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Ausgabe:

1932 Nr. 17

Spalte:

387-388

Autor/Hrsg.:

Benz, Ernst

Titel/Untertitel:

Das Todesproblem in der stoischen Philosophie 1932

Rezensent:

Bultmann, Rudolf

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Seite 1

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387

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 17.

388

Benz, Emst: Das Todesproblem in der stoischen Philosophie.

Stuttgart: W. Kohlhammer 1929. (XI, 130 S.) gr. 8°. = Tübinger
Beitr. z. Altertumswissenschaft, 7. H. RM 9 —.

Der erste Teil behandelt das Todesproblem in der
stoischen Physik und Psychologie und charakterisiert
zunächst den „zenonischen Materialismus", für den das
Leben ein Phänomen der physikalisch zu verstehenden
Natur, der Tod also ein Naturvorgang ist (eine psraßobj
des Seelenstoffes bzw. ein xwQiopöq des Seelenstoffes von
den andern Elementen, mit denen zusammen er das t,ö)ov
konstituierte). Sodann werden die Modifikationen besprochen
, die dieses stoische Dogma bei Panaitios, Po-
seidonios, Seneca, Epiktet und M. Aurel erfuhr. Der konsequent
materialistischen Auffassung (Panaitios, Epiktet)
steht einmal die Lehre des Poseidonios gegenüber, der
die Naturvorgänge nicht als mechanisches Geschehen,
sondern als organische Prozesse begreifen will, und
andrerseits die dualistisch bestimmten Anschauungen des
Seneca und M. Aurel, für die zwischen dem vitalen und
dem geistig-ethischen Leben ein solcher Gegensatz besteht
,daß der alte Monismus gesprengt und die Seele
(Seneca) bzw. das fivepovixäv (M. Aurel) als unstofflich
dem Körper bzw. den vitalen Lebensvorgängen gegenübergestellt
wird. Für sie ist der Tod freilich auch ein
Naturvorgang, aber er ist zugleich die Befreiung des
Ewigen und Göttlichen im Menschen. Zeigt also die
Entwicklung die Tendenz, vom Materialismus loszukommen
, so führt sie doch nicht zum Glauben an die Unsterblichkeit
der individuellen Seele.

Das Thema des zweiten Teiles ist das Todesproblem
als Teilproblem in der stoischen Ethik. In der stoischen
Güterlehre gelten Leben und Tod grundsätzlich als
üöickpoQa. Aber bei der Einteilung der äonkpopa in relative
Werte und Unwerte (noo^ypiva und äjTojtooiiYii£va) gerät
der Tod unter die letzteren, das Leben unter die
ersteren, da es die Voraussetzung für die Realisierung
des Tugendideals ist. Aber auch der Tod kann, wenn
die Möglichkeit eines sittlichen Lebens durch äußeren
Zwang abgeschnitten ist, als Selbstmord unter den Gesichtspunkt
der ethischen Tat treten. In der späten
Stoa verschiebt sich die relative Wertung von Tod und
Leben, sofern im Zusammenhang mit dem psychologischen
Dualismus eine pessimistische Lebensbetrachtung
Platz greift, die sich in der Consolatio-Literatur und in
einer pessimistischen Geschichtsauffassung geltend macht.
Die Frage nach dem freiwilligen Scheiden aus dem Leben
gewinnt hier neue Bedeutung und wird verschieden
beantwortet; einer weitherzigeren Auffassung stehen
Epiktet und M. Aurel gegenüber mit ihrer Mahnung zur
Verantwortung und zum ixiaTQhpew npo? iamöv. Für ihre
Innerlichkeit wird der Tod in einem neuen Sinne zu
einem äSidtpogov, nämlich zu einem von Gott verhängten
Geschick, das als äußerer Vorgang dem inneren Menschen
nichts anhaben kann. Für sie (und das gilt auch
für Seneca) wird deshalb die Philosophie zur Kunst
des Sterbens, das Leben zu einer Vorbereitung auf den
Tod. Je mehr Leben und Tod als Naturvorgänge relativiert
werden, desto mehr bildet sich die Vorstellung
eines eigentlichen Lebens als des Verhaltens in dem der
Mensch eigentlich Mensch ist, und entsprechend die
Vorstellung von einem eigentlichen Tode, den der
Mensch schon bei Lebzeiten erleiden kann: der Verfall
an das Triebleben. Dieser Gedanke, bei Philon in der
Vorstellung vom öTtto? (Mvc-to? begrifflich ausgeprägt,
erscheint auch bei Seneca, Epiktet und M. Aurel; der
Verf. führt ihn zurück auf die orphisch-platonische Tradition
, in der das Leben der in den Leib gefesselten Seele
als ein ihrem Wesen fremdes verstanden wird. Das
Problem des ucoqo? ftdvcaog löst sich für diese Anschauung
leicht, da für sie nicht die Lebenszeit den Lebenswert
bestimmen kann, sondern nur die aos-nj, neben
welchem Gedanken freilich auch die rationalistische Erwägung
der Nichtigkeit der Lebenszeit im Verhältnis
zum Gesamtverlauf der Zeit eine Rolle spielt. — Drei
Exkurse sind angefügt: 1. historische Exempla (der

Freitod des Kato und des Seneca), 2. die Kritik Au-

fustins an der stoischen Auffassung vom Selbstmord, 3.
puren der stoischen Tradition im Mittelalter.

Die Arbeit, die sich ja auf zahlreiche, z. T. ausge-
! zeichnete Vorarbeiten stützen konnte, ist in ihrer über-
, sichtlichen Gliederung und mit ihrem reichhaltigen Material
ein nützlicher Beitrag zur spätantiken Geistesgeschichte
. Natürlich ließe sich das Material noch vermehren
; vor allem wünschte man, daß der Verf., der
! sich für die literar- bzw. traditionsgeschichtlichen Zu-
; sammenhänge stark interessiert, auf die geistesgeschicht-
1 liehen Zusammenhänge in größerem Umfang einge-
j gangen wäre. Warum ist z. B. in B III nicht das pla-
; tonische ustetav &xothr(<nttiy berücksichtigt? Warum ist
i in B IV nicht der Begriff der (xfoßhvij Q»fj genannt, der
I in dem öXtifRüs t/w Piatons vorgebildet ist und dann bei
! Philon und Plotin erscheint? Auch wünschte ich, daß die
vom Verf. aufgewiesene Entwicklung mit der von der
Stoa zunächst verschleierten Aporetik in Zusammenhang
| gebracht wäre, die den griechischen Begriffen ton'i und
I i|nv.ij wegen ihrer spannungsvollen Doppeldeutigkeit von
| vornherein anhaftet. Und im Zusammenhang damit hätte
1 der griechische Zeitbegriff eingehender erörtert werden
! sollen. Die Bedeutung, die z. B. bei M. Aurel das xo.qöv
] und das eöxaipov haben (II 14; XII 35), zeigt doch,
daß die Flucht aus dem zoovoq in den atcov noch nicht die
eigentliche Lösung des Todesproblems ist. Aber man
darf wohl wünschen, daß der Verf. auf dem eingeschlagenen
Wege selbst weitergeht und die Forschung
durch fernere Untersuchungen fördert.
I Marburg._R. Bultmann.__

j Miscellanea Agostiniana. Testi e Studi pubblicati a cura delT
! Ordine Eremitano di S. Agostino nel XV Centenario dalla morte del
Santo Dottore. Vol. I: Sancti Augustini Sermones post Maurinos
reperti. Studio ac diligentia D. Oermani Morin OSB. Vol. II:
Studi Agostiniani. Preceduti dalT Enciclica del Sommo Pontefice
Pio Papa XI per il XV Centenario dalla morte di S. Agostino. Rom:
Tipografia Poliglotta Vaticana 1930 u. 1931, 2 Volumi. (XI, 847 S.
u. XXXVI, 1042 S.) 4°.

Unter den Sammelbänden, die dem Gedächtnis des
1500jährigen Todestages Augustins gewidmet worden
I sind, ist die Gabe des Ordens der Augustiner-Eremiten
i ohne Zweifel die vornehmste und, soweit mein Urteil
j reicht, auch die bedeutendste. Sie stand unter der Obhut
i des P. Antonio Casamassa OSA, derzeitigen Pro-
1 fessors der Patrologie an S. Monnica zu Rom und
Generalökonom des Ordens. Er hat den zweiten Band
mit einer kurzen Vorrede eingeleitet, deren bescheidenem
Ton man nicht anmerken kann, wie groß sein Arbeitsanteil
gewesen ist. Offenbar aber hat er hinter den Kulissen
intensiv mitgearbeitet. Bekennt doch Morin, daß er zu
seiner Ausgabe der Sermone von Casamassa ermuntert
und dabei von ihm unterstützt worden sei, und Wilmart,
| daß ihm ohne Casamassa's Unterstützung die Herstel-
| hing seiner kritischen Ausgabe des Indiculus des Possi-
i dius nicht möglich gewesen wäre. Casamassa wiederum
l gedenkt auch der Verdienste, die sich der General des
Ordens, P. Eustasio Erteban, um das Zustandekommen
des sichtlich kostspieligen Unternehmens erworben
hat.

Den ersten Band füllt Morin's gewichtige Ausgabe
der in den postmaurinischen Sammlungen ver-
: öffentlichten Sermone. Von den mehr als 640 haben
nach des sachverständigen Herausgebers Urteil nur 138
die Echtheitsprobe bestanden, immerhin eine stattliche
Zahl. Davon stammen aus der Sammlung Denis 23,
9 aus Frangipane, 7 aus Caillau, 32 aus Mai, 1 aus
Liverani, 4 aus der Collectio Casinensis, 51 aus den
verschiedenen Veröffentlichungen von Morin, 11 aus
denen von Wilmart. Den Grundstock der von Morin gefundenen
bilden die 34 aus dem Codex Guelferbytanus
4096; die schöne Erstausgabe von 1917 ist fast vergriffen
. Damals verwies M. den 34. als zweifelhaft in
die Appendix, hat sich aber inzwischen von der Echtheit
überzeugt. Die von Wilmart in der Revue Benedictine
42, 1930, 136—142 abgedruckten Anecdota konnte M.