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Ausgabe:

1932 Nr. 19

Spalte:

439

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Einführung in die Textgeschichte der Paulusbriefe. An die Römer. 3. Aufl 1932

Rezensent:

Bauernfeind, Otto

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439

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 19.

440

begrüßt werden. Beide Vorträge gehen mit Recht nicht
von Einzelheiten, sondern vom Zentralen aus, von der
Person Jesu und von seiner Stellung zu Gott, zu Altem
und Neuem Äon; beide meiden den Versuch, eine größere
oder geringere Anzahl der im N.T. überlieferten Kran- [
kenheilungen Jesu einfach unter dem Begriff „Psychotherapie
" zu subsumieren. Beide zeigen aber Wege, von
den Erfahrungen moderner Psychotherapie aus die Neu- j
testamentlichen Erzählungen besser zu verstehen und j
umgekehrt Jesu „Psychotherapie" für die Gegenwart
fruchtbar zu machen. Was an dem theologischen Vortrag
besonders anspricht, ist der Ernst, mit dem das j
Bibelwort — unter Verzicht auf bequemes Hineinlesen
— genommen wird, wie es ist; aus dem medizinischen
Vortrag sei die deutliche und nur zu berechtigte Skepsis
gegen die Dauerhaftigkeit der Heilerfolge säkularisierter
Psychotherapie hervorgehoben. Die Diskussion einzelner
Probleme würde hier zu weit führen, es sei nur zum
Schluß an jeden Autor noch eine Frage gestattet: Wäre
es nicht gut, auch die fachwissenschaftliche Literatur zum
Neuen Testament aus den letzten 2 Jahrzehnten mit zu
berücksichtigen? Und: Ist es als gesichertes Ergebnis
der Forschung der Nancyer psychologischen Schule allgemein
anerkannt, daß es „grundsätzlich kaum eine
Grenze für die heilende Wirkung seelischer Kräfte auf
die körperliche Seite einer Schädigung beim erkrankten
Menschen gibt"?
Tübingen. Otto Bauernfeind.

Lietzmann, Prof. D. Hans: Einführung in die Textgeschichte
der Paulusbriefe. An die Römer. 3. Aufl. Tübingen: J. C.
B. Mohr 1928. (II, 134 S.) 4°. = Handbuch z. N. T. Hrsg. v. H.
Lietzmann, Bd. 8. RM 5—; geb. 6.50.

Den bewährten Kommentar wesentlich zu ändern,
war kein Anlaß. Trotzdem ist kaum eine Seite von der
Neubearbeitung unberührt geblieben; die Forschungen
seit der 2. Auflage sind durchgehend berücksichtigt, besonders
auf dem Gebiet der jüdischen Religions'-
geschichte und der Textkritik.
Tübingen. Otto B au ern f ei n d.

Grabmann, Martin: Der lateinische Averroismus des 13. Jahrhunderts
und seine Stellung zur christlichen Weltanschauung
. Mitteilungen aus ungedruckten Ethikkommentaren. Vorgetragen
am 8. Nov. 1930. München: Verlag d. Bayer. Akademie d. Wiss.,
in Komm. R. Oldenbourg 1931. (86 S.) 8°. = Sitzungsber. d. Bayer.
Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Abt. Jahrg. 1931, H. 2. RM 6 — .

P. Mandonnet hat uns einst in seinem Werk
Siger de Brabant et l'averroi'sme latin au XHIe siecle,2
1908 und 1911, die Gedankenwelt des Führers der
Pariser Averroisten im 13. Jahrh. erschlossen, und M.
Grabmann hat später (Neuaufgefundene Quästionen
Sigers von Brabant zu den Werken des Aristoteles,
Miscell. Fr. Card. Ehrle, 1924, und Neuaufgefundene
Werke des Siger von Brabant und Boetius von Dacien,
Sitzber. d. Bayer. Ak. d. Wiss., philos.-philol.-histor.
KL, 1924, 2. Abh.) diese Forschungen durch wertvolle
Funde ergänzt. In der vorliegenden Abhandlung weist
Grabmann nach, daß averroistische Sätze von der Art,
wie sie von dem Bischof Stephan Tempier von
Paris 1277 verurteilt wurden (vgl. Denifle-Chatelain:
Chartularium univers. Paris., 1889, I, 543 ff.), besonders
die Behauptung, daß die Seligkeit nicht unmittelbar von
Gott in des Menschen Brust gesenkt werden könne, daß
sie vielmehr zunächst des Menschen eigenes Werk sei,
aber auch die Lehre von der doppelten Wahrheit
in ungedruckten Kommentaren zur Nikomachischen Ethik
des Aristoteles aus dem 13. Jahrh. vorkommen, und
zwar beide Sätze bei Aegidius von Orleans (S.
47 und 50), bei Antonius von Parma (S. 58 ff.)
und in dem Cod. 485 der Univ. Bibl. Erlangen (S. 54 f.), |
die erstgenannte Lehre in dem Cod. F 13 der Stadtbibl. j
zu Erfurt (S. 41). G. zeigt, wie im Kontrast zu diesen
averroistischen Artisten, die den Gegensatz zwischen
Glauben und Wissen herausstellen, die damaligen Theo- i
logen, bes. A 1 b e r t d. G r. und Thomas Aq. die Harmonie
beider Größen nachzuweisen suchten (S. 63),
wie in den theologischen Ethikkommentaren die göttliche
Kausalität bezüglich der natürlichen Glückseligkeit
viel stärker betont wird als in den Kommentaren der
Artistenfakultät (S. 71) und wie das von den Averroisten
(S. 50) vielfach vertretene metaphysische Prinzip, daß
von Gott keine neue Wirkung hervorgehen könne, von
keinem dieser Theologen ausgesprochen wird. — Zum
Schluß gibt der Verf. einen Überblick über die weitere
Entwicklung des Averroismus und berichtet u. a. darüber,
daß er in dem Cod. 510 der Stadtbibl. zu Brügge, fol.
214—223, eine Quästio über den intell. agens und sein
Verhältnis zur menschl. Seelensubstanz fand, die aus
der Feder eines Pariser Averroisten deutscher Herkunft
stammt, von Johannes Alamannus von
Gott in gen. Dieser entpuppt sich hier als Vertreter
der Lehre von der doppelten Wahrheit (S. 79). — Da
der latein. Averroismus des 13. Jahrh. den Anfang der
religiösen Aufklärung des Abendlands darstellt (vgl-
meinen Artikel: Die Anfänge der religiösen Aufklärung
und des Freidenkertums im christl. Abendland, Zeitschr.
f. Theol. und Kirche, 1932, H. 1), kann die vorliegende
Abhandlung des hochverdienten Erforschers mittelalterlicher
Geistesgeschichte ein besonderes Interesse beanspruchen
.

Auf S. 9, in Anm. 3, Z. 2 muß es heißen: secundum (statt contra)
fidem. Der vom Verf. auf S. 78 angeführte Satz des Thomas Scotus
über die Gewalt des Petrus lautet wörtlich übersetzt: „Christus hatte
weder dem sei. Petrus noch seinen Nachfolgern noch den Bischöfen die
Macht gegeben, die er auf Erden hatte."

Ludwigsburg. Walter B e tz e n d ö rf er.

Cusanus-Texte I: Predigten 1. „Dies sanctificatus" v. J. 1439. Lat.
u. dtsch. m. Erl. hrsg. v. Ernst Hoffmann u. Raymond K1 i b a n s k y-
Heidelberg: C. Winter 1929. (56S. m. 1 Taf.) gr. 8°. = Sitzungsber. d.
Heidelberger Akad. d. Wiss. Phil.-hist. KL Jg. 1928/29, Abt. 3. RM3—•
Diese Predigt des bekannten Philosophen und Kirchenpolitikers
, die — ein Autograph — hier zum erstenmal
in lat. Text und deutscher Übersetzung veröffentlicht
wird, war dazu bestimmt, Weihnachten 1439 in Augsburg
gehalten zu werden. Ihre Bedeutung besteht darin,
daß sie kurz vor Abschluß von „De Docta Ignorantia"
geschrieben wurde, im Gedankengang diesem berühmten
Werke entspricht und infolgedessen für die Herstellung
eines zuverlässigen Textes der (nicht in eigenhändiger
Niederschrift erhaltenen) Docta Ignorantia von Wert
ist. Da sich in der Predigt zeigt, daß C. auch bei ihrer
Abfassung von den Gedanken des philos. Hauptwerks
völlig erfüllt war, so ist sie dazu geeignet, gewisse
Partien des philos. Werkes, die noch der Deutung bedürfen
, aufzuhellen.

Seiner mit Zitatenapparat versehenen lat. Ausgabe
stellt Klibansky Seite für Seite eine gute Übersetzung
gegenüber. In den an den Text angeschlossenen wertvollen
Erläuterungen deckt E. Hoffmann besonders die
heraklitischen, eleatischen, pythagoreischen und platonischen
Wurzeln der Gedankengänge des Verfassers auf;
er zeichnet ihn vor allem als den „Philosophen des
deutschen Frühhumanismus christlicher Prägung".
Ludwigsburg. Walter Betzendörfer.

B o 11 e , Johannes: Das Spiegelbuch. Ein illustriertes Erbauungsbuch
des 15. Jahrh. in dramatischer Form. Berlin: Akad. d. Wiss.,
W. de Gruyter&Co. in Komm. 1932. (44 S. u. 2 Taf.) Lex. 8°. =
Sonderausg. a. d. Sitzungsber. d. Preuß. Akademie d. Wiss., Phil.-hist.
Kl. 1932. VIII. RM 4.50.

Die Andachtsliteratur des 15. Jahrhunderts, die zuerst
Joh. Geffckens „Bilderkatechismus" (1855) erschlossen
hat, ist doch weder durch dies hochverdienstliche
Werk noch durch des katholischen Pfarrers Vinc
Hasak lehrreiche Anthologie „Der christliche Glaube des
deutschen Volkes beim Schlüsse des Mittelalters" (1868)
erschöpft oder auch nur ausreichend repräsentiert: es
fehlen nicht nur bedeutsame Werke, sondern auch ganze
Gattungen. Auch das Werkchen, das uns hier Joh. Bolte
auf Grund handschriftlicher Forschungen und Funde