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Ausgabe:

1932

Spalte:

257-258

Autor/Hrsg.:

Müller, Karl

Titel/Untertitel:

Zweihundert Jahre Brüdermission 1932

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 11. '258

Müller, Karl: Zweihundert Jahre Brüdermission. i. Bd.: Das schließlich ihren Lebensunterhalt selbst erwerben muß-
erste Missionsjahrhundert. Herrnhut: Verlag d. Missionsbuchhandlung ten, SO trat sehr bald die Frage nach „Mission und Wirt-
1931. (VIII. 38n s.) s". seh. RM 8-. schaftsleben" in den Vordergrund und sie haben /um
Wenn man auf die /ahlreichen Arbeiten aus der Segen auch der einheimischen Bevölkerung in manchen
Geschichte der Brüdermission in den beiden letzten Jahr- Landstrichen „ein blühendes Wirtschaftsleben entfaltet"
zehnten sieht, die großenteils eine üngewöhnlich hohe 1 (S. 327). Schwierige Fragen für die Mission ergaben
Darstellungskunst auf gediegener wissenschaftlicher sich auch aus „ihrem Verhältnis zur weißen Bevölkerung,
Grundlage zeigen wird man oft schmerzlich den Abstand zu Staat und Kirche" und die zurückhaltende Stellunggegenüber
anderen kirchlichen Gemeinschaften empfin- nähme der Brüder gegenüber Aufhebung der Sklaverei läßt
den, die ein historisches Studium ihrer Entwicklung mehr sich nur aus der allgemeinen Zeitlage erklären, die eben
oder weniger vermissen lassen. Ein hervorragender Be- j „die Sklaverei keineswegs als eine Anklage gegen das Chri-
vveis des ununterbrochenen geschichtlichen Studiums stentum empfand". In ahnlicher Weise wird es „uns
innerhalb der Brüdergemeinde ist die zur 200 Jahrfeier Heutigen nicht ganz leicht, für die Übung des Losge-
veranstaltete Herausgabe von 2 Bänden, deren erster brauchs das rechte Verständnis aufzubringen" (S.
sich auf das erste Jahrhundert (1732—1832) erstreckend, 293 ff.), darum sind wir hier dem Verfasser für seine
von K. Müller bearbeitet wurde, dem ein zweiter in der wohlabgewogenen Darlegungen zu besonderem Dank
Bearbeitung von Adolf Schulze, dem Verfasser des „Ab- ' verbunden. Kurze Abschnitte über die „wissenschaftliche
risses einer Geschichte der Brüdermission" (1901), die I Arbeit" und „das Missionslied" sowie Literatur- und
Zeit von 1832—1932 umfassend, folgen soll. Zunächst Quellenangaben beschließen den Band, dem auch eine
liegt uns der 1. Band vor, der auf gründlichen archivali- orientierende Weltkarte beigegeben ist. Für den Heiischen
Studien beruhend, die Anfänge des Missionswerks ■ gionshistoriker ist es schmerzlich, wenn der Verfasser
in den Sklavenländern (Westindien, Suriname), in Grön- 5. 342 schreibt: „Von einem Studium der fremden Reli-
land und Afrika, bei den Indianern in Nordamerika uns gionen war in der Anfangszeit kaum die Rede. Dazu
miterleben läßt, ohne dabei menschliche Schwächen der j wurde die heidnische Religion zu sehr unter dem beson-
Brüder zu beschönigen oder gar zu verhüllen. Bei allem deren Gesichtsvvinkel gesehen, der sie lediglich als das
heroischen Opfermut wird infolge mangelnder Bildung, j zu überwindende finstere Heidentum erscheinen ließ" —
allzu geringer sprachlicher und ärztlicher Vorbereitung t eine Beobachtung, die leider auf fast alle älteren Mis-
die Wirksamkeit dieser enthusiastischen Sendboten ver- i sionsarchive zutrifft. Nur Barth. Ziegenbalg hat hier
schiedentlich zu einem tragischen Konflikt. „Es erscheint ' eine rühmliche, ihm von seinen Zeitgenossen wenig ge-
uns Nachgeborenen immer wieder aufs neue rätselhaft, j dankte Ausnahme gemacht.

wie wenig planmäßig man in jener klassischen Zeit der j Als schlichtes Volksbuch, das aber trefflich in die

Mission zu Werke gegangen ist, sondern wie man eine weitverzweigte Arbeit einführt, ist gedacht: „Auf der

immer neue Zersplitterung der schwachen Kräfte gewagt I Hut des Herrn" Rückblick auf zweihundert Jahre Herrn-

hat. Man ließ sich von Gott führen, von ihm die Arbeit ; huter Missionsgeschichte von D. S. Baudert (Verlag

in den Weg legen, ohne danach zu fragen, ob man auch der Missionsbuchhandlung in Herrnhut 1931 8° 139 S.

die Mittel haben würde, es durchzuführen. Was einer ; 2,50 RM.; geb. 3,50 RM.), mit einer Reihe sehr guter

anderen Zeit als unverantwortlicher Leichtsinn erscheinen ' Bilder ausgestattet.

würde, war jenen Menschen Gehorsam gegen Gottes un- i München. r. p. Merkel.

erforschlichen Willen, dessen Kraft und Größe gerade I---—-.

seine Selbstverständlichkeit war" (S. 163). Welche Ent- Oepke, Prof. D. Albrecht: Geschichtliche und übergeschicht-
täuschungen mußte man darum auf der Goldküste und liehe Schriftausler/ung. Gütersloh: C.Bertelsmann 1931. (48 S.)
in Ostindien erleben! Auch kamen hier die ein mehr ge- 8° RM 1.50.
fühlsmäßiges Laienchristentum vertretenden Brüder in Die Beiträge zur biblischen Hermeneutik haben sich
Gegensatz zu den landeskirchlichen Geistlichen der dä- ; in den letzten Jahren dermaßen gehäuft, daß es an der
nisch-hallischen Mission sowie in Grönland zu dem j Zeit war, diese zahlreichen Verhandlungen einmal zusam-
bedeutenden amtlichen Seelsorger der königlichen Kolo- I menfassend zu ordnen und zu beurteilen. Oepke hat sich
nie, Hans Egede. Die Darstellung dieses „wenig Christ- j dieser Aufgabe nicht nur mit viel Geschick und Sorglichen
Streits mit Egede" (S. 122 ff.) muß um ihrer ; samkeit unterzogen, sondern zugleich auch für die Wei-
Objektivität willen ganz besonders hervorgehoben wer- j terarbeit auf diesem Gebiet klare und selbständige, wert-
den, denn Egede erwies sich trotz aller gewiß unberechtig- | volle theologische Richtlinien gegeben. Der Verfasser
ten Anfeindungen von seiten der Brüder als deren treuer : nimmt zur Durchführung seiner Arbeit einen doppelten
Helfer in jeder Notlage. In dem Abschnitt über die Ausgangspunkt, einen geschichtlichen bei Luther und
„Missionsversuche im Orient" habe ich bei Erwähnung einen philosophisch-systematischen bei der jüngsten gei-
der Missionsarbeit unter den Kalmücken (S. 249) den steswissenschaftlichen Theorie vom Verstehen nach Dil-
Namen des anfänglich in Sarepta als Kaufmann tätigen, they, Eduard Spranger und Joachim Wach. Luther
späteren bedeutenden Religionsforschers Isaak Jakob j stellte alle Mittel der Philologie seiner Zeit in den
Schmidt (1779—1847) vennißt. Besonders auf Schluß- i Dienst zur Erforschung des originalen, geschichtlichen
reich sind auch die sorgfältigen Darlegungen K. Müllers j Schriftsinns, betonte aber ebenso auch mit Nachdruck
i'ber „Missionsgedanken und Missionsprobleme" im i die Unerläßlichkeit pneumatischer Begabung und Reife.
III. Teil (S. 261 ff.). Nach einer Charakteristik der Zin- Diese Einheit von Historie und Pneuma, die nur bei
zendorfschen Anschauung über die „Aufgabe der Heiden- Bengel noch eine kurze Nachblüte erlebte, brach ausein-
mission", schildert er den „Zeugentrieb", der zur Sen- ander in Orthodoxie und Aufklärung. Heute, nach den
dung in dieser ersten bewegten Zeit Anlaß gab und die gewaltigen, aber einseitigen Leistungen von Historismus
„Boten", die dazu verwendet wurden. „Es ist geradezu j und Psychologismus drängen übergeschichtliche und geerstaunlich
, wie die Frage nach der besonderen Eignung ; schichtliche Schriftauslegung wieder mächtig zueinander,
für den Missionsdienst in den ersten Jahren überhaupt : Zu Hilfe kommt dieser Bewegung die philosophische
nicht diskutiert wurde. Nach dem Grad geistiger Bil- Neuorientierung über das Subjekt-Objekt-Verhältnis. Die
dung, im besonderen etwa nach vorhandener Sprachbe- sichere Vorstellung von einem neutral registrierenden
gabung wurde nicht gefragt. Der Theologe wurde nicht Beobachter erweist sich immer mehr als naive Selbstbewußt
zurückgesetzt, aber auch nicht bewußt bevorzugt" täuschung. Am Verstehen ist immer auch unser Vor-
(S. 279). Damit hängt auch die eigentümliche Missions- verstehen beteiligt, was an sehr eindrucksvollen Beimethode
der Brüder zusammen, die „an Stelle lehrhafter spielen aus der wissenschaftlichen Arbeit von Reitzen-
Unterweisung das persönliche Zeugnis setzte", wie ihnen stein illustriert wird. Oepke würdigt sodann in vor-
das besonders in der Indianermission die Sympathien der nehmer Kritik die modernen Versuche biblischer Her-
Rothäute unmittelbar erweckte. Da die Brüder fast aus- meneutik und gelangt zu verschiedenen Gruppenzusam-