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Ausgabe:

1932

Spalte:

246-247

Autor/Hrsg.:

Dubnow, Simon

Titel/Untertitel:

Geschichte des Chassidismus 1932

Rezensent:

Bischoff, Erich

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drei Kapitel der Genesis beschrankt, um die übrigen
etwa als Ausläufer zu beobachten; alle Kapitel bis
11, 9 behandelt er gleich eingehend und als gleichen
Ranges. Er zerlegt die biblische Urgeschichte in Abschnitte
, die er einzeln in einen deutschen Targum umarbeitet
; voraus schickt er, obgleich er seine „Leser
nicht unter Theologen" sucht S. 4, Erläuterungen zur
Grammatik, Text-Überlieferung und zum Wortschatze
des Originals. Dann legt er dar, was er sich als bleibenden
Gedanken-Inhalt des Abschnitts vorstellt. Von
Zeit zu Zeit legt er Ausführungen über die literarische
Beschaffenheit der Quelle und Zusammenfassungen ein.
Hübsch sieht er die Bedeutung des 4. Schöpfungstags
in der Ermöglichung lebensnotwendiger Orientierung
nach Raum und Zeit. Zum Paradiese gehört auch Ko-
habitation. Nachdem der Verf. nicht übersehen hat, daß
1, 7 gri den Satz „daß es gut war" einmal öfter enthält
als Hbr., gibt er S. 70 eine gute Rechtfertigung des letzteren
. Eine Veranlassung zu dem Buche scheint nach
S. 340. 64 das anthroposophische Spiel mit der Genesis
gegeben zu haben. Krämer ist es unermüdlich darum zu
tun, daß die biblische Urgeschichte aus prophetischem
üieiste hervorgegangen ist. „Prophetisch" bedeutet sowohl
die Unterordnung des Stils und des Erzählers
unter einen übermenschlichen Inhalt als auch die Gültigkeit
und Anwendbarkeit des Inhalts in einer nach der
Urgeschichte bestehenden Menschheit. Auf dem Wege
einer Intuition hat der Schreiber der Urgeschichte aus
psychologischen Gegebenheiten und aus Traditionen, die
schon eine bewegte Entwicklung hinter sich hatten, die
wahre Darstellung der Anfänge einer Beziehung der
Menschen zu Gott gefunden, eine Beziehung, an welcher
das Wichtigste dies ist, daß sie durch Gott eröffnet und
immer weiter bestimmt wird. Der Schreiber zögerte
auch nicht, seiner Schrift ein solches Aussehen zu verleihen
, daß (S. 24) sie als mosaisch erscheint und dahinter
der Anteil des Schreibers verschwindet.

Dieser Begriff von Profetie ist nicht nur erweicht
und von der herben Sprödigkeit und Wirklichkeit der
Bibel weit entfernt, sondern auch ein Erbstück aus der
Schultheologie. Die Personen der Lirgeschichte werden
fortwährend als „Repräsentanten", „Typen" oder „typische
Repräsentanten" aufgefaßt, um ihre Bedeutung
für die „Menschheit" behaupten zu können. Das Paradies
ist nicht der Naturzustand, sondern das Zeitalter
des erstmaligen Kulturzustandes. Eden ist Wonneland;
der Bau des Weibes aus einer Rippe besagt, daß der
Platz der Frau an der Brust ihres Mannes ist. Die Verwahrung
gegen die Anthroposophie hindert also nicht
ein weitgehendes Entgegenkommen mit ältester, altkirchlicher
Methode. Gen 4, 15 redet so, weil es später
ja doch mehr Menschen geben wird wie augenblicklich.
Mit dieser Auskunft glaubt Krämer sicher zu stellen,
daß nirgendwo die Urgeschichte des Jahwisten ihre Zusammengesetztheit
durch eine Aporie verrate. Denn wo
bliebe sonst der „logische Aufbau der Geschichtswahrheiten
" (S. 37 u. ö.)? Eine verfängliche Formel und
kein Begriff. 2, 4 A gehört zum jahwistischen Schöpfungsberichte
und deshalb sagt dieser ebensogut bara
wie Gen. 1; es gibt keine Kennzeichen stilistischen Unterschiedes
. Die S?cherheit eines solchen Urteils lebt davon,
daß das richtige Urteil über 2, 4 A, es sei subscriptio,
nicht beachtet wird. Und das geschieht absichtsgemäß
vor Laien, die sich nicht selbst aus dem Für und Wider
der wissenschaftlichen Diskussion informieren. Die Wortfolge
„Bronze und Eisen" 4, 22 ist eine kulturgeschichtliche
. Der Mittelbegriff von 'erom 'arom 'aram ist „zu
allem fähig" und davon lassen sich die Bedeutungen
»nackt", „listig" irgendwie ableiten; auch larmon, die
Platane, häutet sich ja und wurde deshalb bewundert
(gerade vor dieser Etymologie warnen die W-B. eigens).
In der Paradiesesgeschichte 2, 19 schließt tiaja das
Wild aus; also wird hier nicht der sechste Schöpfungstag
wiederholt. Trotz redlichen Vorsatzes ist also die Durchführung
nicht von schlimmen Auskünften der Harmo-

nistik verschont. Und keine Auskunft hat wohl kürzere
Beine als die, daß '.'ajat hasade nicht die undomestizierte
Tierwelt sei. Den Zweck des Kampfes für die Einheitlichkeit
der Urgeschichte sieht man, wenn man sich die
Aufgabe des Verf.s stellt, nicht ein. Die Verschiedenheit
hätte ja dazu gedient, die Zahl der Zeugen der Wahrheit
zu mehren und überdies Einblick in die Selbstbehauptung
und Entfaltung der Wahrheit zu gewähren. Die am Original
beobachtete Bewegung des Inhalts war eine
sicherere Hilfe zur objektiven Bestimmung des „Gedankeninhalts
" (S. 195) als wenn der von dem Verf. als
einem Kinde seiner Zeit in dem Original „erkannte"
Inhalt nun für eine literarkritische Instanz, gelten soll.
Wozu wird S. 87 behauptet, die Sumerer zweigten von
den Indern ab, wenn doch Indologen die im Pendschab
gefundenen Ruinen umgekehrt deuten? Die vorhandene
Unklarheit leitender Vorstellungen des Buchs führt in
Breite (S. 97 „doch nun einmal nicht"; S. 195f steht
meinem Satze zweimal „gerade") und Umständlichkeit
der Darlegung; dazu gesellen sich Flüchtigkeiten wie

; S. 74 schabbat (als Verb.); „das aramäische baqara**

i S. 35 (vielmehr bcqar - perforavit; meint Krämer
boqa1?); an mel'akha S. 74 fehlt die Endung. Der
Buchstabe sin wird dreimal S. 45. 68. 175 urnschriftlich
mit sin verwechselt, was nach meiner Erfahrung oft
symptomatisch ist. Der Begriff „LXX" tritt S. 3 unvorbereitet
auf. Auch der deutsche Satzbau S. 75 unten
— „seinen Inhalt" — ist nicht einwandfrei. S. 87 wird
dem Schema zuliebe von der hetitischen Kultur kurzweg
abgesehen. — Keine Meinung ist wohl weiter verbreitet
als die, die schulgerechte Bibelwissenschaft werde dem
religiösen Inhalte der Bibel und die Philologie dem
Worte Gottes nicht gerecht, eine Meinung, zu deren
Bestätigung gewiß zahlreiche wissenschaftliche Ver-

1 öffentlichungen herangezogen werden können. Daß nicht
schon die Enthaltung von Philologie und Schulgelehrsamkeit
die Erkenntnis des wahren Inhalts verbürge,

I weiß Krämer. Doch wer sich einmal mit der Gelehrsamkeit
einläßt, wird auch der Selbstreinigung inne, der

sich dieselbe fortwährend unterzieht. Die Gelehrsamkeit
kritisiert vor allem sich selbst. Versäumte sie darin et-

; was, so würde sie die Erkenntnis des Inhalts beein-

i trächtigen und hinter berechtigten Erwartungen der
Leser zurückbleiben, welchen nicht die Gelehrsamkeit
Selbstzweck ist. So wird auch der Schulphilologe, der

' eine an die größere Öffentlichkeit gerichtete Darstellung

i nachprüft, zum Anwalte der Öffentlichkeit und — des

j religiösen Gehalts.

Kiel. Wilhelm Caspari.

Dubnow, Simon: Geschichte des Chassidismus. In 2 Bdn.
Aus d, Hebräischen übers, v. Dr. A. Steinberg. Berlin: Jüdischer
Verlag 1931 u. 1932. (340 B. 236 S.) gr. 8°.

je Lwd. RM 12—; Hldr. 15—.
In der religiösen Entwickelung des Judentums lassen
sich, obwohl nicht absolut getrennt, zwei Strömungen
unterscheiden : 1. Das (die Allgemeinheit des Judentums
I verpflichtende) Judentum des Gesetzes und seiner
, Auslegung, seines Ausbaus und seiner Ausführung: die
'■ (613) Gebote des biblischen Mosaismus, die Halacha
(religionsgesetzliche Diskussion) des Talmudismus und
des sich ihm schier endlos anschließenden Rabbinismus
! bis auf das moderne, rationalistisch-deistische, eklektisch-
1 synkretistische Reform Judentum. — 2. Das (die Einzel-
i seele zu „vergotten" strebende) Judentum des Her-
i z e n s: die Ethik des biblischen Prophetismus, der talmudischen
Haggada (Legende) und des Midrasch, ferner
des Messianisinus, der aufs Gemüt gerichteten Kabbala
und endlich des Chassidismus (chassidüth - mystische
Frömmigkeit). Vergleichbar in gewissem Sinne sind aus
der christlichen Kirchengeschichte Scholastik und Mystik
des katholischen Mittelalters, lutherischer Dogmatismus
und Pietismus, insbesondere auch Herren hüte rtum, dessen
Begründer Zinzendorf mit „Beseht", dem Begründer
des Chassidismus, gleichzeitig lebte (1700—1760).
Wie die lutherische Orthodoxie des 18. Jahrhunderts den