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Ausgabe:

1932 Nr. 12

Spalte:

274-275

Autor/Hrsg.:

Urkunden und Akten des Württembergischen Staatsarchivs. 1. Abt., I.: 2. Teil

Titel/Untertitel:

8. - 11. Lfg 1932

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 12.

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und so konnte die Vorstellung Platz greifen, daß der
Fall der Stammeltern die Herrschaft des Todes und der
Sünde begründet habe. Doch kennt das AT. nur ein in
einem magischen Sündenbegriff wurzelndes Erbverderben
, keine Erbsünde. Und vollends ist dem vom Geiste
der großen Propheten durchdrungenen Jesus von Na-
zareth jede derartige Vorstellung völlig fremd, vielmehr
hat er durch seine Reden und seine Handlungen genau
das Gegenteil bekundet. Aber auch Paulus spricht in
der berühmten Stelle Rom. 5, 12 ff. nicht von einer Erbsünde
sondern nur von einem doppelten Grund des allgemeinen
Todesloses, einem im Sündenfall naturhaft
wurzelnden und einem persönlichen, mit der Sündhaftigkeit
der einzelnen Menschen gegebenen. Wie in der
apostolischen und nachapostolischen Zeit, so fehlt auch
in der weiteren Überlieferung, bei den Kirchenvätern des
Ostens und des Westens, das Bewußtsein einer von
Adam her vererbten Sündenschuld. Selbst wenn sie gelegentlich
von einer Erbsünde reden oder zu reden scheinen
, meinen sie bei näherem Zusehen doch nur das Erbverderben
oder Befleckungen, wie sie von alters her
gerne mit Empfängnis und Geburt verbunden gedacht
werden. Zur Abwaschung dieser Befleckungen diente die
seit Ende des 2. Jahrhunderts aufkommende und seit
dem 3. Jahrhundert sich weiter ausbreitende Sitte der
Kindertaufe, die außerdem, wie bei den Erwachsenen,
die „Versiegelung" und damit die Anwartschaft auf das
Himmelreich zu verschaffen hatte. Gerade sie aber
bildete dann ein Hauptbeweisstück für die Vererbung der
Sünde Adams als Sünde beim eigentlichen Erfinder der
Erbsündenlehre, dem hl. Augustin. Außer der Übung
der Kindertaufe, die er irrigerweise auf apostolische Anordnung
zurückführte, glaubte dieser aber auch, wiederum
irrigerweise, die ganze kirchliche Überlieferung
im Osten und im Westen für sich zu haben. Ebenso hinfällig
ist sein Schriftbeweis, bei dem das bekannte
in quo der lateinischen Bibel in Rom. 5, 12 die Hauptrolle
spielte. In Wirklichkeit ist seine ganze Auffassung
wie mit Schrift und Überlieferung, so auch mit dem
christlichen, ja mit jedem geläuterten Gottesbegriff, nicht
zu vereinbaren. Sie trägt vielmehr alle die Züge an sich,
die die magische Sünde von jeher kennzeichnen. Tatsächlich
blieb auch der Gesamtanschauung, in die seine Erbsündenlehre
eingebettet ist, ein durchschlagender Erfolg
nach seinem Tode, wie zu seinen Lebzeiten, versagt.
Zwar erklärte das Konzil von Trient die Erbsünde für
eine jedem Adamskind anhaftende wahre und wirkliche
schwere Sünde. Da sie aber anderseits doch keine persönliche
Verfehlung ist, sondern nur in einer ihm von
Adam her überkommenen schuldbaren Beschaffenheit
wurzelt, so läuft sie im Grunde doch wieder, wie auch
bei Augustin selbst, auf ein bloßes Erbverderben hinaus
und mündet damit in den alten breiten Strom der magischen
Sünde ein, die sich in alle Religionen der Erde
einzuschleichen verstand und auch in der Kirche zu behaupten
vermochte.

Dies der Gedankengang der scharfsinnigen und lehrreichen
Untersuchung Schnitzers, einer vollständigen Neubearbeitung
und bedeutenden Erweiterung seines in den
„Ricerche Religiöse" V (1929) S. 494—522 veröffentlichten
Aufsatzes. Natürlich bringt er für seine religionsgeschichtlichen
Ausführungen entsprechende Belege aus
den Stimmen der Naturvölker, dem Veda, babylonischassyrischen
Texten, dem AT. Auch die Kirchenväter
läßt er im Einzelnen zu Worte kommen — die Schriften
des Origenes würden übrigens besser nach der Berliner
Ausgabe angeführt, soweit sie dort erschienen sind, und
die gegen die Pelagianer gerichteten Schriften Augustins
nach der Wiener Ausgabe —, und wenn vielleicht über
die Abtönung der einen oder andern Stelle gestritten
werden könnte, so scheint mir doch seine Grundauffassung
richtig zu sein. Beim Ambrosiaster (S. 41) könnten
auch die, höchstwahrscheinlich von demselben Verfasser
stammenden ps.-augustinischen Quaestiones V. et
N.Test, herangezogen werden, wo in Quaest. 127 (S.

1 399 ff. Souter, vgl. auch Quaest. 13. 14. 19) die au-
j gustinische Auffassung wie zum voraus abgelehnt ist, ob-
: wohl auch hier in c. 24 (S. 409, 8) von einer Geburt der
Menschen sub peccato gesprochen wird, nachdem in
| c. 16 (S. 406, 10) entschieden erklärt war: non nativitas
crimen incurrit, sed voluntas. Noch auf einen andern
Punkt möchte ich hier aufmerksam machen. Bekanntlich
i ist in mittelalterlichen Ablaßbullen und Ablaßbriefen
| häufig von einer remissio omnium peccatorum die Rede,
i und* die katholischen Theologen versichern uns, daß
dabei unter pcccata nicht Sünden, sondern Sündenstrafen
I zu verstehen seien. Ist es nun nicht seltsam, wenn die-
i selbe katholische Theologie darauf besteht, daß die vor-
augustinischen Kirchenväter, wenn sie von einer von
j Adam her sich fortpflanzenden Sünde sprechen, nicht
die Sündenfolgen und Sündenstrafen, sondern eine ei-
| gentliche und wirkliche Sünde meinen, nur weil Augustin
| sie so verstanden hat? Augustin hat sie eben mißverstanden
, weil er es nicht versucht hat, sie aus ihrer Gesamtanschauung
heraus zu verstehen. Und wie er hier
,' eine Überlieferung angenommen hat, wo keine vorhanden
war, so hat er in seinem Kampf gegen die Pelagianer in
einem andern Punkte eine Überlieferung bestritten, wo
i sie tatsächlich, wenn auch nicht allgemein, bestanden
hat. Er behauptete nämlich, daß vor den Pelagianern,
* die die Notwendigkeit der Taufe nur zur Erlangung des
' Himmelreiches, nicht auch zur Erlangung des ewigen
' Lebens gelten ließen, nie jemand einen Unterschied zwischen
ewigem Leben und Himmelreich gemacht habe.
Daß aber ein solcher Unterschied schon vorher nicht
selten gemacht worden ist, werde ich in einem Aufsatze
zeigen, der bei der Schriftleitung der „Ricerche Religiöse
" liegt.

München. Hugo Koch.

Urkunden und Akten des Württembergischen Staatsarchivs.

1. Abt. Württ. Regesten v. 1301 - 1500. Hrsg. v. d. Württ. Staatsarchiv
in Stuttgart. I. Altwürttemberg. 2. Tl., 8.—11. Lfg. Stuttgart
: W. Kohlhammer 1930. (S. 463—594) 4". RM 8-.
Die Regesten haben mit 14776 Nummern ihren
vorläufigen Abschluß erreicht. Zu erwarten ist noch das
Register, dessen Herstellung viel Mühe machen wird, für
das man aber neben dem Personen- und Orts- auch ein
Sachregister wünschen möchte. Die Fülle des dargebotenen
Stoffs läßt sich nur an der Hand eines solchen
überblicken. Die Schlußlieferung umfaßt 15 altwürtt.
Ämter von Rosenfeld bis Winnenden. Darunter sind be-
1 sonders umfangreich vertreten die wichtigsten Ämter
j Sindelfingen, Stuttgart, Tübingen und Urach. Hier findet
sich viel Material für die Geschichte Eberhards i. B.,
[ der Stifter Sindelfingen, Beutelsbach-Stuttgart und Urach,
sowie der Entstehung der Universität Tübingen. Was
schon in den früheren Lieferungen hervortrat: die Rührigkeit
der württ. Grafen in der Vermehrung ihres Besitzes
und die Regsamkeit des kirchlichen Lebens in
i Stiftungen aller Art, wird neu bestätigt. Eine ganze
| Reihe Pfarreien verdankt der 2. Hälfte des 15. Jahrh.s
| ihre Entstehung. Die Landkapitel, denen J. Ahlhaus für
das Bistum Konstanz seine schöne Arbeit gewidmet hat,
sehen wir in Tätigkeit. Das dem Bistum Speyer zugehörige
Landkapitel Vaihingen ist durch seine Statuten
von 1497 vertreten. Die Abneigung gegen die Besetzung
der Pfarreien durch Mönche tritt wiederholt zu taee
(Nr. 11914. 11956). Lebhaft ist der Handel mit Kirchensätzen
am Anfang des 14. Jahrh.s.

Eigentümlich sind die Patrozinien S. Syrus 1423 (Nr. 12 193),
S. Sergius und Bachus 1353 (Nr. 14 208). Das Stuttgarter Predigerkloster
ist 1473 gegründet, hat aber Urkunden des Predigerordens schon
von 1423 an. Die Statuten des Stifts Sindelfingen von 1297 werden
vom Bischof 1324 bestätigt. 1405 löst ein Mann seine Ehefrau mit
4 fl. aus der Leibeigenschaft, 1441 ist der Wert eines andern Leib-
j eigenen 7 fl. 1484 läßt sich ein Angehöriger der Speirer Diözese in
, Rom zum Priester weihen, ohne daß seine Tätigkeit in der Diözese an-
j gegeben wäre (Nr. 11 890). 1482 beträgt die Pension eines Priesters
I 20 fl. und 32 Scheffel (Nr. 11 967); 1459 ist das Einkommen der
] Pfarrei Rems angegeben (Nr. 14 444); 1421 werden die primi fruetus
i von vier Pfarreien auf je 50 fl. festgesetzt (Nr. 12 234). 1328 wird