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Ausgabe:

1932 Nr. 14

Spalte:

329-331

Autor/Hrsg.:

Müller, Joseph Th.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Böhmischen Brüder. 2. Band 1528 - 1576 1932

Rezensent:

Renkewitz, Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 14.

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Stufe erhebt, die dem Nichtmystiker unerreichbar bleibt,
selbst wenn er durch seine Gelehrsamkeit den ganzen
Glaubensinhalt vernunftmäßig rechtfertigen kann" (S.
93), denn „sie erkennt mit einem geistigen Blick ohne
jedes schlußfolgernde Verfahren Gott" (S. 107). Zusammenfassend
erklärt der Verfasser zum Schluß, die
Mystik sei der Schlüssel zur Erfassung des ganzen Menschen
in Bonaventura, des Nachfolgers Christi und
Minderbruders, des Scholastikers und Theologen, des
Ordensoberen und geistlichen Schriftstellers (S. 116).

Meines Erachtens wäre es für die von umfassender
Literaturkenntnis getragene Arbeit von Wert gewesen
, wenn zu Anfang ein Überblick über die Mystik
der Schule von S. Viktor gegeben worden wäre, mit der
Bonaventura doch in recht naher Beziehung steht, dann
hätte das Eigene und Neue seiner und der franziskanischen
Mystik noch deutlicher und schärfer herausgestellt
werden können.

Stuttgart. Ed- Lempp.

Müller, Joseph Th.: Geschichte der Böhmischen Brüder.

2. Band 1528—1576. Hermhut: Missionsbuchhandlung 1931. (504 S.)
gr. 8°. geb. RM 10.80.

In dem ersten Band seines Werkes, der 1922 erschien
, in dieser Zeitschrift aber nicht angezeigt wurde,
bat M. die Entstehung der Brüderunität und ihre Geschichte
bis 1528, dem Todesjahr des Bruder Lukas,
beschrieben. Gegenüber seinem Artikel „Böhmische Brüder
" in R. E.3 stellt M. den Werdegang der Unität in
der Weise dar, daß eigene Erlebnisse die Brüder dazu
geführt haben, die Schrift als die alleinige und ausschließliche
Norm für Glauben und Leben gelten zu
lassen, und daß besonders die Bestimmungen über die
Kirchenzucht aus dem unmittelbaren Bedürfnis ihres Gemeinschaftslebens
entstanden sind, die Brüder in diesem
Punkt also nicht die Erbschaft derWaldenser angetreten
haben. Die Zeit des Bruder Lukas brachte die weitere
Ausgestaltung der Unität nicht nur als Kirchengemeinschaft
, sondern auch als Gesellschaftsordnung, nachdem
die Zeit der „alten Brüder" durch Abwendung von ihren
strengen Forderungen (Ablehnung des Eides und der
Ausübung weltlicher Gewalt) zu Ende gegangen war.
Der vorliegende 2. Band umfaßt die Jahre 1528—1576.
Die erste Periode bis zum Schmalkaldischen Krieg ist
die Zeit der Auseinandersetzung der Unität mit der
deutschen Reformation und mit den Utraquisten. In die
Oberleitung der Unität kamen Männer, die zur lutherischen
Lehre hinneigten. Die Folge davon war, daß „ein
großer Teil der Lebensarbeit des Bruder Lukas stillschweigend
auf die Seite geschoben" wurde, daß die
Brüder die lutherische Abendmahlslehre annahmen und
die Heilsgewißheit in ihren Erbauungsschriften stark
betonten. In Rücksicht auf Luther, mit dem sie ja in
eifrigen Verhandlungen standen, gaben die Brüder auch
die Wiedertaufe auf, zugleich um nicht unter die Gesetzgebung
gegen die Wiedertäufer zu fallen. Die Hinneigung
der Unität zu den Reformatoren geschah vorwiegend
aus kirchenpolitischen Rücksichten, um durch
Anschluß an die deutsche Reformation das zu erreichen,
Was sie in direkten Verhandlungen in Böhmen mit Ferdinand
I. nicht erlangen konnten, nämlich Duldung und
rechtliche Anerkennung. Sie erhofften davon auch indirekt
eine günstige Wirkung auf ihre Einigungsbestrebungen
mit den Neuutraquisten, deren Hauptförderer
Johann Augusta war. Aber alle diese Bemühungen
hatten in dieser Periode keinen Erfolg. Allein den
mächtigen brüderischen Adligen in Böhmen hatten es
die Brüder zu verdanken, daß sie, von einigen Bedrängnissen
abgesehen, ruhig leben konnten, obwohl das St.
Jakobsmandat, das ihre Versammlungen verbot, auch
Jn die neue Landtafel eingetragen wurde. Aus nicht
nmhr klar erkennbaren Gründen vollzogen die Brüder am
Ende dieses Zeitabschnittes teilweise eine Rückkehr zu
ihrer eigenen Vergangenheit, indem sie ihre Disziplin
(Kirchenordnung, Gottesdienstordnung, Kirchenzucht)

als das ihnen Eigentümliche bewußt neu erfaßten, während
sie zugleich das beibehielten, worin sie sich der
lutherischen Lehre angenähert hatten. Luther hatte ja
ihre Disziplin besonders anerkannt.

Der Schmalkaldische Krieg bedeutete einen Wendepunkt
zum Schlimmen. Brüderische Adlige waren an
der Opposition gegen Ferdinand beteiligt gewesen. Er
benutzte die Gelegenheit, die ständische Selbständigkeit
zu vernichten und auf Umwegen die Herrschaft der
römischen Kirche wiederherzustellen. Um die Unität
zu vernichten, suchte er nach Beweisen für die Beteiligung
der Brüder an hochverräterischen Umtrieben, aber
diese Beschuldigungen waren grundlos. In Böhmen
setzte eine sehr harte Verfolgung ein — am bekanntesten
ist die Gefangenschaft Johann Augustas —, und ausgewiesene
Brüder wandten sich nach Polen und Preußen.
Die Entstehung dieser Teile der Unität darzustellen hat
M. dem 3. Band vorbehalten.

Der nächste Hauptabschnitt, der bis zum Tod Ferdinands
I. (1564) reicht, schildert die Selbstbehauptung
der Unität gegenüber der Staatsgewalt. Selbst in Böhmen
konnten die Brüder trotz der ergangenen Verbote
an einigen Orten öffentliche Gottesdienste halten, ja
sogar neue Säle bauen. Aber das waren Ausnahmen. Im
allgemeinen ging die Unität in Böhmen zurück, und der
Schwerpunkt verlegte sich immer mehr nach Mähren,
wo die Stände fast uneingeschränkte Religionsfreiheit
genossen. Hier entfaltete die Unität ein reiches Leben
unter Blahoslavs Leitung, dessen Tätigkeit als Übersetzer
des N. T. aus dem Urtext, als Herausgeber des tschechischen
Brüdergesangbuchs von 1561 und als Kirchenpolitiker
bedeutsam ist.

Den Regierungsantritt Maximilians IL hatten die
Brüder mit großen Hoffnungen erwartet, aber er hielt an
ihrer gewaltsamen Unterdrückung in Böhmen fest. In
Mähren stand die Unität in hoher Blüte. Die Adelsschule
in Eibenschitz, geleitet von Esrom Rüdinger, ist ein deutlicher
Ausdruck dafür, welches Ansehen sich die Brüder
erworben hatten. Diesen letzten Abschnitt von 1564 bis
1576 kennzeichnet der Kampf der Unität um ihre kirchliche
Selbständigkeit in Böhmen und Mähren. Während
Blahoslav in Mähren volle kirchliche Selbständigkeit
erringen wollte, ging das Bestreben Augustas darauf hin,
eine einheitliche evangelische Kirche in Böhmen zu erreichen
. Er sah voraus, daß die Unität sich hier nur in
Verbindung mit den Neuutraquisten würde halten können.
Die zukünftige Entwicklung hat ihm Recht gegeben.
Zunächst kam es nur zur Aufstellung der Böhmischen
Konfession von 1575, zu der sich auch die Brüder in
Böhmen unter Beibehaltung ihrer kirchlichen Organisation
bekannten. Gegenüber der Verletzung der kaiserlichen
Zusagen durch ein neues Mandat gegen die
„Pikarten" befolgten die Utraquisten die Politik, die Vereinbarung
mit den Brüdern zu stärken, um eine möglichst
einheitliche Front der Evangelischen herzustellen,
und auch die Brüder suchten hinter den Vereinbarungen
des Landtags von 1575 mit dem Kaiser Schutz. Im
Verhältnis zu den reformatorischen Kirchen außerhalb
Böhmens trat insofern eine Änderung ein, als die Unität
angesichts der Streitigkeiten unter den Lutheranern sich
stärker dem Calvinismus näherte. Sie hatte sich auch
nie zu einem schroffen Luthertum bekannt.

In diesem Rahmen bietet M. den Ertrag seiner reichen
Forschungen, die überall auf dem ganzen noch erreichbaren
Quellenmaterial fußen. Er gibt mit seinem
Gesamtwerk die erste vollständige wissenschaftliche
Darstellung der Geschichte der Böhmischen Brüder
. Gindelys Geschichte, erschienen 1857f., reicht
nur bis 1609. An vielen Stellen hat M. Abschließendes
gegeben, an anderen Stellen, z. B. wo es sich um umstrittene
Fragen wie die der Entstehung der Unität
handelt, kann sich der Leser ein eigenes Urteil bilden.
Aber nicht nur jede Darstellung und Beschäftigung mit
der Geschichte der Unität wird von diesem grundlegen-
Werk auszugehen haben, sondern M. hat zugleich einen