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Ausgabe:

1932 Nr. 10

Spalte:

233-235

Autor/Hrsg.:

Litt, Theodor

Titel/Untertitel:

Kant und Herder als Deuter der geistigen Welt 1932

Rezensent:

Wach, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 10.

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hat, die Schwierigkeiten, mit denen es zu kämpfen hat,
und die Möglichkeiten seiner Auswirkung näher zu besprechen
. Das aber wäre wohl nur jemandem möglich,
der die Praxis des Amtes nach allen Seiten hin kennt.
Und vielleicht sind auch die sieben Jahre, seit das neugebildete
Amt funktioniert, auch nicht ausreichend, um
ein abschließendes Urteil zu bilden. Sehr dankenswert
ist das beigegebene alphabetische Verzeichnis aller altpreußischen
Generalsuperintendenten seit 1829. Schade
nur, daß die mitgeteilten Daten manchmal wenig vollständig
, auch etwas ungleichmäßig sind. Eine wertvolle
Beigabe ist das Gutachten des Staatsministers von Altenstein
über die Herstellung der Bischöfe in der evangelischen
Kirche im Preußischen Staat vom 20. Juli 1824.
Alles in allem hat F. eine quellenmäßig, sorgfältig gearbeitete
, in ruhiger Sachlichkeit geschriebene und1 darum
aufschlußreiche und wertvolle Darstellung der Geschichte
des vielumstrittenen Amtes gegeben.

Breslau. M. Schian.

Litt, Theodor: Kant und Herder als Deuter der geistigen Welt.
Leipzig: Quelle & Meyer 1930. (VIII, 291 S.) 8°. = Das wissen-
schaftl. Weltbild, hrsg. v. P. Hinneberg. geb. RM 10—.

Die Lektüre dieses klar disponierten, historisch und
systematisch ungemein ergiebigen, scharfsinnigen Buches
ist ein großer Genuß. Vor allem der, dem die Gedankenwelt
Kants und Herders bereits einigermaßen vertraut
ist, wird eine Fülle von Anregung daraus schöpfen.
Diese Untersuchung ist wieder einmal ein Beweis dafür,
daß, wenn nur die richtigen Gesichtspunkte gewählt und
Vor allem, wenn sie klar durchgeführt werden, die Behandlung
auch eines so viel erörterten Themas wie es die
Philosophie Kants und die Herders schließlich ist, von
überraschender Fruchtbarkeit sein kann. Die Idee der
wechselseitigen Erhellung zweier so bedeutender und
wirkungskräftiger Gedankenwelten ist an sich schon ein
außerordentlich begrüßenswerter Versuch: die Geistesund
besonders die Philosophiegeschichte ist nur zu oft
in Gefahr sich, wenn sie sich nicht monographisch in
die Schilderung einzelner Lehren oder Lehrzusammenhänge
vertieft, Einflüssen und Abhängigkeiten nachzugehen
. Daß aus dem Vergleich neben der Herausarbeitung
des Charakteristischen, das auf der Folie des
Andersgearteten immer besonders deutlich heraustritt,
auch die kritische Bemühung gewinnen kann, zeigt gerade
Litts Untersuchung, die damit ein dreifaches leistet:
die Darstellung der Lehre der genannten Denker, die
Entwicklung und Prüfung der immanenten Konsequenz
ihrer Gedanken und die in und mit der Konfrontation
vollzogene Kontrastierung am Gegenbild.

Natürlich hat alles Vergleichen auch sein Bedenkliches
. Eine wichtige Fehlerquelle dieses großen methodischen
Kunstgriffs, den doch keine Wissenschaft entbehren
kann oder sollte, ist schon vermieden, wenn der
Vergleich nicht im Dienst einer Parallelenjagd um jeden
Preis steht, sondern von vorneherein Übereinstimmung
und Abweichung gleichermaßen ins Auge zu fassen
und sichtbar zu machen bestrebt ist. Eine weitere schaltet
aus, wer beim Vergleichen geistiger Erscheinungen,
ihres Strukturcharakters bewußt, jedes Moment, das es
zu vergleichen gilt, auf seine Valenz im Ganzen, auf
seinen Stellenwert 'hin prüft, nicht aber Zug um Zug,
ohne Rücksicht auf den Gesamtzusammenhang, in dem
er steht, in dem und für das er etwas ganz Bestimmtes
bedeutet, gegenüberstellt. Die schwierige Aufgabe ist
also bei einem solchen Unternehmen, Gesichtspunkte
ausfindig zu machen, die, zunächst einmal, eine
Zusammenfassung zweier verschiedener Ideenzusammen-
hänge überhaupt erlauben, außerdem aber für beide —
im Einzelnen dann vielleicht in verschiedenem Grad,
sicher in verschiedener Weise — charakteristisch, repräsentativ
, konstituierend sind. Konstituierend —, also
ihr „Vorkommen" genügt nicht, sondern sie müssen
wesentlich sein, ja — möglichst — das Wesen des
betreffenden Gedankenzusammenhanges ausmachen.

1 Vielleicht bleibt hinsichtlich dieses letzten auch noch bei
: der, ihrer schwierigen Aufgabe sonst in so ungewöhnlicher
Weise gewachsenen Arbeit Litts etwas zu wün-
! sehen. Ich würde denken, daß jede Würdigung Herders
! der zentralen Stellung, die bei ihm die Religion, seine
1 Religion, einnimmt, Rechnung tragen müßte. Das
■ kommt, wie mir scheint, bei diesem Vergleich etwas kurz.

Wahrscheinlich ist auch der Verfasser sich bewußt ge-
! wesen, wie überhaupt der entscheidende Grundgesichts-
j punkt, unter den er seine vergleichende Analyse rückt,
Erkenntnis, im allerletzten vielleicht doch Kant adä-
' quater zu würdigen erlaubt als Herder. Ich betrachte es
j also einen Erweis für den — bekanntermaßen trotz aller,
auch neuesten Versuche längst nicht ausgeschöpften —
Reichtum und die Weite des Herderschen Denkens, daß,
trotz dieses Handicap beim Vergleich aus Litts Buch so
außerordentlich Vieles und Wichtiges für die Kenntnis
und Würdigung von Herders Bemühungen zu lernen ist.
I Wohlbemerkt: es ist nicht so, daß etwa Herdersches
Denken an Kantischem gemessen würde — ich sehe ein
Hauptverdienst der Littschen Untersuchung in der Herausarbeitung
der jedem der beiden Denker eigentümlichen
Anliegen, der Denkform, unter der es behandelt
und der Kategorien, unter denen es abgewandelt
wird —, aber mir will scheinen, als bliebe vielleicht von
! Herder, dem lebendigen, beweglichen, schwer faßbaren,
oft genug schillernden mehr draußen als von Kant.
' Vielleicht schon deswegen, weil Herder, dem im Gegensatz
zu Kant das Wort nur zu oft ein ungenügendes Medium
des Ausdrucks ist, auf Erscheinungen, Zusammen^
hänge deuten will, die sich der präzisen begrifflichen
Fassung entziehen.

Eines aber wird gerade aus Litts Buch wieder ganz
deutlich: die tiefe Verpflichtung aller modernen philosophischen
Bemühung dem Manne gegenüber, der mit
Recht der Vater aller neueren geisteswissenschaftlichen
i Arbeit genannt werden sollte. Wo immer ein Kriterium
der Fruchtbarkeit alles philosophischen Denkens in dem
Ertrag gesehen wird, den dieses für das Leben und die
immer wieder aus ihm sich nähernde Arbeit der Geisteswissenschaften
abwirft, da wird man im Überdenken
der von Litt bis ins Einzelne aufgewiesenen Antithesen
dem Herderischen Lösungsversuch — unbeschadet der
oft genug peinlichen und peinigenden Unzulänglichkeit
seiner Lösung, — die tiefe Sympathie einer verwandt
gestimmten Zeit und Richtung entgegenzubringen nicht
umhin können. Nicht beliebige, durch die Subjektivität
ihres Urhebers bedingte eigentümliche philosophische
Ideenzusammenhänge sind es — das wird aus Litts
Gegenüberstellung von Kant und Herder wirksam deutlich
— die hier konfrontiert werden, sondern irgendwie
letzte Überzeugungen. Dilthey hat den tiefen
Zusammenhang aufgewiesen, in dem jeweils theore-
! tische Lebenserkenntnis, Lebensideal und Lebenswürdi-
! gung stehen. Das braucht keine Relativierung der philo-
! sophischen Erkenntnis zu bedeuten. Es wird von dem
: Aspekt abhängen, unter dem und dem Zweck, zu dem
j die Arbeit des philosophischen Denkens sich in Bewe-
[ gung setzt, welcher Richtung es fruchtbarer sich anschließen
wird.

Die Anlage des Littschen Buches bewährt sich
außerordentlich: nicht nacheinander, in getrennten Tei-
| len, sondern in unmittelbarer Aufeinanderfolge in kurzen
I leicht überschaubaren, unter ein prägnantes Einzelthema'
gestellten Kapitelchen werden die Lehren der beiden
Denker entwickelt. Das Ganze gliedert sich in vier
! Abschnitte, von denen der längste die Grundlagen, die
! andern die Persönlichkeit, die Gemeinschaft und die Geschichte
ins Licht der Philosophie Kants und Herders
stellen. Der Verf. will (Kap. 1) in den Mittelpunkt die
Auffassung vom Menschen rücken, die für beide Gedankenwelten
von charakteristischer Bedeutsamkeit ist.
i Immer wieder zeigt sich im Laufe der Untersuchung,
| was schon das 2. Kap. exponiert: die verschiedene Rich-
| tung, die die Philosophie des Menschen hier und da ein-