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1932 Nr. 1

Spalte:

21-22

Titel/Untertitel:

Die Verhandlungen des 37. Evangelisch-Sozialen Kongresses in Breslau 10. - 12. Juni 1930 1932

Rezensent:

Heyne, Bodo

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 1.

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nen. Denn vom christlichen Glauben aus gebe es wohl | lung zum Eigentum nimmt? Wie kommt es überhaupt
eine einheitliche Erfassung Gottes, aber es seien ver- zu dieser Auswahl? Ist solche Nebeneinandersetzung
schiedene Weltanschauungen möglich. Diese seien nicht möglich? Merkwürdig blaß sind die Ausführungen auf
in derselben Weise gewiß wie der Glaube selbst. Eine Grund des Ewigkeits- und des Reichgottesgedankens.
Weltanschauung gehöre immer zur „natürlichen Theo- Diese Begründung des Eigentums vom Christentum her
logie". Sie könne dazu verführen, an die Stelle der | erweist sich nicht als gelungen.

Zu der zweiten unmittelbar in die praktische Arbeit
von Kirche und Gemeinde hineinstoßenden Frage äußern
sich der evangelische Arbeiterführer Grunz und der

Heilsgewißheit eine Verstandes-Sicherheit zu setzen. Daher
solle man lieber diese Aufgabe aus der Theologie
ausscheiden und der Philosophie überlassen. Hiergegen

wäre zu bemerken, daß etwas, was als notwendige Auf- i religiöse Sozialist Piechowski. Gr. sieht die durch das
gäbe aus dem Glauben folgt, nicht abgewiesen werden j Erlebnis des Kapitaiismus und der Arbeiterbewegung
darf, auch wenn um diese Aufgabe in immer neuen nie geprägte Arbeiterseele heute bestimmt durch Wirtvollendeten
Ansätzen gerungen werden muß. Freilich Schaftskrise und das Aufbrechen der Kulturfrage
. Die religiösen Sozialisten und die evangelische
Arbeiterbewegung bedeuten Möglichkeit zur Schaffung
von Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und Kirche. P.
zeichnet, sich auf den sozialistischen Proletarier beschränkend
, ein trüberes Bild. Mit Gr. ist er einig in der
Betonung der zunehmenden Bedeutung, die die Weltanschauungsfrage
in der Arbeiterschaft gewinnt. Gerade
hier sieht er für die Beziehungen zwischen Arbeiterschaft
und Christentum die ernsteste Gefahr: der Sozialismus
wird Religion; er fühlt sich als Vollendung des Christentums
. „Kirche und Christentum werden aufgehoben dadurch
, daß ein neues Umfassendes an ihre Stelle gesetzt
wird" (S. 125). Nur ein Ausschnitt aus dem sozialistischen
Proletariat ist heute (noch?) für die Kirche
erreichbar. Beide Referate kommen zu praktischen
Forderungen: Erfüllung des Kirchenvoiks mit sozialem
Willen (Gr.), bewußte Christen an die Brennpunkte
proletarischen Lebens (P). Damit begegnet man der
von Gr. selbst betonten Gefahr: „Das Thema ist zwar
nicht ausdiskutiert, aber es ist überdiskutiert", wofür die
Debatte den Beweis gab.
Bremen. Bodo Heyne.

ist es nur eine der Ausstrahlungen des Glaubens auf
das kulturelle Gebiet hin, ein einheitliches Verständnis
der Welt zu gewinnen. Weltanschauung und Glaubenserfahrung
sollen nicht verwechselt werden. Aber unmöglich
ist es, diese Aufgabe von der Theologie weg
auf die Philosophie abzuwälzen. — So richtig A. die
Aufgaben schildert, die er der „Apologetik" zuweist, so
fraglich muß es bleiben, ob es eine besondere Disziplin
der Apologetik geben kann, die der Dogmatik folgt
und zwischen ihr und der praktischen Theologie ency-
klopädisch einzuordnen ist. Denn A. sieht, daß auch
die Dogmatik selbst schon viele apologetische Ausführungen
enthalten muß. Dann aber ist deutlich: sowohl
die Prinzipienlehre der Dogmatik wie die Dogmatik
selbst, ebenso die Ethik, die praktische Theologie, die
Predigt und Seelsorge müssen gerade das leisten, was
A. für eine besondre Disziplin erklärt. Sie müssen alle
falsche Apologetik meiden, aber auch in dem wahren
Sinn, den A. richtig herausstellt, Apologetik treiben.
Wie könnte auch eine besondere Disziplin „die für die
Verkündigung des Evangeliums taugliche Sprache" gewinnen
, indem sie Fühlung mit allen Bewegungen der
Gegenwart unterhält? Diese Forderung ergeht offenbar
an alle Disziplinen der systematischen und praktischen
Theologie.

Basel. J. Wendland.

Die Verhandlungen des 37. Evangelisch-Sozialen Kongresses

in Breslau 10. —12. Juni 1930. Nach d. Manuskripten u. Stenograph.

Niederschriften hrsg. v. Pfr. Steude. Göttingen: Vandenhoeck

& Ruprecht 1930. (166 S.) 8°. RM 5--.

Die Verhandlungen enthalten je 2 Referate über die
beiden wichtigen Fragen: Eigentum, Evangelium, Gesellschaft
; Religion, Kirche und Arbeiterschaft. Über die
erste mit mehr theoretischem Charakter verbreiten sich
der Nationalökonom Kessler und der Theologe Weinel.
K. begreift das Eigentum als Mittel zur sittlichen Selbstbehauptung
der freien Persönlichkeit und zur Gestaltung i Erwartung zu hegen, daß uns in Hechts Arbeit, wenn

Hecht, Josef: Der romanische Kirchenbau des Bodensee-
gebietvs von seinen Anfängen bis zum Ausklingen. I. Bd.:
Analyse der Bauten. Mit 639 Abb. auf 261 Tafeln. Basel: Frobe-
nius A. G. 1928. (XXXI, 399 S.) 4". geb. RM 92—.

Die Besprechung eines noch nicht abgeschlossenen
Werks muß notwendig selbst fragmentarischen Charakter
haben. Von Hechts großer Arbeit ist bisher nur
der erste Band erschienen, der noch auf alle zusammenhängende
historische Darstellung verzichtet und lediglich
deren Grundlage, die eingehende Analyse der Bauten
gibt. Wie es aber doch möglich ist, nach Untersuchung
der Fundamente eines Gebäudes wenigstens auf den
Grad von Stabilität des Ganzen zu schließen, so ist es
auch gestattet, nach Prüfung dieses Bandes die sichere

gesellschaftlichen Lebens bis hin zum Staat. Als solches i sie vollendet vorliegen wird, ein wissenschaftlich unent-
ist es nicht natürlich, nicht heilig, aber notwendig. Der I behrliches, mit größter Gewissenhaftigkeit und um-
Wertmaßstab ist der gesellschaftsfördernde fassender Einsicht gearbeitetes Werk geschenkt sein
Charakter des Eigentums. Ohne „soziale Hypothek" ist wird, das ebenso die Grundlage aller weiteren Be-
kein Eigentum berechtigt. Die klare Linienführung hat schäftigung mit seinem speziellen Gebiet wie eine not-
dieses Referat vor dem von W. voraus. Daß die ent- j wendige und feste Unterlage für die zukünftige Bescheidende
Frage heute Privateigentum oder Kollektiv- i arbeitung angrenzender Aufgaben, ja in vielem metho-
eigentum an den Produktionsmitteln sei, darin wird man | disch das Muster für alle weiteren Arbeiten dieser Art

W. zustimmen, auch darin, daß das individualistische
Eigentumsrecht nicht genügt. Aber was dann? Der
Hinweis auf die Lösung Abbes wurde wegen ihres speziellen
Charakters schon in der Aussprache als ungenügend
bezeichnet. Bei den grundlegenden Ausführungen
über Zuständigkeit und Zulänglichkeit des Christentums
drängt sich dem Leser manche ungeklärte Frage
auf. Ist nicht die dialektische Theologie doch erheblich
mißverstanden, wenn es heißt: der Christ sieht das

bilden wird.

Kein Geringerer als Josef Sauer hat dem Buch ein
Vorwort mitgegeben, das den Dank der Wissenschaft
für Hechts Arbeit vorausnimmt, und er hat auch bereits
darauf hingewiesen, wieviel hier noch zu tun war
und wie wichtig die Bearbeitung dieses Gebiets für die
Wissenschaft ist. Die politische Teilung des Bodenseegebiets
ist gewiß mit Schuld daran, das man dem kulturellen
Ganzen, das es bildet, noch nicht in genügend

Unrecht, er darf nichts tun, handeln darf nur der Gc- j geschlossener Arbeit zuleibe gegangen ist; außerdem
werkschaftsführer (S. 20)? Richtig ist zweifellos, daß i aber sind die Fragen, die sich hier in erster Linie er-
die Bibel verschiedene Ansichten über die Eigentumsfrage j heben: nach der Interpretation des St. Gallener Risses
enthält, und deshalb der Maßstab nicht einfach aus der und nach der Baugeschichte des Münsters in Reichenau-
Bibel abzulesen ist. Aber kommt man zur Klarheit, wenn ' Mittelzell vor allem, methodisch höchst kompliziert. Die
man nacheinander von fünf Möglichkeiten aus (S. 26) I genannten Probleme genügen aber auch allein schon um
— Gottesgedanke, Ewigkeitsgedanke, Reichgottespredigt, anzudeuten, von wie entscheidender Bedeutung ihre gechristlicher
Persönlichkeitsgedanke, Liebesgebot — Stel- ! naue Behandlung ist; denn hierin liegen wirklich einige