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Ausgabe:

1932 Nr. 1

Spalte:

12-14

Autor/Hrsg.:

Stork, Hellmuth

Titel/Untertitel:

Die sogenannten Melchisedekianer mit Untersuchung ihrer Quellen auf Gedankengehalt und dogmengeschichtliche Entwicklung 1932

Rezensent:

Völker, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 1.

12

Auch in diesem Teil trägt der Verf. originelle, aber
vielfach anfechtbare Exegese vor. Das Ergebnis von
Römer 1 ist radikal negativ. Das menschliche Sein existiert
im Vollzuge des Verlassens der Offenbarung
Gottes. Der Gott, der im Denken der sündigen Existenz
auftritt, ist der Gott des Gesetzes, nicht mehr der
Schöpfergott, sondern ein Götze, das Gesetz, ein Erzeugnis
des eIvcu aotföq. Hier habe ich Bedenken gegen
die Einführung des „Gesetzes" und gegen die sie begründende
Exegese von Rom. 1,32. Mit diesem Satze
soll Paulus vorstoßen bis zu der Wahrheit, daß alles
Handeln aus dem Wissen um das Gute heraus das Böse
gebiert. Aber Zahn, gegen den K. hier polemisiert, hat
wirklich richtig gesehen, daß Paulus hier Menschen beschreibt
, die „wider besseres Wissen und Gewissen" handeln
. Die Partizipialwendung t6 SucaCcopa toö öeoö
yvo-vtb; ist mit „obwohl" wiederzugeben — das ist grammatisch
die einzige Übersetzungsmöglichkeit — und
selbstverständlich ist das 8utau»na toö üeoü die ewig

fültige Satzung des einzig wirklichen Gottes. Es
ommt nicht darauf an, daß wir möglichst
tiefe, originelle und moderne Gedanken
aus Paulus herauslesen, sondern daß wir
hören und verstehen, was er wirklich sagt.

Demgemäß wird denn auch die wichtige Stelle Rom.
2, 14, wie mir scheint, nicht richtig interpretiert. Auch
hier ist die Meinung K.'s, die Existenz des Menschen
werde als eine von Gott geschiedene beschrieben: „die
Stimme des Gewissens" lasse auf keine Weise den wirklichen
Gott zu Worte kommen; das vouov nf) e/ovxes
eauTot? eloi vö|io? bedeute, daß das menschliche Dasein
ausschließlich mächtig sei, „sich selbst Gesetz zu sein";
das qnloei zeige für Paulus an, daß das der Existenz
immanente Gesetz nicht die Offenbarung des wirklichen
Gottes repräsentieren kann; das cpöoei sei das Zeichen
verlorener Geschöpflichkeit. Diese neue, übrigens in
ernster Diskussion mit den Kommentaren errungene Erklärung
scheint mir den Sinn der Aussage völlig zu
verkehren. Der Verf. übersieht ganz die Unterscheidung,
die Paulus hier einführt zwischen dem geschriebenen
Gottesgesetz, das nur die Juden haben, und dem in die
cpuoi? gelegten (Gottes)gesetz, das (die) Heiden besitzen.
Hier ist ein Einbruch wirklicher tbeologia naturalis bei
Paulus zu konstatieren und der Verf. hätte das <fvaei aus
Philo illustrieren sollen. Er konstruiert einen Gegensatz
zwischen Philo und Paulus, der so nicht besteht; daß
auch der Satz „das cpürm ist für Philo Aufweis von
Schöpfung und Erlösung in einem" anfechtbar ist, sei
nur nebenbei bemerkt.

Auch in dem Kapitel über Gesetz und Sünde, d. i.
über Römer 7 sucht der Verf. den Nachweis zu führen,
daß dem Gesetz keine Offenbarungsqualität zukommt.
Gesetz ist für Paulus „Grundphänomen der menschlichen
Existenz als solcher; es ist die menschliche Existenz
selbst, sofern sie sich als endlich" erweist im Tode.
Zwischen Gesetz und dem wirklichen Gott ist zu scheiden
. Der Gott des Gesetzes ist ein „Götze", der sich
selbst kraft seiner Existenz vergötternde Mensch. Weil

Auseinandersetzungen des zweiten offenbart sich, daß
die Interessen und Qualitäten des Verf.s wesentlich auf
dem Gebiet der systematischen Theologie liegen — und
weise nur noch kurz auf den Schluß. Manche Sätze, die
hier vorkommen, sind paulinisch, nur nicht in jenen loci
der theologia naturalis des Paulus ausgesprochen.
Der Gegensatz zwischen Philo und Paulus, den der
Verf. aufzuweisen sucht, ist für die „christliche" Theologie
des Paulus durchaus anzuerkennen. Das Eigentümliche
jener Römerbriefstellen (ausgenommen Römer 7)
ist dagegen, daß hier Paulus einmal Philo näher tritt
und Elemente einer „natürlichen Theologie" verwertet,
die sich sonst schwer in seine christliche Verkündigung
einreihen lassen. Das gilt auch von dem Paulus der
Areopagrede — K.'s Auslegung (im 1. Exkurs) ist
wiederum lehrreich, aber im Letzten m. E. nicht akzeptabel
.

Schon längst habe ich den Gedanken gehabt, es
möchten einmal Philo und Paulus in ihren Offenbarungsund
Erlösungslehren verglichen werden. Ein holländischer
Schüler von mir wird vielleicht einmal etwas
darüber bringen. Er oder wer sonst wird sich ernstlich
mit dem scharfsinnigen Buch von Kuhlmann auseinandersetzen
müssen, er wird aber eine andere exegetische
Methode befolgen, den richtigen Philo mehr zu
Worte kommen lassen müssen und dann wohl auch für
Paulus zu anderen Ergebnissen kommen.
Kiel. H. Windisch.

Stork, Lic. theol. Hellmuth: Die sogenannten Melchisedekianer
mit Untersuchung ihrer Quellen auf Gedankengehalt und doginen-
geschichtliche Entwicklung. Leipzig: A. Deichert 1928. (VIII, 82 S.)
8°. = Histor. Studien z. Hebräerbrief, Tl. 2. = Forschgn. z. Gesch.
d. neutestamentl. Kanons u. d. altkirchl. Literatur, hrsg. v. Th. Zahn,
Tl. 8, H. 2. RM 5—.

Man kann der kleinen Untersuchung von Stork
Sorgfalt und Umsicht im Verwerten der fragmentarischen
Quellen, die wir über die „Häresie" der Melchisedekianer
besitzen, zusprechen, während andererseits
eine gewisse Schwerfälligkeit im Gedankengang unverkennbar
ist, und auch das erzielte Resultat nicht der
aufgewandten Mühe entspricht.

Umständlich und überflüssig breit ist gleich cap. 1
(die Quellen und ihre bisherige Bearbeitung, S. 2—24),
denn warum müssen — mit z. T. entbehrlichen Anmerkungen
— noch einmal alle in Betracht kommenden
Quellen aufgezählt werden, wo doch bereits im 2. Bande
von Holls Epiphanius-Ausgabe (S. 324, Anm. zu Z. 2 f.),
oder bei v. Harnack DG. 1, S. 714, Anm. 1 alles Wesentliche
zusammengestellt ist? Es hätte völlig genügt,
wenn sich Verf. auf die Angabe der beiden Quellen beschränkt
hätte, die er wirklich untersucht hat. Da verdienen
zunächst seine Ausführungen über den Verfasser
der Homilie des Chrysostomus: de Melchisedeco (MSG
56, 256 ff.) Beachtung. Zwar ist das Resultat nicht
völlig neu, denn schon Bardenhewer trat für Eustathius
von Antiochien als den Verfasser der fraglichen Polemik
ein, aber Stork hat doch in gründlicher Weise — anknüpfend
an Haidachers Arbeit in Z. kath. Th. 19, 1895,
der Mensch von Römer 7 den wirklichen Gott nicht ! S. 162 ff. und bei gleichzeitiger Ablehnung ihrer Schlußkennt
, darum fragt er: Wer wird mich erlösen. folgerung — den Nachweis erbracht, daß nur Eustathius
Ich halte auch diese ganze scharfsinnig durchge- der Autor sein könne, wobei mir das Anführen von

führte Interpretation für unhaltbar, aber doch für lehrreich
. Man mag einmal versuchen, diesen in Existentialphilosophie
übersetzten Marcionitismus bei Paulus nachzuweisen
. K. würde recht haben, wenn der vdiio? Tfj;'
dliapTÜtc; Röm. 7, 23 mit dem Gesetz identisch wäre.
Aber die Unterscheidung ist unumgänglich. Römer 7 ist
durchaus eine Apologie des göttlichen Gesetzes.
Es gehört zur Existenz des konkreten, sündigen Menschen
, daß ein göttliches Offenbarungsinstitut in sie
hineinragt und hineinwirkt, nur eben nichts auswirkt,
weil dieser Mensch das irvEüpa nicht hat. Wer wird
mich erlösen, schreit dieser Mensch, weil ihm ja im
Gesetz schon der wirkliche Gott begegnet ist.

Ich übergehe die Exkurse — in den interessanten

Hieronymus, ep. 73, 2 eine besonders wichtige Instanz
zu sein scheint. Auch bei der Untersuchung einer zweiten
Quelle scheint mir St. eine glückliche Hand gehabt
zu haben, des angeblichen Sermo des Origenes: de
Melchisedech, den W. A. Baehrens ediert hat (TU. 42, 1,
1916, 246 ff.). Gegen Baehrens erhebt es St. zur Gewißheit
, daß nur ein Lateiner ihn verfaßt haben könne,
denn die altlateinische Bibelübersetzung ist durchgehends
benutzt (cf. S. 17 f.) während mir St.s Vermutung, daß
Euangelus, der Empfänger von Hieronymus, ep. 73, der
Autor gewesen sein soll, in der Luft zu schweben
scheint.

Den Hauptbestandteil des Buches bildet cap. 2 (Die
„Häresien" der Melchisedekianer, S. 25—71), wo St.