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Ausgabe:

1932 Nr. 22

Spalte:

526-527

Autor/Hrsg.:

Grentrup, Theodor

Titel/Untertitel:

Die kirchliche Rechtslage der deutschen Minderheiten katholischer Konfession in Europa 1932

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 22.

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™ Adlir/en i selbst darzustellen, weil das zu weit gefuhrt hatte. Die
den Gefahr namentlich auf Betreiben ev. .* p'gan_ ! Darstellung führt bis zum Toleranzedikt 1781, wo noch
der Consensus Sendomiriensis zustande, aer uic Nachkommen der Böhmischen Brüder auftauchten, die

Eelischen in ganz Polen unter Beibehaltung aes sidl gelbst als Hussiten bezeichneten.

Bekenntnisses, des Kirchenregiments und aer ^ j Besondere Aufmerksamkeit ist in diesem Abschnitt
dienstordnung kirchenpolitisch zu einer tir^'1 j , der Frage nach den Zusammenhängen der alten und der
menschloß, aber hinsichtlich des .bekf"n"d"ahlslehre , erneuerten Unität gewidmet. Neben der Auswanderung
über eine gemeinsame Formel m der ^nui n , direkter Brüdernachkommen nach Herrnhut ist die m-
hinauskam Trotz der nun stark einsetzenden uegen

Deformation zerbröckelte die gemeinsame Front in der
roigezeit und machte einer Konföderation der kleinpolni-
*cnen Reformierten mit den Brüdern Platz (1634), während
die großpolnischen Reformierten bereits in die
unitat aufgegangen waren. Diese Konföderation gewährleistete
beiden Teilen Selbständigkeit in Bezug auf
Verfassung und Kirchenregiment. Deshalb blieb die Unikat
in Polen, obwohl sie unter dem Namen der Refor-
i Hrtun ging, bis ins 18. Jahrh. eine selbständige Größe
und behielt auch einige Sonderrechte, als sie nach 1793

nere Verwandtschaft zwischen altbrüderischer Gemeindeorganisation
und den Wünschen des Pietismus berücksichtigt
. Sie tritt am deutlichsten in den Herrnhuter
Statuten in die Erscheinung, deren Ähnlichkeit mit Einrichtungen
der Brüderunität Zinzendorf nachträglich
erkannt hat. (Daran wird von M. gegen Bartos
ausdrücklich und mit Recht festgehalten.) Der nachweisliche
Zusammenhang zwischen Herrnnut und den
böhmischen Brüdern wurde durch Übertragung der Bi-
schofsweihe anerkannt und gefestigt. Schließlich sei

dem reformierten Kirchendirektorium in Berlin unter- j noch auf die Ausführungen über den Namen unitas

fratrum, den alten Eigennamen der „Brüdergemeinschaft
" und seine Wandlungen im Lauf der Zeit hincre-
wiesen (S. 375 f.).

stellt wurde (S. 361ff.).

Die Geschicke der böhmisch-mährischen Umtat von
1575—1620 behandelt das 7. Buch (S. 157—313). Anders
als Gindelev gibt M. eine nach Ländern getrennte Dar

In drei Beilagen gibt M. Listen der Mitglieder des

Stellung was eine klare Herausarbeitung der Unterschie- i „Engen Rats" der Unität in Böhmen und Mähren, der
de ermöglicht. Durch den Zusammenschluß mit den j Senioren und Consenioren der Unität in Polen und ein

anderen Evangelischen erhielten die Brüder in Böhmen
1609 endlich Religionsfreiheit. Dem Namen nach waren
sie jetzt Utraquisten. Verglichen mit dem Consensus
Sendomiriensis ging diese „Konföderation", wie M. sie
nennt, etwas weiter, weil ein gemeinsames Bekenntnis
und Konsistorium vorhanden war. Aber M. hält gegen
Hrejsa an der Auffassung fest, daß die Unität keine
ecclesiola in ecclesia gebildet habe, sondern größere
Selbständigkeit besaß. Für M.'s Auffassung spricht u.a.,
daß die Kirche der Böhmischen Konfession in der Verfolgungszeit
in ihre verschiedenen Teile auseinanderfiel.
— In Mähren, dem Hauptland der Unität, besaßen die
Brüder völlige kirchliche Selbständigkeit. Erst als der
böhmische Aufstand nach Mähren übergegriffen hatte,
wurde der Beschluß gefaßt, eine feste kirchliche Organisation
für die Evangelischen zu schaffen. Der Beschluß
konnte aber nicht mehr ausgeführt werden.

In einem besonderen Abschnitt behandelt M. Literatur
und Lehre der Brüder in diesem Zeitraum (S. 280
bis 313). Trotz der außerordentlichen Leistung der
Kralitzer Bibel stehen die Schriften aus dieser Spätzeit
an Inhalt und Zahl gegenüber denen früherer Perioden
zurück. Eingehend weist M. im einzelnen nach, wie die
selbständige Lehrbildung weiter abnimmt und stattdessen
in zunehmendem Maß in den verschiedenen Teilen der
Unität Hinneigung zur reformierten Lehre stattfindet.
So hatte die Unität schon erheblich an innerer Selb-

auf Autopsie beruhendes Verzeichnis der Konfessionen
der Brüder. Diese Listen und die ausführlichen Angaben
über die einzelnen Gemeinden im Lauf der Darstellung
machen das Werk besonders wertvoll und für
die Einzelforschung unentbehrlich.

M. läßt, wie er ausdrücklich im Vorwort als seine
Absicht angibt, die Tatsachen sprechen. Nicht nur darin
, daß frühere Darstellungen überholt sind und M.
uns in dieser Zusammenfassung seiner Lebensarbeit das
Werk über die böhmischen Brüder geschenkt hat, besteht
die Bedeutung seiner Arbeit, sondern in der Gesamtheit
der Darstellung tritt uns ein in seiner Sachlichkeit eindrucksvolles
und in sich geschlossenes Bild der Geschichte
einer kleinen Kirchengemeinschaft entgegen von
ihrem Werden bis zu ihrem Untergang und ihrer Nachwirkung
. Auch wenn manchmal über die Auswertung
der geschilderten Tatsachen verschiedene Anschauungen
bestehen können, wird M.'s Geschichte ihre grundlegende
Bedeutung behalten.

Herrnhut. Heinz Renke witz.

Grentrup, Dr. Theodor, S. V. D.: Die kirchliche Rechtslage
der deutschen Minderheiten katholischer Konfession in
Europa. Eine Materialsammlunfr. Berlin: Deutsche Rundschau
G.m.b.H. 1928. (XVI, 472 S.) (jr. 8°. = Handbücher d. Ausschusses
f. Minderheitenrecht, hrsg. v. Max Hildebert Boehm. kart. RM 18.50.
Mit den ersten beiden Abschnitten seines Vorwortes
stelltG. ein bemerkenswertes kulturpolitisches Programm
Knft eingebüßt, ehe die Katastrophe auf: „Jede echte Religion begegnet dem Leben und
standtgkeit und Kraft e™tF»nM „„ Ä,Mr aii„,8i,uA«i w/„u„_ ->

über sie hereinbrach. M. spricht von einer allmählichen Weben des Volkstums mit freundlicher Bejahuno- Volks
Aufsaugung der Unität durch die böhmische Volks- j tum ist zu einem Teil Naturgegebenes und zum andern
kirche (S. 230) und führt unter den Gründen für den Teil geschichtlich Gewordenes; beides beansprucht ein

Untergang der Unität in Böhmen hauptsächlich den
an, daß mit dem zunehmenden Eindringen des Luthertums
in die utraquistische Kirche das Verständnis für

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Daseins- und Entwicklungsrecht. Die Religion erstrebt
wesenhaft eine geistige Neuschöpfung im Sinne der aufbauenden
Technik, die die Naturkräfte nicht zerstört
die eigenartige Gemeindebildung und -Organisation der I sondern durch weise Anordnung ihnen Höchstleistungen
Brüder im böhmischen Volk nachließ. In diesem Punkt I zu entlocken trachtet und so mit ihnen und durch sie
sowie hinsichtlich des Untergangs der Unität in Mähren ihre schönsten Triumphe feiert. — Eine Religion, die
korrigiert M. die frühere Darstellung (R. E.') erheblich, natürliche wertvolle Anlagen im Einzelmenschen oder
die ausschließlich von der Vernichtung der Unitat durch in einer Volksgruppe vernichten würde, wäre sich selbst
die Geoenreformation sprach. feind. Leider gibt es hie und da Vertreter der Kirche,

[mHg Buch (S 314—389) werden zum ersten Mal die aus Leidenschaftlichkeit oder Mißverständnis gegen
vollständig die Ausgänge der böhmischen, mährischen die Eigenart fremder Volksgruppen angehen. Aber ihre
und polnischen Unität (1620—1793) geschildert: die Zahl ist alles in allem gering: kleine Wolken am azur-
Auflösung der Exulantengemeinden und -gruppen, die blauen Himmel der kirchlichen Volkstumfreundlichkeit.
weiter die böhmisch-mährische Unität im Exil in Polen, Auch für Sprache und Volksart der Minderheiten gilt
Ungarn, auch Sachsen und Schlesien gebildet hatten, im im Allgemeinen der Satz: Unter dem Krummstab ist
Lauf des 17. Jahrh., die Fortexistenz des polnischen gut leben!" — Dieses emphatische Bekenntnis zurVolks-
Unitätszweiges und die Auswanderung von Resten aus tumfreundlichkeit seitens der katholischen Kirche ist
Böhmen und Mähren im 18. Jahrh. M. hat darauf ver- gewiß wertvoll, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen,
ziehtet, die Geschichte dieser Reste in den Stammländern daß die katholische Kirche erst in den letzten Jahren