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Ausgabe:

1932 Nr. 9

Spalte:

203-204

Autor/Hrsg.:

Wotschke, Theodor

Titel/Untertitel:

Der polnischen Brüder Briefwechsel mit den märkischen Enthusiasten 1932

Rezensent:

Völker, Karl

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203

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 9.

204

beiden Traktate Nr. 58 f., die die Frage der Rangordnung
des römischen Königs behandeln, als politische.
Dagegen erfährt vor allem die theologische und kirchen-
recntliche Vorbereitung des Konzils eine wesentliche Vertiefung
: 1. durch eine ungemein reichhaltige Übersicht
über die Traktate, die zu Luthers Lebzeiten sich mit dem
Konzil und der Kirchenreform beschäftigen, im dritten
Kapitel der Einleitung und 2. durch die im Hauptteil
abgedruckten Traktate. Besonders erfreulich ist, daß das
„Consilium de emendanda ecclesia" nun hier für jedermann
leicht zugänglich gemacht ist, zumal verwandte
Arbeiten aus dem Bereich der Kurie zu seiner Ergänzung
gleichfalls abgedruckt sind. Für die Geschäftsordnung
des Konzils sind die Nr. 52—56 bedeutungsvoll,
auch für das Verhältnis von Papst und Konzil. Die Verhandlungsgegenstände
der Sessio IV behandeln die Nr.
61—75, der Sessio V die Nr. 76—91, der Sessio VI die
Nr. 92—119 und der Sessio VII die Nr. 120 u. 121.
Für wertvoll halte ich es, daß zwei umfangreiche Traktate
Seripandos über die Erbsünde veröffentlicht sind,
und vor allem, daß die Minute zum Erbsündendekret
vom Juni 1546 jetzt vorliegt (Nr. 80). Aus den Traktaten
, die die Rechtfertigungslehre behandeln, darf ich
zunächst wieder mehrere z. T. umfangreiche Äußerungen
Seripandos hervorheben (Nr. 94 f. 102. 108 und Nr. 6
des Appendix), ferner zwei Traktate Salmerons S. J.
(Nr. 100 und 117) und zwei Poles (Nr. 103 f.).

Um ein Urteil darüber zu gewinnen, wie weit das
hier veröffentlichte Material etwa die bisherige Anschauung
über das Konzil modifiziert, habe ich die Traktate
zur vierten Session genauer durchgearbeitet. Dafür ist
außer den oben genannten Nummern auch noch Nr. 53
wichtig, wo die Notwendigkeit betont wird, den Fragenkomplex
„Schrift und Tradition" zu behandeln, der aber
zugleich in Übereinstimmung mit dem Urteil der Legaten
, das aber dem Konzil gegenüber nicht ausgesprochen
war, die Warnung enthält, ja nicht die Frage
„Papst und Konzil" zu berühren. Leider ist das Traktat
undatiert und anonym überliefert, so daß seine Einordnung
und damit ein exaktes Urteil über seine Bedeutung
unmöglich ist. Eine Äußerung, die Seripando am 11.
Febr. 1546 machte, wonach unter den einzelnen Schriften
der Bibel ein Unterschied ihrem religiösen Wert
nach zu machen sei, verdeutlicht jetzt wesentlich Nr. 62.
Daneben darf ich besonders auf den Ernst hinweisen,
mit dem Seripando die Autorschaft des Paulus am Hebräerbrief
zu erweisen sucht (Nr. 62); dieselbe Frage
behandelt Alphons de Castro O. F. M. in Nr. 63. Auch
des Nikolaus Audetus, General des Karmeliterordens,
Auseinandersetzung mit den Bestreitern der Vulgata ist
beachtenswert; interessant vor allem die Begründung:
Wenn die Vulgata fehlerhaft, dann hat die Kirche geirrt;
sie kann aber nicht irren, also muß die Vulgata richtig
sein. Nur: Luther behauptete ja gerade, die Kirche habe
geirrt. — Ist es im übrigen bezeichnend1 oder liegt es
nur an der Überlieferung, daß von dem Arbeitsernst, von
dem die Traktate zeugen, aus den Verhandlungen selbst
kaum noch etwas spürbar ist? Auf jeden Fall können
die Traktate zur vierten Session, schon weil sie ausnahmslos
undatiert sind, wohl in Einzelheiten unsere
Kenntnis vertiefen; völlig neue Gesichtspunkte gewinnen
wir durch sie nicht.

Dieses Urteil hindert nicht, daß wir dem Herausgeber
dankbar sind für die mühevolle Arbeit, die er geleistet
hat, und die Bereicherung, die wir durch sie erfahren
. Hoffentlich nimmt er die vorstehenden Zeilen
als ein kleines Zeichen dieses Dankes auf.

Kiel-Voorde.___Kurt Dietrich Schmidt.

Wotschke, D. Dr. Theodor: Der polnischen Brüder Briefwechsel
mit den märkischen Enthusiasten. Posen: Verl. d.
Histor. Ges. f. Polen 1931. (66 S.) gr. 8°. = Sonder-Abdruck a.
Heft 22 d. Dtsch. Wiss. Zeitschr. f. Polen, hrsg. v. Dr. A. Lattermann.
W. veröffentlicht aus dem Briefwechsel Johann
Permeiers, eines gebürtigen Österreichers, der in Berlin
„als Gottes auserwähltes Rüstzeug" im Kampf gegen

die Kirche auf die baldige Endzeit seine Getreuen vorzu-
! bereiten suchte, 24 Schreiben (22 an ihn und 2 von ihm)
aus der Zeit vom 30. Januar 1630 bis zum 14. Mai
1643 sowie den „Bußruf" des Tobias Schneuber, ebenfalls
eines Berliner Enthusiasten, „an die Engel der
j deutschen Gemeinschaften in Polen" vom Juli 1640.

Von den Briefstellern waren der Danziger Arzt Florian
, Krause, der Meseritzer Pfarrer Georg Schwartz und der
Diplomat Hans Ludwig von Wolzogen unter den „pol-
j nischen Brüdern", wie die Sozinianer in Polen genannt
; wurden, führend. Mit den Berliner Schwärmern verband
sie ungeachtet der dogmatischen Spannungen die scharfe
Ablehnung des offiziellen Kirchentums. Die Briefe Permeiers
an seinen Gesinnungsgenossen, den Berliner Advokaten
Lorenz Grammendorf, von Wien aus lassen die
weit verzweigte Werbearbeit dieser Kreise erkennen. Die
Schrecken des dreißigjährigen Krieges schufen hierfür
| den geeigneten Boden. Es ist W.s Verdienst, in diese
Zusammenhänge erstmalig hineingeleuchtet zu haben.
Wien.___ Karl Völker.

Heyret, M.: P.Markus von Aviano O. M. Cap. Apostolischer
Missionär u. päpstl. Legat beim christl. Heere. Zur Erinnerung an
die dritte Jahrhundert-Feier s. Geburt. München: J. Kösel & F. Pustet
1931. (476 S. m. 8 Abb. u. 1 Bildn.) gr. 8°. geb. RM 12—.

Das in einem unerträglich aggressiv katholischen
Tone geschriebene Buch ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert
, obwohl es weder durch die Form der Darbietung
den Leser fesselt, noch durch Eröffnung welthistorischer
Ausblicke die Wissenschaft fördert. Der
Ertrag des Buches liegt im kulturgeschichtlichen Umkreis
der Gegenreformation. P. Markus war ein typischer
Vertreter der Gegenreformation, sein Auftreten
war von den Landesherren hier und da erwünscht und
verlangt im Interesse der Rekatholisierung ihrer Untertanen
. In diesem Falle ging die Rekatholisierung nicht
mit Gewaltmitteln, sondern unter stärkster psychischer
Bearbeitung vor sich. Was über das Auftreten des
Paters berichtet wird, stammt wesentlich aus den Quellen
der Ordensbrüder: Aber selbst nach Abstrich aller
Übertreibungen muß der Eindruck der „Reueakte" gewaltig
gewesen sein. Markus konnte als geborener Fri-
auler nicht deutsch predigen, nur lateinisch und italienisch
wandte er sich an seine Zuhörer, die auf die Kunde
seines Nahens von Nah und Fern heranströmten und
j aus allen Volkskreisen die Kirchen und Plätze namentlich
S in Bayern, Österreich und Tirol füllten. Die katholischen
Quellen berichten von vielen Hunderten durch Predigt
j und Segnung des Paters Markus geheilter Kranker.
Besonders interessant ist der Bericht, den der evangelische
hessische Gesandte am Kaiserhofe Passer an seine
Landgräfin 1682 schickt. H. druckt diesen Bericht ab
und der Leser hat den Eindruck, daß da etwas Objektives
gesagt wird: die Schilderung ist lebendig und wirklichkeitsnahe
. H. aber sieht in diesem Berichte vornehmlich
den „Fanatismus eines Irrgläubigen" (S. 271—273).
Homiletisch betrachtet steht das Auftreten des Kapuzinerpaters
1682 in Wien garnicht fern der Bußpredigt
[ Schupps wenige Jahre zuvor in Hamburg. Auch Schupp
straft mit der Predigt „Hamburg, gedenk daran" in
bitterster und schärfster Weise das leichtsinnige Leben
der Großstadt, wie P. Markus das auch in Wien tut.
In beiden Fällen ist der Vergleich mit Abraham a sancta
Clara völlig abwegig.

Aber H. verlangt von seinem Leser, daß er sich
mit dem Verfasser auf den Boden der alleinseligmachenden
Kirche stellt, daß er sich mit Gott durch das
Luthertum angeekelt fühlt, daß er in dem einer evangelischen
Gemeinde erteilten Privileg oder bestätigten
Statut eine Todsünde sieht und daß er die Reformation
lediglich als eine Lockerung sittlicher Bande in weitestem
Ausmaße betrachtet (S. 128, 405, 441 f.). In
diesem Sinne wird der Gießener Theologe Scheibler
und werden mit ihm alle literarischen Gegner des
j Kapuziners, die dem Brauch und dem Tone der Zeit
I folgend nicht gerade zart mit P. Markus verfuhren,