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Ausgabe:

1932 Nr. 1

Spalte:

380

Autor/Hrsg.:

Wilutzky, Konrad

Titel/Untertitel:

Religion und Sowjet. Ist es möglich, die Religion abzuschaffen 1932

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Seite 1

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379

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 15/16.

380

das Einheitsgesangbuch, im zweiten Teil das landschaftliche
Sondergut, hat verschiedene Hilfsbücher, Liederkunden
, Schlüssel, wie man früher sagte, entstehen
lassen. Ihre Verfasser sind in der glücklichen Lage, Erben
einer außerordentlich fruchtbaren Zeit auf dem Gebiet
der Hymnologie zu sein, ich nenne an Namen nur
Fischer, Tümpel, Smend, Spitta, Nelle, daneben die verschiedenen
Zeitschriften, die ganz oder zum Teil dem
evangelischen Kirchenlied und der evangelischen Kirchenmusik
dienen; durch sie ist vielfach in Pfarrerkreisen
, aber auch in andern Kreisen eine viel bessere
Kenntnis von Entstehen, Art und Wesen des evangelischen
Liedes zu finden wie früher; auch die Anhänge
unserer neuen Gesangbücher sind des Zeugnis. Das vorliegende
Buch ist Liederkunde zum neuen Rheinisch-
Westf. Gesangbuch, der erste Teil, die Lieder des Einheitsgesangbuchs
behandelnd, ist überall brauchbar, aber
auch die Lieder des zweiten Teils stimmen weithin mit
denen anderer Gesangbücher der Neuzeit überein.

In der Einleitung weist K. darauf hin, daß es nicht
Zufall ist, daß die Periode der Gesangbucherneuerung
mit der neuen Singebewegung zusammenfällt. Die hat
sicher für das evangelische Kirchenlied ihre große Bedeutung
, aber es ist nun doch eine starke Übertreibung,
wenn es von dem bisherigen Gesang heißt: „Wie wenige
nur waren bei der Sache! Im ermüdenden Gleichmaß der
ausgeglichenen Melodien sang man irgendwelche Worte
aus dem Gesangbuch ab, ohne sich viel Gedanken zu
machen über das, was man sang. Während des Gesangs
konnte noch allerlei nebenher geschehen". So war es
nun doch nicht; vielerwärts sind doch manche rhythmische
Weisen den Gemeinden seit Jahrzehnten vertraut,
die alten reformatorischen Melodien haben eine Auferstehung
erlebt, der schleppende Gesang ist längst weithin
überwunden, womit weder geleugnet werden
soll, daß in manchen Gemeinden der alte Schlendrian
noch herrscht, noch die Verdienste der neuen Singbewegung
für den Gemeindegesang geschmälert werden
sollen. Der vorliegende Band behandelt die Texte, während
der zweite die Melodien besprechen und erläutern
will. Die Anordnung des Vorgängers unseres Buches
W. Nelle, Schlüsse 1 zum evangelischen Gesangbuch
für Rheinland und Westfalen behandelt
bei den einzelnen Liedern und Liedergruppen
Text und Melodie zusammen. Man kann durchaus zweifelhaft
sein, was das Praktischere ist. Der größere Umfang
des vorliegenden Werkes wie der Umstand, daß
Texte und Melodien verschiedene Bearbeiter haben, legt
allerdings die Trennung in zwei Bände nahe.

Die Behandlung der Lieder ruht auf eingehenden
Studien und bringt genaue und interessante Angaben
über die Dichter, ihr Leben, ihre Umwelt, die Entstehung
der Lieder und ihre Geschichte, aber auch wertvolles
liturgisches Material. Ein Vorzug ist die Verständlichkeit
der Darstellung auch für Laien. Ob allerdings nicht
manchmal die Vermutung, die eine oder andere Wendung
oder Strophe mit bestimmten Lebensumständen des
Dichters in Verbindung zu setzen, etwas kühn und willkürlich
ist? Wendungen, wie die: „Ist es zu kühn zu
vermuten, daß er damals auch unser Lied gedichtet hat?"
kann man nicht unbedingt mit Nein beantworten. Bei
der Beurteilung und Wertung der einzelnen Lieder, zumal
in ihrer Bedeutung für die Festzeiten hält sich K.
zurück, vielleicht sagt der zweite Band mehr über die
Verwendung in einzelnen Gottesdiensten. Öfter als es
geschieht, wünschte man doch ein kräftiges Wort der
Kritik beim einen oder andern Lied.

An Einzelheiten soll Folgendes vermerkt sein. Bei Nr. 89 Luthers
Ach Gott vom Himmel sieh darein — könnte gegebenen Falls bei einer
zweiten Auflage unter den Geschichten, die berichten, wie mit diesem
Lied katholische Prediger von der Kanzel heruntergesungen sind, gerade
in einem Buch für Rheinland und Westfalen auch die Bielefelder Geschichte
angeführt werden: Als der Bielefelder Reformator Hermann
Hamelmann seines Amts vom Herzog entsetzt war und bald darauf am
Bartholomäustag ein Franziskaner Mönch seine Predigt begann: „Bisher
hat hier ein Ketzer gestanden und gelehrt, man solle die Heiligen nicht

ehren und anrufen; aber wenn das nicht geschehen darf, wozu sind
dann die Feste der Heiligen verordnet?" Da fing die ganze Gemeinde
an zu singen: Erhalt uns! Herr, bei deinem Wort, und: Ach Gott vom
Himmel sieh darein, und sang damit den Mönch von der Kanzel. Bei
91 Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort hätte darauf hingewiesen werden
können, daß man in schwerer Zeit zeitweilig in der lutherschen Kirche
dieses Lied täglich im Gottesdienst sang. In einem Buch für Rheinland
und Westfalen hätte dabei auch die von Nelle gebrachte Erzählung vom
Schicksal dieses Liedes in Soest mitgeteilt werden können. Bei 94
Zwingiis Herr nun selbst den Wagen halt, erscheint Z. als Führer
| der Schweizer in der Schlacht bei Kappel, das war er doch nicht, er
| zog als Feldprediger mit, wenn auch in Wehr und Waffen. Bei 99
Treuer Wächter Israel trage ich nach, daß es als vor der Ankunft Gustav
Adolfs in Deutschland gedichtet, auch für Gustav Adolf Festgottesdienste
I geeignet ist, so wurde es beim großen Gustav Adolf Fest in Bielefeld
1909 in einem der Abendgottesdienste von der Gemeinde gesungen,
auch vorher schon beim Westf. G. A. Fest in Hamm. Bei 149 Paul
Speratus fehlt die doch wichtige Angabe, daß er Hofprediger in Königsberg
wurde und mit Gramann zusammen der Reformator Preußens.
! Zu 208 Bei dir, Jesu, will ich bleiben scheint mir die sonst zurückhaltende
Kritik zu stark, es enthält doch auch manche Schönheit, nament-
: lieh in Strophe 4. Ob es richtig ist Nr. 219 Gib dich zufrieden und
sei stille auf die Berliner Seelenkämpfe Paul Gerhards zu beziehen, weil
das Lied 1666 zum ersten Mal gedruckt ist? Hat man doch früher
; sogar „den Zorn des großen Fürsten" in Ist Gott für mich so trete,
j auf den großen Kurfürsten beziehen wollen, aber das Lied ist 1651
! schon gedichtet, bei Nr. 242 Herr Gott dich loben wir wird bei der
j Frage nach seiner Entstehung die Nellesche Anschauung, daß das Lied
I im 5. Jahrh. von Bischof Nicetas in Serbien verfaßt sei (so Nelle, Ein.
feste Burg ist unser Gott, Gustav Schloeßmann 1917), nicht erwähnt,
in der 3. Auflage seines Schlüssels drückt sich N. allerdings vorsichtiger
j aus, es sei von ihm nichts anderes bezeugt, als daß er dem Hymnus,
j einige Zusätze beigefügt habe. Nr. 243 Nun lob mein Seel den Herren
hätte als eins unserer herrlichsten Lieder eine wärmere Würdigung ver-
l dient. Bei Nr. 327 Jesus meine Zuversicht kann ich durchaus nicht
zustimmen, daß das eigentlich kein Sterbelied, sondern ein Osterlied sei;
ich freue mich, daß es nicht mehr unter den Osterliedern steht, Verse
aus ihm gehören an das Ende des Kirchenjahrs, in das Trauerhaus oder
] auf den Friedhof, so denkt auch Nelle. Bei Nr. 369 dem Osterlied
j Luthers Jesus Christus unser Heiland, das leider in manchem neuen
1 Gesangbuch fehlt, freue ich mich der knappen, aber herzlichen Wür-
j digung. Das Rhein.-Westf.-Gesangbuch hat es aus dem Minden-Ravensberger
Gesangbuch übernommen. Der geringen Wertung des Gustav
i Adolf Festlieds 397 Wachet auf, erhebt die Blicke, ist durchaus zuzu-
j stimmen; ich kann nicht einmal sagen, daß es „in ansprechender Form
die Gedanken enthält, die nun einmal zu einem Gustav Adolf Fest
I gehören". Bei den Jorisseschen Psalmen Nr. 516—540 sind die Hin-
I weise auf den ursprünglichen Sinn der betreffenden Psalmen recht brauch-
I bar, wohlgelungen scheint mir auch die Behandlung des geistlichen
Liedes. Nr. 56 Elisabeth Riemeiers Lied, Sonne glänzt auf deinen
I Fluren, verdient durchaus das Lob: „Das Lied ist ein herrliches Zeugnis
! aus der jüngsten christlichen Jugendbewegung" ; 19 jährig hat sie es
im Jahr 1912 in Bielefeld gedichtet, erfreulicherweise ist es auch in
j Gesangbücher anderer Provinzen übergegangen.

Ein Verzeichnis der Personen und Ortsnamen erhöht
i die Brauchbarkeit des wertvollen Buchs.

Pouch bei Bitterfeld.__Wilhelm Usener.

| Wilutzky, Konrad: Religion und Sowjet. Ist es möglich, die
Religion abzuschaffen? Leipzig: O. Reisland [o. J.j. (31 S.) 8°. RM 1.20.
Nach dem Titel erwartet man eigentlich etwas Anderes. Die Sowjets
im ersten Abschnitt dienen eigentlich nur dazu, um zu erweisen, daß
es töricht und verhängnisvoll ist, die Religion, die etwas Naturgewolltes
und etwas anderes ist wie ihre augenblicklich-kirchliche Ausgestaltung,
abschaffen zu wollen, sie sei ein unentbehrlicher Trost, der zur Ethik
treibe, das habe die Wissenschaft bisher nicht erkannt, in der Tat Christi
und der Leistung des Christentums führe die Verbindung von Religion
und Ethik zu einer neuen Daseinsform der Welt. In weiteren Abschnitten
„Vom Fliegen und von einer technischen Möglichkeit im Phänomen
der Religion" und „Technik und Religion" wird das weiter ausgeführt
, nicht auf das Fragen nach dem Wesen der Gottheit komme
es an, sondern auf die in der Religion verborgene Kraft der Natur, die
zum Helfen da ist, während sie fast immer zu Zwecken der Herrschaft
und zum bösen mißbraucht sei. Die Art, in der Technik und Religion
auf einander bezogen werden und behauptet wird, daß jetzt erst „die
wissenschaftliche Behandlung der Religion" beginne, ist wenig befriedigend
und überzeugend.

Pouch bei Bitterfeld.___Wilhelm Usener.

Römstedt, Rudolf: Vormittelalterliche Malerei. Die künstlerischen
Probleme d. Monumental- u. Buchmalerei in der frühchristl.
u. frühbyzantinischen Epoche. Augsburg: B. Filser 1929. (VIII, 71 S.
u. 120 Taf.) 4°. geb. RM 50—.

„Gegenstand dieser Arbeit ist die Malerei des vierten
| bis siebenten Jahrhunderts nach Christus", und der Titel