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Ausgabe:

1932 Nr. 9

Spalte:

215-216

Autor/Hrsg.:

Baumgarten, Otto

Titel/Untertitel:

Protestantische Seelsorge 1932

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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215

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 9.

216

Vorwurf wendet, er sei der Fakultät aufoktroyiert worden
. Was entstand früher oft in akademischen Kreisen
eine Aufregung, wenn unter Nichtachtung der Vorschläge
der Fakultäten ein Nichtvorgeschlagener ernannt wurde;
vor etwa 25 Jahren schrieb aus solcher Einstellung
heraus einer unserer bedeutendsten Theologen eine
Schrift unter dem Titel „Die Entmündigung einer preußischen
theologischen Fakultät"; wie fast harmlos erscheinen
heute diese Dinge gegenüber der Berufung Dehns.
Die Annahme des Rufs nach Halle hat dann zu dem
Halleschen Konflikt geführt, der noch andauert und
durch die Schrift Dehns von neuem verschärft ist.

In dieser Schrift folgen nun die Dokumente zu
diesem Konflikt, die leidenschaftlichen, z. T. weit über
das Ziel hinausschießenden Kundgebungen der Studentenschaft
und einzelner Gruppen, ebenso die von Rektor
und Senat, die Vertrauenskundgebungen des Senats für
den Rektor (es war die Niederlegung des Rektorats von
ihm gefordert), eine Erklärung des theologischen Dekans
, der zu vermitteln suchte, Erklärungen von Theologieprofessoren
auswärtiger Hochschulen, daß sie jeden

Buche wieder: die Schätzung des persönlichen Einflusses
auf Persönlichkeiten, die wissenschaftliche, kritische
Grundhaltung, der Realismus der Rel. Volkskunde, der
ausgeprägte soziale Sinn, das Priestertum der Gläubigen
in der Seelsorgegemeinde. Diese Prinzipien wachsen aus
dem sehr ausführlichen ersten grundlegenden historischen
Teil organisch heraus. Ihm folgt das Hauptstück
des Ganzen, die persönlichen Erfordernisse des Seelsorgers
; B. will keine Wissenschaftlichkeit, sondern Ge-
wissensschärfung bieten. Kurz wird nach mehreren Seiten
hin das Recht der Seelsorge fundiert, dann die Seelsorgegemeinde
in ihren Typen beschrieben; die traditionellen
Gebiete — der irrende, der leidende, der sündige
Mensch —, werden eingehend behandelt, indem seine
Bemerkungen über die Seelenbeschaffenheit mit auf langer
Erfahrung beruhenden praktischen Ratschlägen verbunden
werden; ein kurzer Abschnitt über die Hauptmittel
der Seelsorge beschließt das Ganze. — Mit Freude
bemerkt man, wie sehr häufig auf die feinste, leider nicht
sehr bekannte Darstellung der Aufgabe, von C. J.
Nitzsch zurückgegriffen wird. Über dem Ganzen liegt

Versuch studentischer Kreise, D. an der akademischen | der Hauch des heute so verfehmten Kulturprotestantis-

Lehrtätigkeit zu hindern, auf das schärfste verurteilen
u. s. w., auch Schilderungen von Augenzeugen über die
Vorgänge bei den ersten Vorlesungen von D., bei denen
zweimal die Polizei im Haus erschien. Allerdings erfährt
man aus dieser Schilderung nicht, wie scharf die
Polizei beim zweiten Mal vorgegangen ist, sodaß sogar
der zum Kolleg gehende Studentenpfarrer den Gummiknüppel
zu spüren bekam; dieses Vorgehen hat natürlich
den Konflikt wesentlich verschärft.

In dem Nachwort zeigt D., daß er den Motiven
der Studentenschaft gar nicht gerecht wird, von seiner
Einstellung aus auch vielleicht nicht gerecht werden
kann. So wenig die Form des Vorgehens der Studentenschaft
zu billigen ist, so dürfen ihr doch auf keinen
Fall wirklich ideale, vaterländische und religiöse
Motive abzusprechen zu sein, wenn sie Glaube und1
Vaterland, deutsch und evangelisch (das viel gescholtene
„Bindestrichchristentum") in enger Beziehung und Verbundenheit
sieht und sich gegen einen Lehrer wendet,
von dem sie die Schädigung des Geistes befürchtet, der

mus, der sich in dem allseitigen Interesse für Zeit und
Welt und in einer kultivierten Sprache zum Ausdruck
bringt. Vielleicht erscheint das Buch zwanzig Jahre zu
spät; oder ist die Zahl der Anhänger jener modernen,
freien Theologie noch so groß, um auf eine weite Verbreitung
der Schrift rechnen zu lassen? — Nun wäre ja
die dialektische Theologie an der Reihe, zu der Aufgabe
der Seelsorge sich zu äußern, wenn sie überhaupt Verständnis
für dieses außer der Predigt liegende Menschenwerk
hat. Sicher aber muß bald eine Behandlung der
Seelsorge ihre Verwertung der Tiefenpsychologie erfolgen
, wie sie E. Ott am Schluß seiner Darstellung
dieser neuen Disziplin in der Theol. Rundschau angekündigt
hat; B. entschuldigt sich, daß er seine aus einem
Menschenalter von Vorlesungen entstandene Schrift nicht
mehr damit belasten konnte.

Marburg. Friedrich Niebergall.

Soeben erschien:

zum Wiederaufbau nötig ist. D. verkennt das, wenn er I ORIENT UND OCCIDENT. Staat—Gesellschaft—Kirche,
in dem Halleschen Konflikt erkennen will „einen Kampf in Verbindung mit Nicolai Berdjajew und Erwin Reisner und

modernen dämonisierten Denkens nicht nur gegen die
Freiheit der Wissenschaft, sondern, was mir viel wesentlicher
zu sein scheint, gegen die Freiheit der Kirche, der
man das Recht bestreiten will, auch in der Kriegsfrage
d'as zu sagen, was sie in der Furcht Gottes zu sagen,
gehalten ist". Glücklich ist es sicher nicht, wenn er
seine Stellungnahme so ausspricht: „Ich habe das ganze
Kriegsgeschehen in die Ebene gesetzt, in die es hineingehört
mit allem, was Menschen sonst tun und treiben,
nämlich in die der Profanität".

Die vorliegende Schrift gießt Öl ins Feuer in einem
Zeitpunkt, wo die Beteiligten und viele mit ihnen hofften,
die Sache würde etwas zur Ruhe kommen, was zumal im
Gedanken an die theologische Fakultät und die ganze
Universität Halle-Wittenberg sehr zu wünschen wäre.
Wie mag die Entwicklung der Dinge sein, wenn dieser
Bericht im Druck erscheint?

Pouch bei Bitterfeld. Wilhelm Usener.

Baumgarten, Otto: Protestantische Seelsorge. Tübingen:
J. C. B. Mohr 1931. (IV, 288 S.) gr. 8°. RM 8—; geb. 9.60.

Niemand war mehr berufen, im Geist der nun langsam
verklingenden modernen Theologie ein Buch über
Seelsorge zu schreiben als B., der einmal ein Hauptbannerträger
dieser Theologie, wenn nicht der Urheber
ihres Namens, vor allem der mit seiner ganzen Persönlichkeit
seelsorgerlich gerichtet war. Wer seine Ev. Freiheit
regelmäßig gelesen und seine andern Schriften studiert
hat, findet die Merkmale jener Theologie in diesem

einer Arbeitsgemeinschaft von Deutschen und Russen, hrsg. von

Fritz Lieb und Paul Schütz, HEFT 9:

Der religiöse Sinn des
Bolschewismus

Aus dem Inhalt:

N. Berdjajew: Der religiöse Sinn des Bolschewismus
F. Stepun: Der religiöse Sinn der russischen
Revolution

M. Kulman: Die antireligiöse Gesetzgebung
der Sowjetunion seit 1929

P. Schütz: Junges Preußentum und Soziallsmus
des Ostraums

In der Chronik u. a. ein weiterer Bericht über die neueste wirtschaftliche
Umgestaltung Sowjetrußlands.

Preis des 9. Heftes............RM 3.—

Subskription für OrO 1932 = H. 9—12
(Vorausberechnung)...........RM 10.—

Prospekt (P 966) mit Übersicht über den
Inhalt OrO Heft 1—8 steht zur Verfügung

VERLAG DER J, C. HINRICHS'SCHEN
BUCHHANDLUNG IN LEIPZIG C1

Mit einer Prospektbeilage des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.
Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 7. Mai 1932.

Verantwortlich: Prof. D.W.Bauer in Göttingen, Düstere Eichenweg 46.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig C 1, Scherlstraße 2. — Druckerei Bauer in Marburg.