Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1932 Nr. 10

Spalte:

219-220

Autor/Hrsg.:

Goldschmidt, Lazarus

Titel/Untertitel:

Der Babylonische Talmud. Neu übertragen. III. - V. Bd 1932

Rezensent:

Duensing, Hugo

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

219

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 10.

220

bung hoffentlich bald eine definitive Entscheidung
darüber bringen, ob die zweite der soeben genannten
Möglichkeiten auszuscheiden hat. Was aber die dritte
anbetrifft, so glaube ich, daß sie ganz ernst zu erwägen
ist. Führen nicht die stereotyp wiederkehrenden Formeln
Kaparas: „Was mein Vater und mein Großvater nicht
gemacht haben, habe ich gemacht" usw. geradezu darauf
hin, daß er einen vor langer Hand vorbereiteten Bau zu
einem glücklichen Ende geführt hat? Jedenfalls scheint
mir hier noch alles unsicher zu sein; es ist aber bestimmt
zu erwarten, daß wir durch einen noch tiefer eindringenden
Vergleich der genannten Skulpturen mit den Grabungsergebnissen
von Sendschirli, Karkemisch usw. noch
weiter kommen werden.

Und dasselbe gilt von den Folgerungen aus der
Keramik. Hier muß zweifellos noch weiter vorgedrungen
werden durch einen Versuch, wie er jetzt doch überall
mit Erfolg vorgenommen wird, durch eine schichtweise
Ausgrabung von Stellen außerhalb des Tempels und
Palastes Klarheit über die Geschichte des Hügels zu gewinnen
. Das, was jetzt unter dem einfachen, zusammenfassenden
Titel „Buntkeramik" als Kulturniederschlag
einer mehr als tausendjährigen Geschichte erscheint,
wird sich dabei erst zuverlässig den verschiedenen geschichtlichen
Perioden eingliedern lassen. Eine ausgezeichnete
Vorarbeit dafür ist ja schon durch Hubert
Schmidt in dem Anhang IV S. 250 ff. geleistet worden,
aber jetzt gilt es erst, das von diesem theoretisch Erschlossene
praktisch an den Schichten der Grabung
zu erproben.

Man sieht, der Rätsel sind noch viele. Aber dadurch
wird in keiner Weise der große Dank beeinträchtigt
, den die gesamte Wissenschaft Oppenheim schuldet.
Und mit ihm selbst wünschen auch wir nur dringend,
daß es ihm trotz aller Not der Zeit recht bald gelingen
möge, sein Werk, von dessen Größe wir hier nur eine
ganz geringe Andeutung haben geben können, fortzusetzen
.

Berlin. E. Sellin.

Goldschmidt, Lazarus: Der Babylonische Talmud. Nach der
ersten zensurfreien Ausg. unter Berücksichtigung d. neueren Ausgaben
u. handschriftl. Materials neu übertragen. III. Bd.: Joma, Sukka,
Jörn Tob, Ros Hasana, Ta'anith. IV. Bd.: Megilla, Moe'd Qafan,
Hagiga, Jabmuth. V. Bd.: Kethuboth, Nedarim, Nazir. Berlin:
jüdischer Verlag 1930/31. (V, 751 ; VI, 766 u. V, 694 S.) 8°.

Subskr. je geb. RM 20—; Hldr. 25—.

Daß den beiden ersten Bänden so schnell diese
drei weiteren haben folgen können, erweckt die berechtigte
Hoffnung, daß wir endlich einmal eine vollständige
deutsche Übersetzung des Talmud im bequemen Format
und von vorzüglicher innerer Einrichtung und guter
äußerer Ausstattung erhalten werden. Im dritten Band
geht der zweite Seder zu Ende, und mit Jebamoth (vom
Herausgeber leider auch hier in Jabmuth geändert), dem
letzten darin aufgenommenen Traktat, beginnt der dritte
Seder, von dem, da die ersten vier Traktate schon gebracht
sind, nur noch drei ausstehen.

Die Übersetzung ist, wie das ja schon von den
früheren Bänden galt, durchaus verständlich, zuweilen
aber ist sie, wie schon angedeutet, zu frei. Wenn z. B.
im Traktat Chagigah der Ausdruck merkäbä, der Ezechiel
1 andeutet, geradezu mit Sphärenkunde übersetzt
wird, so hätte diese Deutung wohl als erklärende Anmerkung
unter den Text, nicht aber als Übersetzung
in den Text gesetzt werden dürfen, wo vielmehr der
Ausdruck (Thron) wagen am Platze gewesen wäre.
Auch fehlt es manchmal an der Schärfe und Genauigkeit
. An derselben Stelle übersetzt G. z. B. die Antwort
auf die Frage, was „Chasmal" bedeute mit: „Die Tiere
sprechen Feuer", während es mindestens genau hätte
heißen müssen: „Tiere, welche Feuer sprechen"; vielleicht
aber noch richtiger wäre das 'esch, welches hier
ungeschickt vor dem Partizipium steht, zu „Tiere" gezogen
und übersetzt worden: „Feurige Tiere, welche
sprechen". Ungenau ist es, wenn Nazir 26 b übersetzt |

wird: „Geld, nicht aber eine Schicht Balken." „Balken",
das vorher vorkommt, steht hier nicht, und andere verstehen
hier: „Geld, aber nicht (ungemünzte) Barren,
Geld, aber nicht ein Haufe (Gold)". Übrigens ist vielleicht
eher mit cod. Monac. „nicht aber Vieh" zu streichen
, als dahinter noch einmal „Geld" zu ergänzen. nsa
statt rVi im Monacensis ist zu verwerfen. Chagigah
3 b wäre schärfer und richtiger zu übersetzen: „Sie sollten
es ihm aber doch ausdrücklich sagen" statt „sollten
sie es ihm gleich gesagt haben?" Ungenau auch heißt es
Nedarim 71 b (V, S. 507, Zeile 6 v.o.) „und er durchschneide
es nicht" statt „und er schneidet nicht ab".
Kethuboth 102 b a. E. (V, Seite 326) muß es genau
heißen: „bei einem, der geeignet (berechtigt) ist, es zu
beerben" statt: „bei denen, die es beerben würden".
Auf dieser Seite ist wertvoll die Anmerkung 33, welche
den Ursprung einer Ritualmordbeschuldigung aufdeckt.
Chag. 14b wäre die genauere Übersetzung: „Denjenigen
, der vorgetragen hat und vor dem man vortrug,
zählt er auf; denjenigen, der vorgetragen hat, dem
man aber nicht vortrug, zählt er nicht auf" zugleich
auch die verständlichere gewesen. — Obige
Beispiele sind nicht so zu verstehen, daß durch
sie der Wert der Übersetzung herabgesetzt werden
sollte. Es ist vielmehr noch einmal nachdrücklich zu
sagen, daß der Zweck, Laien den Talmud verständlich
zu machen, durchaus erreicht wird und es deshalb wünschenswert
ist, daß diese Übersetzung ihre Vollendung
erreichen möge. Es sollte lediglich das zum Ausdruck
gebracht werden, daß durch eine genauere und schärfere
Übersetzung die Brauchbarkeit noch erhöht werden
würde, so daß man auch für wissenschaftliche Zwecke
sich auf dieselbe in allen Einzelheiten verlassen könnte.
Goslar a. H. Hugo Duensing.

W indisch, Prof. D. Dr. Hans: Imperium und Evangelium im
Neuen Testament. Rede z. Verfassungsfeier geh. a. d. Christian-
Albrechts-Univ. am 28. Juli 1931. Kiel: Lipsius & Tischer in Komm.
1931. (34 S.) gr. 8°. = Kieler Universitätsreden, H. 14. RM 1—.

H. Windisch geht in dieser Festrede zur Reichsgründungsfeier
vom gegenwärtigen Problem Kirche und
Staat aus und untersucht zur Klärung der heutigen Probleme
die Stellung des Neuen Testaments, um dann kurz
die Anwendung auf die Gegenwart zu ziehen. Ich beschränke
mich hier auf den geschichtlichen Teil.

W. zeigt zunächst mit Melito von Sardes (der dabei
aber doch wohl zu Unrecht als Historiker und Prophet
angesprochen wird, während er durchaus nur heilsgeschichtlicher
Apologet ist) die Gleichaltrigkeit von Evangelium
und Imperium, zugleich aber, daß trotz Melito das
Evangelium nicht Imperiumsphilosophie sein kann, wie
das Pilatusurteil und der Anspruch der Kaisertheologie
beweisen. Jesus selber verwirft in der Zinsgroschenfrage
die staatsfeindliche Haltung der Zeloten, erkennt aber
nur den privatrechtlichen Tatbestand an, daß derartige
Münzen dem Kaiser gehören: Evangelium und Imperium
gehen sich nichts an. Im übrigen verwirft Jesus die
Macht zugunsten des Dienens. — Paulus spricht in
Römer 13 religiös - dogmatisch und konstruiert vom
Schöpfungsglauben her eine Obrigkeitstheologie. Daneben
steht aber bei Paulus die von der eschatoTogischen
Haltung gebotene Entwertung alles Irdischen (Phil.
3, 20). Die Apokalypse aber sieht im römischen Staat
die gottwidrige Macht. Rom. 13 steht also fremd innerhalb
des N.T., aber nicht innerhalb des Ganzen der Bibel.

W. hat mit dieser klaren Darstellung einen sehr
nützlichen und allgemeinverständlichen Überblick über
das behandelte Gebiet gegeben. Und auch in der Beurteilung
der Texte wird man ihm in der Hauptsache zustimmen
können. Nur die Exegese der Zinsgroschenfrage
scheint mir nicht ganz befriedigend. Jesus will
nicht einen privatrechtlichen Tatbestand anerkennen, sondern
die politische Frage auf die Gottesfrage zurückschieben
: wenn das Reich Gottes vor der Türe steht,
ist nur das Tun des Gotteswillens wichtig, alles Andere
gehört zur vergehenden Welt, auch der Kaiser (vgl.