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Ausgabe:

1932 Nr. 19

Spalte:

443-445

Autor/Hrsg.:

Halfmann, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Christian Kortholt. Ein Bild aus Theologie und Frömmigkeit im Ausgang des orthodoxen Zeitalters 1932

Rezensent:

Scheel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 19.

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corpus catholicorum erschwert. Immerhin ist sie nicht
ganz gehemmt worden. Wir dürfen wohl hoffen, daß es
gelingt, wenn auch mit gedämpfter Kraft, das Unternehmen
fortzuführen.

Des Cochlaeus' Schrift Aequitatis discussio wurde
veranlaßt durch Joh. Sturms in seiner Schrift de emen-
danda ecclesia erfolgte Auseinandersetzung mit dem
durch einen Vertrauensbruch vorzeitig, schon 1538, der
Öffentlichkeit bekannt gewordenen Consilium ... de
emendanda ecclesia. Die Schrift ist nach Martin Spahn
„die mildeste" und eine der „inhaltreichsten Schriften"
des Cochlaeus. Sie hat, man weiß nicht bestimmt warum,
mit dem im Auftrage Pauls III. verfaßten consilium das
Schicksal geteilt, 1559 auf den Index gesetzt zu werden,
aus dem sie erst zweihundert Jahre später (1758) gestrichen
wurde. Jetzt liegt sie in einer handlichen und
sauberen Ausgabe des Weingartner Benediktiners P.
Hilarius Walter vor uns. Die Einleitung berichtet über
die Entstehung und den Inhalt der Schrift. Ein bibliographischer
letzter Teil bringt die erforderlichen Angaben
über die Originalausgabe der Wolrabschen Druckerei
, Leipzig 1538 (Ausgabe A) und über eine vermutlich
in Paris gedruckte Ausgabe von 1539 (Ausgabe B). Es
folgen einige Mitteilungen über Sturms Schrift de emen-
datione Ecclesiae. Der Originalausgabe hat der Herausgeber
anscheinend nicht habhaft werden können. Benutzt
worden ist sie jedenfalls nicht. Der Text der
Aequitatis discussio folgt mit Recht der Ausgabe A. Ein
instruktiver Kommentar begleitet den Text. Die Ausgabe
beschließt ein erschöpfendes Verzeichnis der Zitate und
Namen — Personen- und Ortsnamen in einem Register —
sowie ein gutes Sachregister. Der fast nie versagenden
Münchener Staatsbibliothek und dem stets hilfsbereiten
und helfenden Direktor Dr. Schottenloher weiß sich der
Herausgeber zu Dank verpflichtet. Aus eigener Erfahrung
habe ich dafür volles Verständnis.

Kiel. O. Scheel.

Halfmann, Wilhelm: Christian Kortholt. Ein Bild aus Theologie
und Frömmigkeit im Ausgang des orthodoxen Zeitalters. Kiel: in
Komm, bei W. Q. Mühlau 1930. (VIII, 82 S., 1 Taf.) gr. 8°. =
Schriften d. Vereins f. Schleswig-Holsteinische Kirchengesch. 1. Reihe
(groß. Publikationen) 17. H. RM 3—.

Die Erinnerung an Kortholt ist noch lebendig, nicht
nur in der örtlichen Überlieferung, sondern auch in der
Forschung. Im Konsistoriaisaal der Universität Kiel
hängt sein Bildnis. In der Gelehrtengeschichte der Universität
hat er stets, und mit gutem Grunde, einen angesehenen
Platz eingenommen. Zwar hat er nicht zu den
schöpferischen Geistern der Universität gehört. Dazu
reichten weder sein Temperament noch seine Begabung
aus. Und wäre beides vorhanden gewesen, hätte vielleicht
die gelehrte Methode, wie sie in den Dezennien
nach dem dreißigjährigen Kriege, den Jahrzehnten der
akademischen Tätigkeit Kortholts, auf deutschem Boden
geübt wurde, die Entfaltung gehemmt. Aber schon sein
zu vorsichtiger, wenn nicht gar ängstlicher Zurückhaltung
ihn bestimmendes Temperament hat der Entfaltung
originaler Kräfte im Wege gestanden. Dennoch gehört
er zu den bedeutenden Gelehrten und Lehrern aus der
Gründungszeit der kleinen Universität des gottorfischen
Duodezstaates. Sein Ruf als Lehrer war in Norddeutschland
verbreitet. Seine gelehrte Produktion, die freilich
alle Schwächen jener Zeit teilt, von der saloppen Komposition
bis zur Unreife und Unfertigkeit der veröffentlichten
Untersuchung, konnte an Massigkeit mit der der
Fachgenossen wetteifern und schon dadurch seinen Namen
in die weitere Welt hinaustragen. Seine fleißigen
Studien zur alten Kirchengeschichte wurden eine willkommene
Fundgrube für den lutherischen Polemiker
und Apologeten. Und seine Auseinandersetzung mit Ba-
ronius schloß eine Lücke in der Polemik des Protestantismus
gegen den Katholizismus. Zweifellos war Kortholt
eine Säule der jungen gottorfischen Universität, die
darum auch mit Grund sein Gedächtnis bewahrt hat.

| Die Forschung unserer Tage wird auch anerkennen
müssen, — wie sie denn auch dem sich nicht entzogen
hat — daß er zu den Anfängern der kirchengeschicht-
1 liehen Forschung auf lutherischem Boden gehört, seiner
Leistung also gedacht werden muß, wenn man die Anfänge
der kirchengeschichtlichen Forschung des deutschen
Luthertums darstellt.

Das sind bekannte Dinge. Wenn es sich lediglich
darum handeln würde, die Geschichte des Gelehrten-
! lebens Kortholts zu schreiben, würde es keiner Veröffentlichung
in Form eines Buches bedürfen. Zwar können
immer noch einige neue Einzelheiten festgestellt oder
einige Mißverständnisse oder Fehler berichtigt werden.
| Das hat auch Halfmann mit Erfolg unternommen. Aber
i dergleichen hätte in einem Aufsatz vorgelegt werden
können. Probleme von Bedeutung gibt es hier nicht. Wohl
aber ist, seitdem H. v. Schubert in seinem Vortrag über
„Richtlinien und Aufgaben der schleswig-holsteinischen
Kirchengeschichte" Kortholt dem Synkretismus zuordnete
j und in ihm die synkretistische Bewegung als Zwischenglied
zwischen dem Melanchthonianismus und dem Pie-
I tismus zu zeichnen unternahm, eine historische Grund-
J frage ungeklärt geblieben. Auch die nach H. v. Schubert
| zum Problem sich Äußernden haben eine befriedigende
I Klärung nicht gebracht. Das ist erst Halfmann, der Be-
; obachtungen Leubes aufnimmt, geglückt. Er hat den
sicheren Nachweis erbracht, daß Kortholt weder Pietist
| noch Synkretist war, sondern Orthodoxer. Zwar hatte er
< Fühlung mit den „vorwärtsdringenden Richtungen seiner
Zeit" (S. 70) — aus seiner Lebensgeschichte, insonder-
1 heit seinem Briefwechsel, war sein Verkehr mit Pietisten,
I allgemein bekannt, nur bisher falsch gewürdigt — konnte
auch dank einer fast dreißigjährigen Tätigkeit in Kiel
den Boden dafür bereiten, daß der Pietismus ohne
starke Kämpfe und in nüchterner, volkskirchlicher Form
in die Landeskirche einzog, aber er für seine Person
blieb Orthodoxer und war auch überzeugt, daß die Pietisten
„mit einer Mutation unserer Religion schwanger
gehen". Der in Rostock gebildete und vom Rostocker
Kreis Herkommende hat die Linie der dort und anderweitig
von der Orthodoxie verlangten „kirchlichen Reform
" nicht überschritten. Die von ihm vorgefundene
Tradition der Reformarbeit hat er nach Schleswig-Holstein
verpflanzt.

Damit ist endlich Kortholts geschichtliche Stellung
richtig gezeichnet worden. Über Einzelheiten könnte man
: immer noch mit dem Verfasser streiten. Mich jedenfalls
hat er nicht davon überzeugt, daß in Kortholts Haß
j gegen die „drei Betrüger", gegen Hobbes, Herbert von
Cherbury und Spinoza das Nationalgefühl des Deutschen
| gegen den „westlerischen Geist" sich aufgelehnt habe:
! auch davon nicht, daß er die Gefahr des angelsächsischen
1 cant gewittert habe; endlich auch davon nicht, daß in
i seinem Kampf gegen die Autonomie der Vernunft ein
I Verständnis der Krise sich äußere oder anbahne, in die
; heute die Kultur eingetreten sei. Als guter Orthodoxer
hat er, was auch aus Halfmanns Schilderung deutlich
wird, an der natürlichen Gotteserkenntnis nicht gezwei-
j feit. Ein Verständnis der Kulturkrise, wie die dialek-
tische Theologie sie zeichnet, hat ihm ganz fern ge-
j legen. Eine solche Kulturkrise kann der nicht sehen, der
| das „System der natürlichen Vernunft" noch positiv
würdigt. Kortholts Auffassung bewegt sich ganz in den
i Bahnen des Melanchthonianismus und der Orthodoxie.

Ihnen ist eine Kulturkrise, wie sie heute geschildert
! wird, fremd. Kortholts Kampf gegen die Autonomie der
! Vernunft kann man darum keine weitere Tragweite geben
, als wie er sie in der Orthodoxie besitzt. Auch das
1 ist mir zweifelhaft, ob in Kortholts Schrift über „die Vor-
; bereitung zur Ewigkeit" das Dokument einer lutherischen
i Frömmigkeit vorliegt, die von der reinen Lehre zur praktischen
Frömmigkeit fortgeschritten sei (S. 54). Dies
Urteil Halfmanns scheint mir doch eine zu geringe
Kenntnis der Geschichte der Anselmschen Fragen zu
verraten. Es ist doch nichts Singuläres, wenn sie bei