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Ausgabe:

1932 Nr. 10

Spalte:

236-238

Autor/Hrsg.:

Eisenhuth, Heinz Erich

Titel/Untertitel:

Der Begriff des Irrationalen als philosophisches Problem. Ein Beitrag zur existenzialen Religionsbegründung 1932

Rezensent:

Sybel, A. von

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 10.

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schlägt. Bei Kant das Bemühen um die Herausarbeitung
und Sicherung jener Sphäre, in der unterhalb oder
jenseits aller individuellen Verschiedenheit (des „Privaten
") das eigentlich „Menschliche" zu finden ist, das
die logisch-erkenntnistheoretische (transzendentalphilosophische
) Besinnung zu fassen, an das die ethische zu
appellieren sich bestreben. Bei Herder — Litt macht
deutlich, daß seine Ideen, trotz der späteren Auseinandersetzung
mit seinem großen Antipoden, ursprünglich
nicht etwa polemisch, sondern positiv entwickelt worden
sind — das Bestreben zum lebendigen, dem ganzen, dem
konkreten Menschen durchzudringen. Immer wieder
kann gezeigt werden, welche Formeln und inhaltlichen
Konsequenzen daraus folgen (analytisches und analogisches
Denken, Auffassung und Bewertung der Erkenntnisstufen
(Empfindung, Gefühl), Stellung zurGene-
ralisation und Individualität). Der zweite Abschnitt
weist die Auswirkungen in der Behandlung der ethischen
Grundproblematik (Selbstgesetzgebung bei Kant,
Selbstgestaltung bei Herder, „Pflichterfüllung" hier,
„Bildung" dort), der dritte an die erkenntnistheoretischen
Erörterungen der ersten anknüpfend, die Folgerungen
für die Bewältigung der sozialphilosophischen
Kernfragen („Verstehen", „Gemeinschaft",
„Staat") nach. Im letzten Abschnitt, der wie gesagt, der
Auffassung von der Geschichte nachgeht, werden kunstvoll
alle Fäden, die die bisherige Darstellung gesponnen,
zusammengeschlungen und das Bild der Geschichte
(Vernunft — historische Struktur) bei beiden Denkern
abzuleiten versucht. Dazu wird noch einmal die logisch-
erkenntnistheoretische Auswirkung beleuchtet.

Die vom Verfasser vorgenommene Isolierung
der beiden betrachteten Denkzusammenhänge aus der
geistesgeschichtlichen Entwicklung, in der sie stehen,
wird von ihm begründet (S. 7) und erscheint methodisch
gerechtfertigt. Vielleicht kann trotzdem ausdrücklich
darauf aufmerksam gemacht werden, daß bekanntlich
ganz ähnliche Anthithesen wie zwischen Kant und Herder
später zwischen dem Kant-Schüler Schiller und dem
Herder verpflichteten Goethe sich ergeben mußten und
diskutiert wurden. Zum Abschluß sei noch betont, daß
auch stilistisch die Untersuchung Litts einen überaus
geschliffenen und gefeilten Eindruck macht. Im geistigen
Stil wird vielfach eine deutliche Verwandtschaft mit
Simmel sichtbar. Alles in allem: eine historisch-systematische
Leistung von höchstem Niveau.

Leipzig. Joachim Wach.

Cordes, Dr. Cord: Der Gemeinschaftsbegriff im deutschen
Katholizismus und Protestantismus der Gegenwart. Leipzig
: M. Heinsiiis 1031. (III, 69 S.) 8°. RM 3—.
Aus dem gegenwärtigen Katholizismus und Protestantismus
werden einige typische Erscheinungen herausgegriffen
, die geeignet erscheinen, den Unterschied
von katholischem und protestantischem Geineinschafts-
begriff zu illustrieren. (1. der traditionelle Katholizismus
, 2. der Volksverein für das katholische Deutschland,
3. R. Guardini; demgegenüber 1. die Theologie der Kri-
sis, 2. Stange, 3. Heitmann, 4. Gutmann). In knappster
Form gelangen sie zu klarer, allgemeinverständlicher
Darstellung. Daß der Theologie der Krisis in dieser
Kürze volle Gerechtigkeit widerfährt, kann man kaum
erwarten; auch darf die fundamentale Arbeit, die hier
von Gogarten getan ist, wirklich nicht einfach ignoriert
werden. Im zweiten Teil werden die beschriebenen Typen
im Zusammenhang ihrer Konzession verständlich gemacht
und in ihrer Neuartigkeit und Eigentümlichkeit
herausgearbeitet. Für den Gemeinschaftsbegriff des
Volksvereins und R. Guardinis erscheint als charakteristisch
eine Vorordnung des Interesses an der Gemeinschaft
gegenüber dem an der Anstalt, wobei communio
sanctorum untraditionell als die Gemeinschaft unter den
Gliedern der Kirche auf Erden verstanden wird; ferner
sieht man hier wieder deutlicher die geistige Seite der
Sozialität des Menschen. Im Protestantismus soll das

„Kriegserlebnis" eine entscheidende Wendung herbeigeführt
haben. Dafür werden Althaus, die Theologie der
Krisis und die Heitmannsche Einstellung angeführt.
Auch das Organisationsproblem hat einen neuen Anstoß
erhalten. Hier wäre wohl die Stelle gewesen, die gegenwärtigen
Gemeinschaftsbegriffe an Luthers Kirchenbegriff
zu messen und zu kritisieren. Das hätte mehr systematische
Klarheit gebracht über das, was nun eigentlich
wesenhaft christliche Gemeinschaft ist, d1. h. darüber,
„wo heute mit sachlichem Recht von Gemeinschaft gesprochen
wird". Im dritten Teil folgt schließlich die
systematische Einordnung in die konfessionelle Dogma-
tik. Der konfessionelle Gegensatz wird formuliert als
der eines verschiedenen Gnadenbegriffs; die katholische
Auffassung der Gnade als Übernatur soll unmittelbar
zum Anstaltsbegriff, die protestantische Auffassung der
Gnade, „über die keine irdische Größe verfügt", zum
Gemeinschaftsbegriff führen. Wüßte man hier, was klar
begrifflich unter Gemeinschaft zu verstehen sei, so
würde diese Herleitung vom Gnadenbegriff wesentlich
einleuchtender sein können, als sie hier ist. Das Fehlen
eigentlich systematischer Klärung des Gemeinschaftsbe-
griffes hängt wohl auch damit zusammen, daß auf die
syst.-theologische Debatte über den Gemeinschaftsbegriff
fast garnicht Bezug genommen ist, statt dessen
aber auf kirchliche „Bewegungen". Im Hinblick hierauf
erscheint freilich der Titel des Buches als zu weit gefaßt
. Interessant exemplifiziert der Verf. auf seine Auffassung
der konfessionellen Differenzen mit einer Gegenüberstellung
von Guardini und Heitmann, dem Volksverein
und Gutmann. Mit einem kurzen Ausblick auf die
konfessionell bedingte Stellung zur außerkirchlichen Gesellschaftsordnung
schließt die Untersuchung, die in
ihrer Kürze und Übersichtlichkeit eine willkommene und
schöne Einführung in die gegenwärtige Problemlage ist.
Berlin. Dietrich Bonhoeffer.

Eisenhuth, Lic. Dr. Heinz Erich : Der Begriff des Irrationalen
als philosophisches Problem. Ein Beitrag zur existenzialen
Religionsbegründung. Oöttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1931.
(XI, 274 S.) gr. 8°. = Stud. z. systemat. Theologie, hrsg. v. A. Titius
u. G. Wobbermin, 8. H. RM 12—; geb. 14—.

In der vorliegenden Broschüre will Eisenhuth „den
Begriff des Irrationalen innerhalb der gegenwärtigen
Theologie als philosophisches Problem behandeln"
(S. 1). Er glaubt diesen Begriff als einen unberechtigten
beseitigen und durch den des Existenzialen im Sinne
Heideggers ersetzen zu können. Von dieser Basis
aus will er eine neue Grundlegung der Religionswissenschaft
versuchen.

Bei der erkenntnistheoretischen und begrifflichen
Prüfung des Begriffs des Irrationalen lehnt sich Eisenhuth
an die von Hans Cornelius gegebene trans-
zendental-phänomenologische Theorie der Begriffsbildung
an. Er übernimmt dessen These, daß alle Begriffe
unmittelbar oder mittelbar auf das Gegebene zurückgehen
müssen. Aus diesem Satze folgert er aber nun,
alles Gegebene müsse sich in Begriffe fassen lassen, so-
daß dem Begriff des Irrationalen — dieses verstanden
als etwas, das dem begrifflichen Erkennen entzogen
bleibt — nichts Sachliches entsprechen könne (S. 50).
Übersehen ist dabei, daß die Fassung eines Phänomens
in einen Begriff (etwa die Bildung des Begriffs „rot"
gegenüber den gegebenen Rotphänomenen) das Phänomen
als solches noch nicht rational macht. Auch wenn
es gelingt, die innere Struktur eines Phänomens weithin
begrifflich zu durchleuchten, so bleibt doch immer ein
Rest von Irrationalität, der sich in die Maschen des
Begriffsnetzes nicht einfangen läßt. Zu beachten ist,
daß der Charakter der Irrationalität selbst ein phänomenaler
sein kann. Wir können Erfahrungen machen, in
j deren phänomenaler Artung es liegt, daß sie mit den
I Kräften der menschlichen Vernunft nicht oder doch nicht
I restlos begriffen werden können. Solche Erfahrungen
j bilden gerade im Sinne der von Eisenhuth zugrunde ge-