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Ausgabe:

1932 Nr. 22

Spalte:

508-510

Autor/Hrsg.:

Weinrich, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der religiös-utopische Charakter der „prophetischen Politik“ 1932

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 22.

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Barton hier eine originale und unabhängige Kultur
in Indien findet, die erst in der späteren Zeit Berührung
mit dem Sumerischen aufweist. — B. XI bietet nun
außer der schon erwähnten Arbeit von Kramer die Beschreibung
, Übersetzung und den Abdruck eines syrischen
Fragmentes, das sich auf den 2. Kreuzzug bezieht (S.
120—130) von W. R. Taylor. Ein Mar Simon fertigte
ein Evangelium-Lektionar an im Jahre 1460 der griechische
Aera d. h. 1149 n. Chr. und berichtet in ihm
etwas über die Ereignisse des 2. Kreuzzuges, was für die
Historiker von Interesse ist. Wir hören von der Einnahme
von Edessa durch die Muslims 1144, dem Versuche
Conrads III. von Deutschland und Ludwig des VII.
von Frankreich den bedrängten Christen im Orient zu
Hilfe zu kommen und ihrem zum Teil durch Uneinigkeit
im eigenen Lager verschuldeten Mißgeschick. Diese bewirkte
es auch nach Mar Simon, daß ihnen Damaskus,
welches die Türken schon zu übergeben sich anschickten,
nicht in die Hände fiel. Die christlichen Heere zogen
sich auf Jerusalem zurück und die Könige segelten sehr
deprimiert heim. Jerusalem kam infolge des Zustromes
viel armen und bedrängten Volkes in schwere Not. Ein
Teil der Zuflucht Suchenden starb vor Hunger, andere
suchten aus den Klöstern zu erpressen, was sie zum
Leben nötig hatten. Aber diese waren selbst arm, hatten
kaum genügend Mittel, die eigenen Insassen zu ernähren.
Der Metropolit von Jerusalem „unser Vater Ignatius"
fand Mittel und Wege durch Rückkauf eines dem
Convent von St. Mary Magdalene von den Muslims
genommenen Ortes Dakarieh den Klosterinsassen und
auch manchem armen Kranken zu helfen. — Das ist der
wesentliche Inhalt der Mitteilungen von Mar Simon, die
augenscheinlich den Zweck haben, etwaige Verdächtigungen
, als habe Ignatius Dakarieh widerrechtlich durch
Überredung des Königs Balduin (III) und seiner Mutter
erworben, zu entkräften. Sie geben aber auch ein sehr
lebendiges Bild von den mißlichen Verhältnissen, in die
Jerusalem und die Kirche infolge Mißlingens des zweiten
Kreuzzuges kam.

Den übrigen Raum von Band XI nimmt der Bericht
über die Ausgrabungen von Jerasch-Gerasa 1930 (S.
1—61) und 1931 (S. 131—139) in Anspruch, ein Bericht
, der durch Beigabe ausgezeichneter Bilder und
Pläne erläutert wird. Es handelt sich hier um ein groß
angelegtes und durchgeführtes Unternehmen, an dem
amerikanische und englische Mittel und Forscher beteiligt
waren, die in ostjordanischem Gebiet die Ruinen
von Jerasch, im Adschlungebiet (dem früheren Gilead),
genauer durchgruben und erforschten. Jerasch-Gerasa
war ein bedeutendes Zentrum christlicher Zivilisation,
wie denn Mr. Mc. Crowfoot, Director der american
school of archäologie in Jerusalem, 1931 den Grundplan
von 12 Kirchen, einer Synagoge, verschiedenen Kapellen
und Baptisterien vorlegen konnte (London 1931,
the churches at Jerash, Britisch School of Archäologie
in Jerusalem). Aber es hat anscheinend auch in der
hellenistischen Periode eine interessante Geschichte gehabt
, geht, wovon schon der Name Zeugnis gibt, zurück
auf die vorgriechische Periode (S. 3). Grund genug
gerade hier den Spaten einzusetzen, da Jerasch wohl
„die besterhaltene Provinzialstadt des römischen Reiches
auf dem Gebiet der semitisch sprechenden Völker war".
Und so haben denn die Amerikaner und Engländer
die Arbeit der Deutschen: Schumacher, Puchstein, Steuernagel
aufgenommen und höchst erfolgreich weitergeführt
. Der Bericht über ihre Tätigkeit wird hier vorgelegt
von Clarence S. Fischer (Prof. of Archeology
American Schools of oriental research) und Chester C.
Mc. Cown (Director, American schools of oriental research
) (S. 1—61); in S. 131 ff. (Campagne im Sept.
und Oktober 1931) liegen Auszüge aus dem Tagebuch
von Dr. Fischer vor bis zum 15. Oktober, die es hauptsächlich
mit dem Archäologischen zu tun haben. — Es sind
wohl 6 Schichten, 6 „Okkupationsperioden" auf Grund
von Tongefäßen, Münzen u. a. m. zu unterscheiden: eine

I arabische, 2 byzantinische, 2 römische und eine helle-
j nistische (S. 10—22). — Am imponierendsten ist der
Artemis- (nicht Sonnen!)-Tempel, der von einem Künst-
| 1er ersten Ranges entworfen und ausgeführt sein muß,
wie das Bild am Anfang (vor S. 1) und die längere
Ausführung S. 22 ff. zeigt. Leider hat der Tempel dadurch
gelitten, daß die Araber in ihm eine kleine Festung
bauten und daß nach ihrer Zerstörung (durch Balduin IL
1121 ?) viel Material von den Bewohnern zu Bauzwecken
weggeschleppt wurde. Ein Überblick über die
Tonwaren aus römischer, byzantinischer, arabischer Zeit,
; von Broncen, Gräbern, Münzen, Lampen, Mosaiks, In-
j Schriften zeigt, daß die Herausgeber mit Recht von
höchst wichtigen Erfolgen reden und wohl hoffen dürfen
, daß Jerasch bei weiteren Ausgrabungen noch viel
Wichtiges schenken wird (S. 45). Und daß diese Hoffnung
berechtigt war, ergibt sich aus dem Tagesbericht vom
! September und Oktober 1931, zeigt der auf Grund des
! bisher Erforschten entworfene Plan von Jerasch, in dem
; alle die Gebäude, Thore, Straßen eingezeichnet sind,
wie man sie auf Grund der Ausgrabungen annimmt,
ergibt sich auch aus einer Reihe von Bildern, die den
Tagebuchauszügen beigegeben sind.

Bonn. J. Meinhold.

Weinrich, Friedrich: Der religiös-utopische Charakter der
„prophetischen Politik". Gießen: A. Töpelmann 1932. (71 S.)
8°. = Aus der Welt der Religion. Forschgn. u. Berichte, unt. Mit-
wirkg. v. Fi. Frick u. R. Otto hrsg. v. E. Fascher u. G. Mensching.
Biblische Reihe. Ft. 7. RM 1.80.

An dieser überaus fleißigen Arbeit muß ich schon
den Titel ernstlich beanstanden. Was ist hier mit „religiös
-utopisch" gemeint: „utopisch, weil religiös", oder
I „religiös in utopischer Ausbildung und Auswirkung"?
| Letzteres läßt sich der „prophetischen Politik" gewiß
I manches Mal nachsagen: so mag — nach S. 66 Anm. 1
i — Troeltsch mit Recht das Gesicht Hesekiels von dem
i Zukunftsstaat eine Utopie nennen, und ebenso Hempel
allerlei in der Verkündigung Deuterojesajas. Aber das
müßte doch heißen „utopisch religiös". Und indertat
zeigt die Deutung, die der Verf. auf S. 21 f. dem Terminus
gibt, daß er ihn im ersteren Sinne gebraucht: utopisch
, weil religiös. „Es ist der Glaube", sagt er,
„daß vor Jahwe ein Kulturstrom und eine Weltpolitik
großer Eroberer stillstehen, wenn das Volk, das sich ihm
verpflichtet hat, in seinen Wegen wandelt, daß religiössoziales
Leben eine Katastrophe abwenden, daß Gott
in einem großen Wunder (etwa in der Messiasgestalt)
die Geschicke dieser Welt wenden kann". Das ist doch,
mutatis mutandis natürlich, überall der Glaube des religiösen
Menschen und wird es bleiben müssen: daß nämlich
Gott die Geschicke der Völker und der Menschheit
I nach seinem Willen lenkt. Gott selbst müßte eine Uto-
i pie sein, wenn ein solcher Glaube an sich utopisch
heißen dürfte. Die Politik eines Innocenz III. oder
eines Cromwell war entschieden religiös eingestellt; aber
I man wird ihnen doch wahrlich nicht nachsagen dürfen,
! daß sie utopische Politik getrieben hätten. Aber selbst
nach dem engeren Sinne „religiös in utopischer Ausgestaltung
" würde sich des Verfassers Kennzeichnung
I der Politik der vorexilischen Schriftpropheten manches
! Fragezeichen gefallen lassen müssen. Sie stehn schroff
j gegenüber andren Propheten, die sich nicht minder bewußt
waren, religiös bestimmt zu sein, sie als das
! ethische Prophetentum einem ethnischen1:: soll nun,
i wenn des ethischen Propheten Politik utopisch ist, die
des ethnischen das Gegenteil, sagen wir Realpolitik,
sein? Jeremia predigte unerschütterlich Unterwerfung
unter Nebukadnezar und weissagte den Untergang, wenn
man anders handle; seine Gegner bestanden auf ihrem
„Das ist Jahwes Tempel" (Jer. 7, 4), und damit auf

1) Es ist nicht zu billigen, daß Verf. die falschen Bezeichnungen
! „Unheils-Propheten" und „Heilspropheten" S. 24f. anstandslos verwendet,
obgleich er S. 22 Anm. 1 und S. 25 das Bewußtsein verrät, daß vor
( allem der „Unheils-Prophet" auch Heil kann zu verkündigen haben.