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Ausgabe:

1932 Nr. 1

Spalte:

373-375

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Theodor (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Jahrbuch der Theologischen Schule Bethel. Zweiter Band 1931 1932

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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373

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 15/16.

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Die letzten, auf Vilmar, Theophil Spörri u. a. zurückgreifenden
Abschnitte streifen die Frage nach der
Realisierung einer evangelischen Literaturgeschichte und
Poetik und die Frage des Verhältnisses des Ästhetischen
zum Christlich-Sittlichen und Christlich-Religiösen.

Schließlich nur ein Beispiel für die Art der Darstellung
, die immer wieder ins Erbauliche, Private, ja
triviale abgleitet: „Die Ernsten Bibelforscher beschimpfen
in ihren Flugblättern die gesamte Geistlichkeit
, wagen aber nie einen bestimmten Pfarrer anzugreifen
. Oder die Nationalisten fluchen auf die Juden,
nehmen aber wieder ihre Bekannten und einige Geschäftsleute
aus. Diese Flucht vor dem Anspruch kennen
Wr aus dem Alltag: „Anwesende sind natürlich ausgeschlossen
!" Ich werde nicht die Betroffenheit vergessen,
ms ich in einem solchen Falle, da es um Sparsamkeit
ging, entgegnete: „Nein, ich spreche gerade nur von uns
Anwesenden! Wir, jeder von uns, lebt zu gut und vergeudet
noch Geld." Aber man lächelte nur und sagte:
*>A.cn> so meinen Sie das doch nicht!" Diese Verlogenheit
ist schon so tief gedrungen, daß auch die Geisteswissenschaft
kaum ohne sie gedacht werden kann. Und
dennoch müssen wir hier umdenken!" (!) (131 f.)

Der Referent bekennt, daß es ihm nicht leicht fiel,
das Buch bis zu Ende zu lesen. Gerade weil das Problem
der geistesgeschichtlichen Erkenntnis mit seinen
Offenen, aber fruchtbaren und lebendigen Spannungen
Unsere geschichtliche Arbeit bis ins Einzelne beständig
durchdringt, darum ist es so wenig glücklich, wenn es
mit ein paar allzu einfachen und gewaltsamen Griffen
zu theologischen Beweisgängen verwandt wird, deren geschlossener
Schematismus nur auf Kosten der überall
ganz anders reichen und verwickelten Wirklichkeit erzielt
wird. Und gerade weil es für die „Welt" und für
die „Kirche" so wichtig ist, daß die evangelische Frömmigkeit
ihre Isolierung überwindet und sich mißt und bewährt
in der Durchdringung der geistigen Welt und der
Wirklichen Situation der Gegenwart, gerade darum ist es
so bedauerlich, für die „Kirche" und für die „Welt",
Wenn der Versuch mit so augenfällig untauglichen Mitteln
unternommen wird, die tatsächlich an ihren „Gegenstand
" fast nirgends heranreichen.
Göttinnen. Oerhard Fricke.

Jahrbuch der Theologischen Schule Bethel. 2. Bd. 1931. Hrsg.
v. Lic. Th. Schlatter. Bethel b. Bielefeld: Verlagshdlg. d. Anstalt
Bethel [1931]. (156 S.) 8°. geb. RM 2.75.

Zu ihrem 25jährigen Bestehen hatte die Th. Sch.
pothel ein umfangreiches Jahrbuch herausgegeben, das
jn Nr. 26 des Jahrgangs 1930 der Th. L. eine ausführliche
Besprechung gefunden hat. 1931 ist ein zweiter
Band, von ihrem Leiter Lic. Th. Schlatter herausgegeben
, gefolgt, der in seinem ersten Teil Aus dem
Leben der Th. Schule überschrieben ist und im
zweiten WissenschaftlicheBeiträge von Lehrern
oer Th. Sch. sowie eine Studie des mit der Th. Sch. von
Anfang an eng verbundenen Prof. Adolf Schlatter
über Jesu Gleichnis von den beiden Söhnen
bringt.

Ober gegenwärtige und zukünftige Aufgaben
der Th. Sch. spricht sich unter Hinweis auf
Oje besonderen Verhältnisse von Bethel, aber auch auf
Oie Lage der theologischen Fakultäten im gegenwärtigen
btaat, die allerdings auch anders angesehen werden kann,
Oer Leiter in der Rede bei der 25jährigen Jubelfeier aus
und gibt dann einen Bericht von Sommer 1930 bis
Pommer 1931, denen sich die Arbeitspläne der letz-
«ju Semester anschließen und ein Verzeichnis der Veröffentlichungen
der Dozenten im letzten Jahr, die in
verschiedenen Zeitschriften erschienen sind, eine auch
a's besondere Schrift, Georg Merz, kirchliche Verkündigung
und moderne Bildung. Der Bericht über das
letzte Jahr geht von der 25jährigen Jubelfeier aus und
»ringt die Leitsätze eines Aufsatzes von D. Friedrich von
Bodelschwingh, in dem die leitenden Gedanken und
Ansprachen dieser Feier zusammengefaßt sind: „1. Die

| Th. Sch. ist ein Kind der evangelischen Kirche; daraus
■ erwächst ihre Freiheit und ihre Gebundenheit. 2. Die
, Schule steht in einer Gemeinde, deren erste Aufgabe die
helfende Barmherzigkeit ist; das ist für die Schule
! Schranke und Reichtum. 3. Fundament und Mittelpunkt
I alles Unterrichts der Schule ist die Heilige Schrift; das
gibt ihm seine Enge und seine Weite. 4. Die Arbeit der
Schule geschieht in einer Lebensgemeinschaft; sie schließt
ihre Glieder nach außen und innen zusammen. 5. Die
bleibende Aufgabe der Schule besteht in der Einheit von
Forschung und Verkündigung; das stellt sie zugleich
in die Stille und in die Bewegung." Im Lehrkörper
traten für die ausscheidenden Michaelis, der in den
Ruhestand trat, und Pastor Kueßner die Pastoren Georg
Merz-München, Herausgeber von „Zwischen den Zeiten"
und Lic. Robert Frick-Bad Sarow, der Herausgeber der
„Monatsschrift für Pastoraltheologie" ein. Eine Erweiterung
des Unterrichts war die Einrichtung der medi-
zinisch-theol. Arbeitsgemeinschaft unter Leitung eines
Anstaltsarztes Dr. med. Philipps. Der Bericht gibt ein
Bild von fröhlicher Arbeit und Gemeinschaft im Studentenkreis
, in dem bei dem engen Zusammenleben die
sehr verschiedenartige politische Einstellung und — Betätigung
, wohl Schwierigkeiten, aber nicht unüberwind-
bare bot. Eine ganze Fülle wichtiger Fragen wurde in
Einzelvorträgen behandelt, auch politische. Die Heimatzugehörigkeit
der Studenten führt durch alle deutschen
Stämme, auch einige deutschstämmige Ausländer. Sommer
1931 waren es 232 Studenten.

Im zweiten Teil behandelt zunächst in einer feinsinnigen und tief
grabenden Studie Adolf Schlatter das Gleichnis von den
beiden Söhnen und stellt die Gleichnisse Luc. 15, 11—32 und Mtth.
21,28—32 in ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit dar. (B. Weiß in
seinem Lukaskommentar bestreitet gegen Holtzmann diese Ähnlichkeit,
wie er sich auch gegen die Deutung der beiden Söhne auf Juden und
Heiden oder Pharisäer und Zöllner wendet und darin schon allegorisieren
sieht.) Schlatters Studie gibt weit mehr als die Überschrift erwarten
läßt und zeigt in der Verschiedenheit der beiden Gleichnisse den Unterschied
zwischen Matth, und Luk. überhaupt, insonderheit in der Beurteilung
des Pharisäers. Das Gleichnis bei Luk. stammt nach S. nicht
von ihm selbst, er hat es von einem palästinensischen Evangelisten.
S. wendet sich dagegen, daß in ihm irgendwelche Erinnerungen an
hellenistische oder gnostische Anschauungen oder ihre Bestreitungen,
über den Ursprung der Sünde etwa, anklingen, auch die Anthropologie
(Luc. 15, 6 xoikia.) verrate sich als palästinensisch, der Erzähler habe
noch nicht auf die Funktion des Magens achten gelernt, der könne darum
nicht von einem Arzt wie Luk. stammen, auch berühre sich die
Stelle mit einem palästinensischen Sprichwort: „Wenn der Jude Johannisbrot
essen muß, dann tut er Buße"; die Schoten, Viehfutter, Zeichen
des bittersten Darbens. „Mit den beiden Söhnen beschreibt Jesus das
vor ihm stehende Volk und zeigt ihm die Kräfte, die ihm den Zustand
geben, aus dem er es herausheben will. Solche Kräfte gab es zwei,
und sie sind einander entgegengesetzt der Trieb, mit dem uns die
Natur versieht und das Gebot das uns zum Dienst Gottes verpflichtet."
In der späteren Judenschaft begegnen uns immer wieder die beiden
Typen der Geldjude und der rituell fromme Jude, auf ihrer Verbundenheit
beruht immer wieder die Macht des Judentums. Jesus sieht im
Volk nicht nur ein Werk der Natur, sondern in ihm Gottes Wort wirksam
. Jesu Ziel ist es, die Gerechten und Sünder zusammenzubringen.
Bei Luk. geht er nicht vom Gebot aus, sondern von dem gemeinsamen
Besitz des Vaters und des Sohnes. Auch den Pharisäern gegenüber
handelt Jesus im Dienst der Gnade und nicht als Richter. Bei Matth,
richtet sich der Kampf vor allem gegen das auf die äußere Gerechtigkeit
stolze Ich. Bei Luk. gehen die an den Mammon gebundenen
Menschen. Das Urteil bei Luk. über den Pharisäer berührt sich nach
S. mit dem bei Johannes. Das Mahl Jesu füllt die geladenen mit Jubel,
und der Grund dieses Jubels ist, daß Jesus da ist, das ist die Gnade!
Hinter beiden Gleichnissen will S. das Kreuz sehen. Das Wort: „Ich
gehe nicht in den Weinberg", wird in Parallele gesetzt mit dem Wort
der bösen Weingärtner: „Dieser ist der Erbe, wir töten ihn." Die
j Frage: haben beide Fassungen des Gleichnisses in der Geschichte Jesu
j Raum?" wird entschieden bejaht. Es sind dieselben Fronten, gegen
die sich Jesus in beiden Gleichnissen wendet, aber die Energie der
Spannung und Abwehr ist bei beiden verschieden. Die Verschiedenheit
der Stellung von Matth, und Luk. zeigt sich weiter in der Geschichte
der ersten Christenheit. In unserer Zeit ist die erste Frage nicht mehr
die der Reformatoren, sondern die: Was macht und regiert euch? Die
Natur oder Gott? „Was gebt ihr den Säkularisierten, den Naturalisierten
, den Kultivierten? Diese Frage zeigt heute der ganzen Kirche
ihre Pflicht. Was Jesus ihnen gibt, sagt uns der Evangelist, der zu den
Griechen sprach."