik
, die zum Allgemeinbesitz der Neologie geworden
sind, kommt in diesem vorangestellten Bild seiner
Persönlichkeit garnicht zur Geltung, sodaß Aner ihn geradezu
aus der Neologie ausschalten zu müssen glaubt.

Damit ist nun das Hauptthema von Aners Buch
berührt: die Erfassung der Eigenart der Neologie
in ihrer Verschiedenheit vom theologischen Wolffia-
nismus einerseits, vom Rationalismus anderseits und die
Kennzeichnung ihrer Leistungen in Bibelwissenschaft und
Kirchengeschichtsforschung, vor allem aber in der Dogmenkritik
, die sie auf Grund ihres Biblizismus, ihrer
dogmengeschichtlichen Erkenntnisse und nicht zuletzt
ihres Erfahrungsprinzips geübt hat. In diesen Kapiteln
arbeitet Aner, überall aus dem Vollen schöpfend, in
plastischer zitatenreicher Darstellung, wertvolle neue Erkenntnisse
heraus. Das gilt insonderheit von seinen Ausführungen
über den neuen neologischen Vernunftbegriff
(S. 146 ff.), der sich von dem des Wolffianis-
mus dadurch unterscheidet, daß Vernunft nicht mehr
bloß als logisch-mathematischer Verstand gefaßt wird,
sondern das Gemüt und das moralische Bewußtsein
mitumfaßt, wobei Herz und Ethik über das rein Verstandesmäßige
gestellt werden und das Erfahrungsprinzip
— als apologetischer Beweis wie als dogmenkritische
Norm — an die Stelle tritt, die bisher der intellektua-
listisch-rationale Beweis oder anderseits die Verstandeskritik
innegehabt haben. Aner weist in diesem Zusammenhang
mit Recht auf die gewisse'Verwandtschaft hin,
die sich hier zwischen der Neologie und dem
Sturm und Drang zeigt: beide stammen, wie er
sagt, „aus derselben Wurzel", wobei er gelegentlich auf
den Pietismus zurückverweist, um dann doch die Artverschiedenheit
pietistischer und neologischer Gefühligkeit