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Ausgabe:

1932 Nr. 1

Spalte:

8-9

Autor/Hrsg.:

Dibelius, Martin

Titel/Untertitel:

Urchristentum und Kultur 1932

Rezensent:

Völker, Walther

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 1.

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gar das Heil ein unsicherer Besitz selbst beim Christentum
? Die Heilsbotschaft von Christus ist etwas wesenhaft
so völlig Anderes, daß noch viel stärker, als Scho-
merus es tut, die Kluft, den „andern" Religionen gegenüber
aufgezeigt werden kann und muß. Die ganze Fragestellung
über höheren oder minderen „Wert" der Religionen
muß beseitigt werden. Es gilt, die Eigenart der
Religionen * schärfer herauszuarbeiten und sie dann in
ihrem „Entweder-Oder" gegenüberzustellen. An Einzelheiten
nur noch dies: Das Problem der Parallel-Erzäh-
lungen aus Buddhas Leben zum Leben Jesu liegt heute
nicht mehr darin, ob diese oder jene von den andern
abhängig sind, sondern darin: Werden solche Wunder
aus dem Leben vieler Religionsstifter und dem Leben
aller Frommen aller Religionen bis in die Gegenwart
berichtet, können wir dann noch, wie früher geschah,
urteilen, diese Wunder aus dem Bereich des Christentums
sind gottgewirkte Tatsachen, die Wundererzählungen
der andern Religionen sind entweder Legenden
ohne tatsächlichen Hintergrund oder Taten, vom Teufel
gewirkt? Erkennt man aber solche Wunder auch in
andern Religionen als fromme, nicht teuflische Tatsachen
an, so erlischt die Beweiskraft der Wunder für
die christliche Theologie völlig. In der Mission war
diese Beweiskraft ja immer gleich Null. Denn den
Nichtchristen sind entweder ihre Wunder imponierender
als die christlichen, oder zum wenigsten urteilt man
den christlichen gegenüber, daß man dergleichen ebenso
habe. Die Wunderfrage hat sich ja bei uns eigentümlich
verschoben, seit dem die starre Geltung der Naturgesetze
bestritten ist. Es sind viel mehr Wunder möglich, als
man vor 30 Jahren annahm. Gottlob, daß man von
diesem religiösen Materialismus frei ist. Aber wenn
nun doch in allen Religionen solche Wunder vorkommen
? Sie kommen tatsächlich vor, bis heute. Da liegt
das Problem! So einfach, wie sich Schomerus S. 17 mit
diesem Problem abfindet, geht es nicht. — Das Buch
mag schlichten Christen allerlei Gutes geben können. Es
wird über Buddhas Leben und Lehre natürlich recht
ordentlich gehandelt. Aber zu meinem großen Bedauern
kann ich über das Buch als Ganzes nicht anders urteilen
als geschehen.
Berlin. J.Witte.

Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft. (Sitz : Frankfurt
a. M.) XXI. Frankfurt a. M.: J. Kauffmann 1930. (VI, 374 S.)
8°. geb. RM 14-.

Für die Geschichte des alttestamentlichen Kanons
und Textes haben Bedeutung die Aufsätze von B. J e i -
t e 1 e s, Die Bibel im babylonischen Talmud, S. 1 ff.,
und von S. Bamberger, Die Bedeutung des Qeri
u. Kethib, S. 39 ff. Der erstere gibt eine geordnete
Übersicht über die Weise, in welcher der babyl. Talmud
von den Teilen, Büchern und Textformen des Kanons
redet, der Letztere, in Fortsetzung von Jahrb. XV, S.
217 ff., erörtert die verschiedenen Theorien über die
Entstehung des Qeri und Kethib und kommt im Zusammenhang
mit der Tradition des babyl. Talmud zu dem
Resultat, daß beide uralte gleichberechtigte Lesarten
seien, das Qeri die eigentliche Texfuallesung nach dem
Zusammenhang der Erzählung, das Kethib die Andeutung
eines meist verloren gegangenen geheimen Sinnes.
S. Grünberg gibt S. 199ff. exegetische Bemerkungen
zu Ri. 6, 25 ff., Jes. 41, 3 („er wird sie verfolgen,
durchwandern den Weg zu Fuß, nicht zum "Frieden
kommen"), Jes. 45, 8 (hebr. rä'aph = ar. fara'a „herabsteigen
"), Hos. 11, 10 f. (hebr. häsad = ar. hadara

„erstarren" und ar. hadara „eilen". Sehr eingehend behandelt
M. Münk S. 129ff. die jüdische Tradition von
Esras Herkunft, Tätigkeit, Lehre und Charakter, sie beansprucht
besondere Bedeutung wegen des Zusammenhanges
, in welchem die spätere Form des Judentums
mit den Anordnungen dieses Mannes geschaut wird. Geschichtliche
Kritik wird nicht versucht. J. Jeiteles
stellt S. 109 ff. zusammen, was von nichtjüdischem Recht

im Talmud erwähnt wird, ohne das Recht der Griechen,
Römer, Perser selbst zum Vergleiche heranzuziehen.

Der neueren Geschichte der Juden gehören an die Aufsätze von
B. B r i 11 i n g (Die Juden Hamburgs und Palästina, S. 19 ff.), H. F1 e s c h
(Das Neu-Raußnitzer Steuerbuch, S. 89 ff., Geschichte der mährischen
heil. Vereine, S. 217 ff.), M. Stern (Low, nicht Liwa. S. 259ff.), S.
Unna (Vereinstatuten von 1822, S. 265ff.), S. A. Rochlin (Die
deutschen Juden in Südafrika, S. 273ff.), A. Cassuto (Die portugies.
Juden in Glückstadt, S. 267ff.), M. Weinberg (Die hebr. Druckereien
in Sulzbach, S. 319 ff.).

Greifswald. G. Dal man.

Dibelius, D. Dr. Martin : Die Pastoralbriefe. Erklärt. 2., völlig
neu bearb. Aufl. Tübingen : J. C. B. Mohr 1931. (II, 101 S.) gr. 8°.
= Handbuch z. N. T., hrsg. von H. Lietzmann, 13. RM 4.50; geb. 6-.

Subskr. „ 4—; „ 5.50.

Dib. legt mit der 2. Auflage seines Kommentars
eine vollständige Neubearbeitung der 1. Auflage vor.
Die neu erschienene — in- und ausländische — Literatur
ist verzeichnet und verarbeitet. Das religionsgeschichtliche
Vergleichsmaterial ist vermehrt: vgl. namentlich
die Exkurse zu II. Tim. 1, 10: a<avfQ und inufiävEia.
Eine Reihe neuer Beobachtungen für die relativ späte
Abfassung der Past. ist hinzugetreten. Besonders der
statische Charakter des Christentums der Briefe
wird betont: „Es handelt sich um ein Christentum der
rechten Lehre und der guten Werke; eine als Gemeindebesitz
vorausgesetzte Dogmatik und eine bürgerliche
Ethik verbinden sich zu einem durchaus statischen
Christentum, in dem von der dynamischen Gespanntheit
des eschatologischen Evangeliums des Paulus nichts
zu finden ist" (S. 3). In der Exegese wird immer wieder
darauf hingewiesen: vgl. etwa den Exk. zu I. Tim.
1, 5 „Gutes Gewissen" oder zu II. Tim. 1,3—14; 1,6;
Tit. 1, 9 und vor allem den wichtigen — überzeugenden
— Exk. zu I. Tim. 2,2: „das Ideal christlicher Bürgerlichkeit
". Zugleich wird — noch stärker als in der
1. Auflage — der Einfluß der kultischen Sprache in
den Briefen betont: vgl. etwa den Exk. nach 1. Tim. 1,5:
juotöi; 6 löyoi oder zu 6, 13. 15. Durch diese Feststellungen
werden die Momente, die gegen die pauli-
nische Abfassung sprechen, um ein weiteres, sehr wesentliches
Moment vermehrt und die Bedeutung der
Briefe wird dadurch in ein helleres Licht gerückt; sie
„beruht nicht zum mindesten darin, daß sie im Kanon
die einzige Urkunde einer solchen christlich-bürgerlichen
Lebensgestaltung darstellen" (S. 25).

Der Kommentar hat durch diese Fülle neuer Beobachtungen
viel gewonnen. Sein besonderer Wert liegt
in der klaren Art der Forschung; dadurch ist er vorzüglich
geeignet in die Probleme der Past. einzuführen.
Göttingen. H. Seesemann.

Dibelius, Martin: Urchristentum und Kultur. Rektoratsrede
geh. bei der Stiftungsfeier der Universität am 22. Nov. 1927. Heidelberg
: C. Winter 1928. (37 S.) 8°. = Heidelberger Universitätsreden
2. RM 1.20.
Der bekannte Heidelberger Neutestamentier entwirft
in seiner Rektoratsrede ein fesselndes Bild vom Verhältnis
des Urchristentums zur Kultur, das er in einen weiten
kulturgeschichtlichen Rahmen hineinstellt. Ausgehend
von der eschatologischen Haltung und der soziologischen
Stellung Jesu wird im einzelnen nachgewiesen, „daß der
Westen für den Osten bereitet und der Osten westlichem
Wesen angenähert war" (S. 11), was eine Verbindung
von Christentum und Kultur ermöglichte. Das allmähliche
Zustandekommen dieser Synthese wird auf weltanschaulichem
(S. 11—17), sozialem (S. 17—23) und
literarischem (S. 23—28) Gebiete in großen Zügen geschildert
, wobei alle Ausführungen unter den Leitgedanken
einer Spannung zwischen Kulturkritik und Kulturgestaltung
gestellt werden.

Die Darlegungen sind knapp gehalten, und das
] Ganze trägt einen in sich geschlossenen Charakter.
! Überall spürt man in der Formulierung der einzelnen
] Sätze und in den zahlreichen Anmerkungen (S. 33—37),
| daß dies kleine Werk auf einer Fülle von Einzelstudien