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Ausgabe:

1932 Nr. 18

Spalte:

428-429

Autor/Hrsg.:

Steffes, Johann Peter

Titel/Untertitel:

Die Abrüstung. Eine Forderung der Weltmeinung und des Weltgewissens 1932

Rezensent:

Schowalter, August

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 18.

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ist, zuweist. Auch über die Art, wie eine solche verstehende
Theologie methodisch vorzugehen habe, gibt
er sachgemäße Anweisung. Sie dürfe nicht bei den
überlieferten Vorstellungsformen und Lehrbildungen
stehen bleiben, sondern müsse zu einem tieferen Verständnis
der in ihnen wirksamen „religiösen Motive"
durchdringen durch Tieferlegung des theologischen Konflikts
in die Sphäre einer letzten „existentiellen Formulierung
des Gottesverhältnisses". Darnach ist es also
die Linie religionspsychologisch-existentieller Theologie,
die Keller als die für die ökumenische Bewegung gewiesene
ansieht und empfiehlt.

Daß auch K.'s Beiträge zur Kirchenkunde der
Gegenwart sehr lehrreich sind, da sie aus bester
Sachkenntnis heraus erfolgen, kann hier nur in aller
Kürze ausgesprochen werden.

Weniger vertraut ist dagegen K. mit den Prinzipienfragen
der Theologie, speziell denen der theologischen
Systematik und Religionsphilosophie. Und um diese
handelt es sich in einer Auseinandersetzung
mit der dialektischen Theologie.
Auf diesem Gebiet liegen die Mängel und Einseitigkeiten
des K.'schen Buches. Darüber wäre im Einzelnen
sehr viel zu sagen. Denn in dieser Hinsicht erfordern
die Darlegungen K.'s scharfen Widerspruch.
Ich muß mich hier auf wenige Hinweise beschränken.

1. Es ist gewiß im Interesse strenger Objektivität
durchaus zu wünschen, daß die Verdienste der dialektischen
Theologie nicht nur anerkannt, sondern auch
stark unterstrichen werden. Aber das darf doch nicht
dahin führen, Licht und Schatten so ungerecht zu verteilen
, daß das Lob der dialektischen Theologie auf
Kosten der gesamten übrigen Nachkriegs-Theologie gesungen
wird. Denn das bedeutet für die außerdeutschen
Länder und Kirchen eine direkte Irreführung.

2. Es wird bei K. nicht hinreichend deutlich, daß in
der dialektischen Theologie methodische Unklarheit und
Vieldeutigkeit das Fundament der theologischen Einzelpositionen
bildet. Daher wird auch nicht deutlich, daß
in der dialektischen Theologie zwei ganz verschiedenartige
Intentionen miteinander verkoppelt sind: die reli-
gionspsychologisch-existentielle und die scholastisch-
dogmatistische. Bezüglich der ersteren kommt hinzu,
daß die Zusammengehörigkeit ihrer beiden Momente
(trotz gelegentlich besserer Einsicht, vgl. oben in der
Behandlung der ökumenischen Bewegung) nicht erkannt
wird. Das wird für K. dadurch möglich, daß er in
Aufnahme des Sprachgebrauchs der Dialektik den Begriff
„religionspsychologisch" ausschließlich im positivistischen
Sinne faßt. Dieser Sprachgebrauch ist natürlich
außerhalb der positivistischen Denkweise unberechtigt
. In der Dialektik stammt er — historisch-genetisch
angesehen — aus ihren neukantisch-positivistischen Ursprüngen
.

3. Es wird verkannt, daß in der Dialektik der berechtigte
Kampf gegen einseitigen Historismus und
Psychologismus zur unberechtigten Ausschaltung des
historischen und psychologischen Denkens selbst überspannt
wird.

4. Es wird verkannt, daß die übergreifende „Frage
der Dialektik an die Kirchen" nicht scharf genug gefaßt
ist und nicht in die letzte Tiefe führt. Sie müßte auf die
Glaubenserfahrung gehen und auf ihr Verhältnis zur
bloß empirischen Erfahrung. Hinter dieser letztlich entscheidenden
Fragestellung nach dem, was wir nach dem
Willen Gottes in seiner allein absoluten Wirklichkeit
und Souveränität erfahren sollen, bleibt die dialektische
Theologie zurück.

5. Es wird verkannt, daß die Dialektik mit ihrem
Schleiermacher-Verständnis steht und fällt. Ich verweise
auf meine Anzeige des Bartelheimerschen Buches in
Nr. 10 dieses Blattes.

6. Zu beanstanden ist K.'s Bezeichnung der dialektischen
Theologie als „Glaubens-Theologie" und als

„Offenbarungs-Theologie". Streng genommen ist sie weder
das eine noch das andere. Sie versperrt sich vielmehr
mit ihrer scholastisch-dogmatistischen Tendenz (vgl. zu
Punkt 2) die Möglichkeit dazu nach beiden Seiten hin.
Nur wenn sie ihre religionspsychologisch-existentielle
Intention geschlossen und ungebrochen durchführte,
könnte sie Glaubenstheologie und Offenbarungstheologie
im strengen Sinne werden.

Indem nun K. seine unzureichende Behandlung der
dialektischen Theologie mit seinen trefflichen Ausfüh-
i rungen zur Kirchenkunde und zur ökumenischen Bewegung
verquickt, bringt er leider auch in die letzteren
j eine gewisse Unklarheit und Verwirrung hinein. Nach
der ganzen Anlage und Gedankenführung des Buches
I wird der unbefangene Leser zunächst meinen, daß es
J gerade die dialektische Theologie war und ist, welcher
die ökumenische Bewegung die stärkste Anregung und'
Förderung verdankt. Im Schlußkapitel erfährt er dann
; zu seiner Verwunderung, daß es sich doch keineswegs
, so verhält, daß vielmehr bisher genau das Gegenteil der
J Fall war, daß es also lediglich der Wunsch des Ver-
| fassers ist, der von der dialektischen Theologie für die
Zukunft Besseres erwartet. Diesem Wunsch wollen wir
' uns gerne anschließen.

Bei der Korrektur muß ich anmerken, daß Oskar Bauhofer, den K.
; aus genauester Kenntnis als Vertreter dialektischer Theologie rechnet
i (S. 39 u. S. 165), inzwischen zum römischen Katholizismus übergetreten
J ist. Vgl. dazu Nr. 8 dieses Blattes, Sp. 184 ff.

, Göttingen. G. Wobbermin.

Steffes, J. P.: Die Abrüstung. Eine Forderung der Weltmeinung
und des Weltgewissens. Köln: Gilde-Verl. 1932. (XI, 161 S.) 8°.
= Schriften z. dtsch. Politik. Reihe 2, H. 28. kart. RM 3.75.

28. Heft der 2. Reihe der von Professor Schreiber-
Münster herausgegebenen „Schriften zur deutschen Politik
", getragen von dem Idealismus, daß sich in der
| Völkergemeinschaft schließlich doch „der Primat des
Geistes über die Anbetung der Macht" siegreich durchsetzen
wird und „die Sendung der Religion zur ständigen
| Erneuerung und Versittlichung auch im Bereich der Abrüstung
und des Friedens verwirklichen muß". Die
j Wirklichkeit zeigt, wie weit wir noch von diesem Ziele
i entfernt sind. Um so mehr muß der Wille gestärkt wer-
! den, „das individuelle und soziale Leben auf Recht und
Gewissen so aufzubauen, daß eine Macht- und Gewaltanwendung
nur im Falle eines äußersten, durch andere
' Mittel nicht zu behebenden Notstandes in Frage käme",
; und „Formung und Erziehung der Menschen nach Möglichkeit
für die Zukunft so zu gestalten, daß den Gefahren
einer wirklichen Bedrohung im zwischenstaatlichen
Verkehr immer mehr vorgebaut wird" (S. 5). Und an
das Vorhandensein dieses Willens glaubt. St. Nach einem
| geschichtlichen Rückblick auf die Idee der Abrüstung
und des Weltfriedens zeigt er die innere Begründung der
i Abrüstungsforderung durch die Weltreligionen und vom
Standpunkt einer philosophischen Weltbetrachtung aus
(S. 13—58) und gibt dann einen Überblick über das
Ringen um die Abrüstung in der Gegenwart (S. 59—104).
Alles sehr instruktiv und unbefangen, nur daß er den
Anschein erweckt, als hätten „die dogmatischen Grundlagen
, die liturgische Ausgestaltung und die Weltorganisation
der katholischen Kirche" auch tatsächlich
der Pflege des Friedens gedient, während er die Zwiespältigkeit
der protestantischen Theologie in der Frage,
i „ob das Christentum auch eine Aufgabe in Hinsicht des
! äußeren Weltfriedens zu erfüllen hätte", stark hervorhebt
und die grundlegende und radikale Friedensbewegung
der evangelischen „Sekten" mit wenigen Wor-
: ten abtut. Bedeutungsvoll — auch für die weltpolitische
Lage unseres Vaterlandes — ist seine Schlußfolgerung,
daß die Abrüstung der Waffen die Voraussetzung
bildet für eine endgültige Abrüstung der Geister (S.
100—104). „Die Völker sind weithin bereit, den Frieden
zu empfangen. Werden die Regierungen ihre Stunde
verstehen?" Das ist die Frage, an der sich Aufstieg und