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Ausgabe:

1932 Nr. 14

Spalte:

328-329

Autor/Hrsg.:

Grünewald, Stanislaus

Titel/Untertitel:

Franziskanische Mystik 1932

Rezensent:

Lempp, Eduard

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 14.

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stärker als beim Lateiner ausgewirkt hat. Da M und C
im XIII. saec. geschrieben sind, kann man, wie oben bemerkt
, ihre Vorlage (<x) dem XL saec. zuweisen. Wir
wissen aber nicht, wie viele Mittelglieder zwischen a und
der Originalausgabe des Origenes liegen, und wie viele
gelehrte oder ungelehrte Abschreiber aus verschiedenen
Gründen Stücke der Vorlage weggelassen haben. Solche
Verkürzungen gibt ja der Schreiber von a — mag er das
übernommen, oder selbst verschuldet haben — ganz
offen zu, wenn er z. B. bei Bibelstellen und auch sonst
Mal xd e^fi? oder xal xafF äj»js statt des Wortlauts setzt.
Übrigens verfährt der Katenenschreiber an derselben
Stelle (S. 82) ganz ähnlich, indem er mit den Worten
XCtl Ell xoöv OpollOV abkürzt. Daß infolge eines solchen
Verfahrens im griechischen Text auch größere Stücke
fehlen, beweist die S. 85 und S. 90—92 angestellte Ver-
gleichung mit der alten lateinischen Übersetzung, deren
Wert um so höher steigt, je klarer die Unzuverlässigkeit
der direkten Überlieferung erkannt wird. Wir haben übrigens
einen ähnlichen Fall in der Textüberlieferung der
Exhortatio des Origenes, wo Codex P gekürzt, und M
den vollständigen Text bewahrt hat; vgl. Orig. Werke I
S. XIX f.

Um die Verschiedenheiten des griechischen und lateinischen Textes
auch auf andere Weise zu erklären, könnte man fragen, ob der lateinische
Übersetzer im 6. Jahrhundert eines der Mittelglieder zwischen a
und der Originalausgabe des Origenes vor sich gehabt hat, oder einen
Codex, der einer andern, vom Original ausgehenden Hss.-Linie angehörte
, die von der ersteren in mancher Hinsicht verschieden war. Mit
aller Vorsicht kann man wenigstens darauf hinweisen, daß der von dem
Übersetzer benutzte Codex den zweiten Teil des Matthäus-Kommentars
von XII 9 an enthielt, woraus eine Zweiteilung des Kommentars
in dieser hs. Überlieferung gefolgert werden könnte, während vielleicht
aus der Erhaltung von B. X-XVII in a auf eine Dreiteilung
(1. B. I—IX, 2. B. X—XVII, 3. B. XVIII-XXV, also 9 + 8 + 8) in
dem Archetypus von a zu schließen wäre. Dann würde auch in der
äußeren Form eine Verschiedenheit vorhanden sein.

Die schon oben erwähnte Nebeneinanderstellung des
griechischen und lateinischen Textes mit kritischem Apparat
S. 95—108 zeigt uns, wie die neue Ausgabe gestaltet
sein wird; einige Schwierigkeiten werden wohl die Ka-
tenenfragmente bereiten. Im griechischen Text S. 97, 6
schreibe ich: xl oiei (äv) Jtattslv, S. 99, 33 f. (Iv) tfi)
xupüoaeoöai, S. 104,26 öeoiufvcp, S. 105, 2—4 olovel xaxa-
Xutövxi öi (üv fiYVÖEi xal OUX öpx><7)? IXeYBV (xö) üxoXouöeiv,
vgl. Z. 14. Von Wert für die Beurteilung des überlieferten
Textes ist auch die S. 4—8 gegebene Verglei-
chung des Griechen und des Lateiners mit Pamphilus-
Rufin.

Der griech. Text erweist sich hier als vollständig und gut.
S. 4, Z. 1 schreibe: ov% f| tyvyi ('H/aou) und S. 5, Z. 3: öi alxlav,
(öl) fjv av yEvoixo ev uüxiö. Nur einmal (S. 7, Z. 5) ist der Text gekürzt
und anstatt des Ausgelassenen xal xd e|fj? gesetzt, während die alte
lateinische Übersetzung (= Lat.) den vollen Wortlaut bewahrt hat.
Lat. übersetzt im ganzen wortgetreu, hat aber S. 4 die Worte ouxe
Jtap.-Ypacpcöv und die Bibelstelle I. Kor. 7,31 ausgelassen und dafür
die Psalmstelle (101,27a) durch Vers 26 erweitert. Diesen Vers hatte
Orig. nicht, wie Pamphilus beweist. Ferner übergeht er S. 5 die
Worte xaf> t)v — izo.Qe'kevoovxa.i und läßt S. 7, Z. 8 el ydp bis
S. 8, Z. 3f. pexEvarauaxo'iaEüvc, absichtlich weg und ersetzt die
lange Ausführung durch die Worte: sed in igne. Ruf in scheint einen
fehlerhaften Text des Pamphilus vor Augen gehabt zu haben, wo S. 4,
Z. 2 v. u. oööeI? für öl? stand (= nemo S. 5, Z. 2) und S. 7, Z. 8
od yöq für ei yÖQ (= non enim S. 7, Z. 10). Daher hat Rufin manche
Stellen nicht verstanden. Seine Übersetzung ist viel ungenauer und
fehlerhafter als die von Lat. S. 6, Z. 5-7 hat Rufin etwas zugesetzt.
Als Quelle ist er deshalb nur mit Vorsicht zu gebrauchen. S. 6, Z. 1
L per quot tempora.

Das IV. Kapitel (S. 108—133) Über die lateinischen
Homilien schließt die Arbeit ab. Von den
25 Homilien, die Origenes zum Matthäus-Kommentar
verfaßt hat, ist keine in der ursprünglichen Form erhalten
. Dagegen finden sich in dem Homiliarium
Karls des Großen (Ende des VIII. Jahrhunderts)
6 Homilien unter dem Namen des Origenes in lateinischer
Sprache, davon Nr. 1, 4, 5, 6 zu Matthäus. Diese
vier Homilien sind von Rhabanus, Sedulius Scotus und
Thomas von Aquino in seiner Catena aurea, teilweise

auch von Claudius von Turin und Paschasius benutzt
worden. (S. 128, Z. 16 f. v. u. 1. discessum, die Vul-
gata hat discessionem; S. 130, Z. 20 v. u. L incon-
cussus.) Daß man im Mittelalter Interesse an Origenes-
Homilien hatte, beweist die in den jüngsten lateinischen

j Hss. erfolgte Einteilung des Matthäus-Kommentars in
36 Homilien, die schon oben erwähnt ist.

In einem Vorwort bringt Kl. einige Nachträge (S-
IV Mitte 1. Matth. 28, 15, S. V, Z. 15 v. o. I. Marc.

8, 27 und Z. 2 v. u. L verschiedenster) und hofft even-

• tuell von Fachgelehrten noch weitere Mitteilungen aus
Hss. zu erhalten. Das vorgelegte Material scheint aber
für eine, alles Wesentliche enthaltende Ausgabe völlig
ausreichend zu sein, und Nachträge könnten nur zur Bestätigung
der gewonnenen Resultate dienen. Mit dem
Dank für die ausgezeichnete und ergebnisreiche Vorarbeit

I verbinde ich den Wunsch, daß die Ausgabe selbst trotz
aller Schwierigkeiten, die hier zu überwinden sind, recht
bald vollendet werden möge.
Weimar. Paul Koetschau.

i Grünewald, P. Dr. Stanislaus, O. M. Cap.: Franziskanische

Mystik. Versuch zu einer Darstellung mit besonderer Berücksichtigung
des hl. Bonaventura. München: Naturrechts-Verlag 1932. (XI,
147 S. m. 1 Abb.) 8°. RM 3.80.

Der Zug zur Mystik scheint ein Zeichen unserer
Zeit, daher kann vorliegende Bonaventurastudie zeitgemäß
genannt werden. Bonaventura steht durchaus im
Mittelpunkt der Arbeit. Die andern früheren und späteren
Mystiker aus dem Franziskaner- und Kapuzinerorden
, unter denen auffallenderweise der h. Antonius v.
Padua fehlt, werden mehr nur aufgezählt als dargestellt
(S. 18 ff. 127 ff.). Daher auch das durchaus scholastische
Gepräge des Buches, denn Bonaventura „bedient
sich nicht nur zur Darstellung der Entwicklung
des Seelenlebens bis zur Mystik hauptsächlich der Veränderungen
, die der Verstand durchläuft, sondern behält
in der ganzen mystischen Terminologie die auf die
griechische Philosophie zurückgehende intellektualistische
Redeweise bei" (S. 113). Dabei wird das Hauptgewicht
auf die Innenmystik gelegt, während äußere Erscheinungen
mystischer Art nur gestreift werden (Vorwort).
Die psychologische Betrachtung tritt gegenüber der
theologischen zurück. Die Wahrheitsfrage wird entschieden
mit den Worten: „Man erhält aus mystischen Theologen
nur dann sichere katholische Wahrheit, wenn sie
in ihrer Gesamtheit eine Ansicht übereinstimmend und
bestimmt als katholische Lehre vertreten" (S. 117) und
mit der Warnung vor rigoristischen Ansichten, da sonst
selbst bei kanonisierten Heiligen ihr Verhalten auf
weite Strecken als unkorrekt erscheinen würde und ihre
mystischen Gnaden zu einem guten Teil als Hysterie
und sonstige krankhafte Störung oder gar als dämonisches
Blendwerk bei Seite gelegt werden müßten (S.
118 f.). In der Darstellung der Mystik Bonaventuras
werden alle seine Schriften herangezogen und drei
Punkte herausgegriffen, um die sich das ganze Gebiet
der mystischen Theologie Bonaventuras gruppieren lasse.
1. Die Stellung der Mystik in der ganzen Gnadenordnung
: die Mystik ist die normale Höchstentwicklung des
christlichen Gnadenlebens (S. 46). 2. Die Vorbereitung
zur mystischen Vereinigung, die wohl möglich und durch
meditatio, oratio, contemplatio zu erstreben ist. 3. Das
mystische Zentralphänomen, die Beschauung Gottes, auf
das als Gipfel der Mystik alles hinzielt. Dabei ist freilich
zu bedenken, „daß die mystische Beschauung jedem
Versuch sie durch Worte auszudrücken entschlüpft.
Sie ist ein Erlebnis, das niemand in seiner Eigenart
kennt, außer wer es selbst gehabt hat" (S. 80). Und ihr
Hauptgegenstand, Gott selber, bleibt in undurchdring-
i liehe Finsternis gehüllt (S. 92). „Die Seele steht auch
hier Gott immer noch als dem großen Unbekannten
gegenüber selbst in der innigsten Vereinigung, deren sie
auf Erden fähig ist" (S. 108). „Wie hoch aber trotzdem
der Erkenntniswert der Beschauung ist, geht
daraus hervor, daß sie die Glaubensgewißheit zu einer