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Ausgabe:

1932 Nr. 22

Spalte:

522-523

Autor/Hrsg.:

Busse-Wilson, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Das Leben der Heiligen Elisabeth von Thüringen 1932

Rezensent:

Dersch, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 22.

522

Die Bedeutung der letzten karolingischen Herrscher
für den Erneuerungsgedanken wird nur in kurzen Strichen
angedeutet; der latente Gegensatz gegen H.s Stellungnahme
ist deutlich zu spüren. Ausführlicher wird
die Darstellung erst mit dem zweiten Kapitel, das die
Päpste als Herren von Rom seit Leo IV. in den Fußstapfen
der alten Römer zeigt. Hier sind namentlich die
Gedichte des Eugenius Vulgarius von starkem kulturgeschichtlichen
Interesse. Doch darf, wie mir scheint,
der Gedanke der Erneuerung' in diesem Zeitraum noch
nicht zu ernst genommen werden. Er gewinnt erst mit
-cm Eingreifen der sächsischen Kaiser größere Bedeutung
. Otto d. Gr. hat bei aller Verachtung für die stadtrömische
Bevölkerung Byzanz gegenüber damit den
Anfang gemacht, den römischen Charakter seines Kaiserrums
zu betonen, und „damit war die immer noch denkbare
Möglichkeit aufgehoben, daß das abendländische
Kaisertum sich als .Imperium Christianum' oder sonstwie
aus dem Bann der Tradition heraus entwickelt hätte"
(S. 84). Mit Otto III. bricht dann die große Zeit des
römischen Erneurungsgedankens an, und hier steigert
sich auch die Darstellung zu einem stellenweise fast
dichterischen Schwung. Sehr, macht den Versuch, zugleich
mit den Ideen auch der Persönlichkeit des vielgeschmähten
jungen Herrschers tiefer gerecht zu werden
als bisher. Durch eine Fülle kleiner Züge und neuer Gesichtspunkte
gelingt es ihm in der Tat, das übliche schematische
Bild des Kaisers als eines unreifen Phantasten
merklich zu korrigieren. Dabei erfährt auch die Beurteilung
von Ottos Kirchenpolitik eine interessante Veränderung
. Einer zweifellos starken religiösen Beein-
druckbarkeit und gelegentlichen asketischen Neigungen
zum Trotz war Otto doch ein Mensch von Fleisch und
Blut und ein Herrscher, der seine Rechte auch der
Kirche gegenüber zu wahren wußte; ja er hat vielleicht
als einziger den Versuch gemacht, seine Stellung gegen
alle hierarchischen Prätensionen auch theoretisch zu
sichern.

Leider stützt sich diese Annahme nur auf eine einzige, in ihrer
Echtheit früher bestrittene Schenkungsurkunde DO III 389 an Silvester II,
in der die Doncitio Constantini ausdrücklich als kuriale Fälschung erklärt
, das Ottonianum stillschweigend beiseite geschoben wird. Es sieht
so aus, als nähme der Kaiser für sich ein unmittelbar auf Petrus zurückgehendes
Vogteirecht in Anspruch, das eine Wahrung der entscheidenden
Hoheitsrechte auch in den päpstlichen Gebieten ermöglichen sollte. Eine
andere Deutung der Urkunde bietet M.ter Braak, Kaiser Otto III.
(1928) S. 155, der sie aus dem Kaiser und Papst gemeinsamen Gegensatz
gegen Byzanz erklären möchte. — Auf S. 91 scheint bei der Wiedergabe
eines Briefes von Otto an Gregor V. ein Uebersetzungsversehen
vorzuliegen, das auch den Sinn der Stelle in Mitleidenschaft zieht. Die
Wendung „inter cunetos mortales quadam sui generiseminentia connectimur"
besagt nicht, daß Otto sich seinem Vetter „durch eine besondere Erhabenheit
ihres Geschlechtes verbunden fühle", sondern meint nur die
besondere (sui generis) Würde ihrer Stellung als Kaiser und Papst.

Auf diesem Hintergrund gewinnt auch der Traum
einer Weltherrschaft, genauer: einer Weltvorherrschaft,
im Bunde mit dem Papst ein neues Gesicht. Gewiß
wird der Gedanke eines die Kirche erneuernden christlichen
Imperiums von Otto ernst genommen und mit
persönlicher Begeisterung vertreten. Aber er bleibt in
seiner religiösen Fassung ein sehr positives politisches
Ideal, in dem das Vorbild Karls d. Gr. wirksam
ist und der Sinn der alten Zweigewaltenlehre zu Gunsten
des Kaisertums verschoben wird. Ein interessanter Abschnitt
sucht den Geist dieser Politik am Beispiel der
Gnesener Wallfahrt zu illustrieren — doch dürften gerade
an diesem Punkt gegen die neue Deutung des Unternehmens
starke Zweifel bestehen bleiben.

Aber wie das Urteil über Otto den Politiker auch
ausfallen mag — die repräsentative geistige Bedeutung
seiner Persönlichkeit ist unbestreitbar. „In seinem Leben
deckt er die Größe und Not seines Zeitalters auf"
(S. 186), und gerade sein politisch utopischer Versuch,
die Renovatio von Kirche und Reich von Rom aus durchzuführen
, hat die Erinnerung an seine Gestalt im Zusammenhang
mit dem Traum der Renovatio lebendig erhalten
. Während aber für Otto die Renovatio des Reiches
und die Renovatio der Kirche eine unlösliche Einheit
bildeten, treten im ll.Jhd. beide Seiten des Ideals
auseinander. In einer Reihe von Dokumenten, unter
denen die „Graphia aureae urbis Romae" hervorragt,
taucht in Anlehnung an das byzantinische Vorbild die
Forderung einer nationalrömischen Erneuerung auf, die
zwar am Kaiser festhält, das religiöse Element aber
völlig zurücktreten läßt. In diesen Zusammenhang können
auch die Anfänge der römischen Rechtserneuerung
eingeordnet werden, denen ein wichtiges Kapitel gewidmet
ist. Andererseits bleibt in der Umgebung der Kurie
nur die Sehnsucht nach einer kirchlichen Renovatio lebendig
. Rom als Kaiserstadt ist überwunden; nur die
heilige Stadt hat noch etwas zu bedeuten. Von hier aus
wird man gegenüber den „heidnischen" Hoffnungen des
Graphiakreises u. U. zu verständnisloser Ablehnung gedrängt
(Humbert); man kann aber auch den Versuch
machen, das Papsttum vielmehr als Erfüllung der alten
römischen Größe mit ihnen in Einklang zu bringen, und
in diesem Lager scheint Gregor VII. seinen Platz zu
haben. Ja, weltliche Wehmut und geistlicher Stolz können
angesichts der römischen Ruinen auch unmittelbar
nebeneinander stehen (Hildebert v. Lavardin). — So
verschlingt sich die Geschichte der Renovatio mit
den Vorformen der Renaissance (ohne daß zwischen
„noch" antiken und „schon" renaissancemäßigen Erneuerungsplänen
klar geschieden werden könnte) und
führt zugleich unmittelbar in die Vorgeschichte des Investiturstreites
herein.

Schr.s Buch will keine historische Darstellung der
Gesamtentwicklung des Problems geben, die verfrüht
wäre. Manches erscheint noch fraglich und vieles ergänzungsbedürftig
. Es bietet „nur Studien und nicht
mehr". Aber die Studien enthalten nicht bloß Einzelheiten
und neuen Stoff, sondern auch neue Gesichtspunkte
zu seiner Verarbeitung und neue Fragen, die
weiter führen; unter den vielen, die daraus dankbar Gewinn
ziehen, steht der Kirchenhistoriker gewiß nicht an
letzter Stelle.

Göttingen. H. v. Campenhausen.

Busse-Wilson, Elisabeth: Das Leben der Helligen Elisabeth
von Thüringen. Das Abbild einer mittelalterlichen Seele. München
: C. H. Beck 1931. (VI, 339 S.) gr. 8°. RM 12-; geb. 15—.

Unter den Büchern, die anläßlich der Elisabethr
Jubelfeier des Vorjahres erschienen sind, nimmt dieses
Werk eine eigenartige Stellung ein. Es gehört zu den
heutzutage nicht seltenen, aber gewagten Versuchen, mit
Hilfe der psycho-analytischen Methode auf Grund der
dürftigen historischen und legendären Quellen das Bild
eines mittelalterlichen Menschen zu durchleuchten und
zu verstehen. Legenden können dazu beitragen, den
Schlüssel zum Verständnis einer Person zu reichen, wenn
die Überlieferung der Tatsachen allzu dürftig ist. Hierin
liegt die Bedingtheit der Verwertung von Legenden als
Geschichtsquellen. Da sich die Darstellung fast ausschließlich
auf der „Epistola" Konrads von Marburg
an den Papst und dem sog. „Libellus" der Dienerinnen
Elisabeths aufbaut, erhellt ohne weiteres die Überschätzung
dieser Quellengattung. Wenn die Verf. auch
das einschlägige Schrifttum und die Quellen beherrscht,
fehlt es doch nicht an falschen Angaben, z. B. gerade
über den Schrein und die Reliquien der Heiligen.
Trotz aller Breite und aufdringlichen Wiederholungen
liest sich das Buch mit wachsender Spannung
und Erregung. Bereits in den einleitenden Abschnitten
über die Auswertung der Quellen wird mancherlei von
dem Ergebnis der Beweisführung vorweggenommen.
„Das moralische Klischee" der frommen Jüngerin der
Karitas, der Diakonissin auf dem Fürstenthron, wie sie
seit Jahrhunderten von Katholiken und Protestanten verehrt
wird, soll als Geschichtslüge zerstört werden. Ihr
kurzes Leben, das in völliger, echt franziskanischer Hingabe
an die Armen sich verzehrte, soll eine einzige Neu-