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Ausgabe:

1932 Nr. 9

Spalte:

196-198

Autor/Hrsg.:

Saxl, Fritz (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Vorträge der Bibliothek Warburg. Bd. 8 (1928/29) 1932

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 9.

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Merkwürdigerweise schließt Philo seine Hypothetica
mit dem Ausrufe: ,wo bleiben, bei Gott, (mit diesen
Vorschriften verglichen) die berühmten Boutuyia..' Das
ist, wie B. darlegt, verkehrte jüdische Einbildung, denn
in die Hypothetica haben gerade auch einige der Ur-
worte des Buzyges Aufnahme gefunden (,kein Feuer verweigern
, keine Wasserquellen abschließen, keiner Leiche
das Begräbnis vorenthalten'); nach dem Testimonium des
Clemens Alex. (Strom. II 33, 139) kann auch schon
die (negative) goldene Regel (s. o.) als Verinhaltlichung
des letztgenannten Gebotes xaLrapräc, cmußoiAEikiv in die
Buzygische Tradition aufgenommen sein, etwa in der
Form: ,rate einem anderen nichts, was du nicht auch
für dich selbst als zweckmäßig verstehst', vgl. Odyssee
V 187 f. Hier hat Philo also als spezifisch jüdische,
der altgriechischen Moral überlegene Sittenlehre Gebote
in Anspruch genommen, die in Wahrheit auch gut griechisch
waren oder gar aus griechischer Tradition stammen
! Auch von anderen, nicht zu den Buzygischen
Flüchen gehörigen Sprüchen, zeigt B., daß sie griechischer
Herkunft sind. Eine Parallele zu Philo ist Jose-
phus, der in seine Darlegung der jüdischen Sittenlehre
in c. Apion. II gleichfalls Buzygische Gebote eingefügt
hat. ,den Bedürftigen alles gewähren: rrüp, vöcoq, (xoomf|v),
dazu noch das bei Philo fehlende 68<n>? moätEiv, endlich

atatpOV ux| ZtEOlOQÖVv (211).

Nun steht bei Philo mitten unter den Buzygischen
Entlehnungen die schon oben zitierte Mahnung zur
Wohltätigkeit. In Auseinandersetzung mit Schulze, der
in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie (1918,
777) zu beweisen versucht hat, auch die Unsitte Bedürftigen
Nahrung zu verweigern habe in den Buzygischen
Flüchen gestanden, zeigt B., wie fremd der Satz
der altgriechischen Weisheit ist. Die Buzygischen Gebote
fordern nie mehr als etwas Wohlwollen, keineswegs
Opfer (was wirkliches Almosen doch bedeutet).
Der Ausdruck eoavCr,Eiv (für das gebräuchlichere soavitEo-
ftou = betteln) ist nicht klassisches Griechisch, sondern
hellenistisches. Armen speisen ist in Griechenland niemals
als eine besondere Tugend gepriesen worden, wie
das im Osten, in Ägypten und Israel geschehen. Und
das private Unterstützen von mipoi ist in Athen etwas
ganz Undenkbares. Endlich ist auch die Berufung auf
Gott dem griechischen Geiste fremd und spezifisch
orientalisch. Dann haben wir eben hier bei Philo wirklich
einen charakteristischen Fall von sozial-ethischem
Synkretismus.

Ich habe über diese für deutsche Forscher etwas
entlegene Studie etwas ausführlich berichtet, weil sie für
die Religions- und Sittengeschichte der neutestament-
lichen Zeit sehr bedeutsam ist. Sie illustriert, wie es
scheint, aufs neue die Verschiedenheit „biblischen
" und „griechischen" Denkens und zeigt, wie im
jüdischen Hellenismus Biblisches und Griechisches zusammenfließt
zu einem mehr oder weniger einheitlichem
Synkretismus. Ganz richtig wäre das indes nicht ausgedrückt
. Das biblische Gut, um das es sich hier handelt
, ist, wie B. zeigt, durchaus nicht exklusiv biblisch
(im „theologischen" Sinne), vielmehr alttestamentlich-
jüdisch und jüdisch-ägyptisch. Der jüdisch-griechische
„Synkretismus" ist ebenso sehr ein Synkretismus
von Orient und Okzident.

Allzuscharf darf man freilich, wie mich dünkt, die
Unterschiedenheit, die sich hier auftut, auch nicht nehmen
. Zunächst ist die Buzygische Vorschrift des Toten-
begrabens durchaus auch „spezifisch" jüdisch. Der Verf.
weist selbst auf Tobith hin (1, 17), meint aber, hier
müsse man vielleicht die besonderen Umstände in Rechnung
ziehen (S. 45). Das ist nicht richtig. Vielmehr
stimmt hier Tobith durchaus mit den rabbinischen Vorschriften
zusammen: auch im Judentum gilt das Totenbegraben
als eine der höchsten Pflichten (vgl. F. G.
Moore Judaism 1 71). Beachte übrigens, daß in Tobith
genau wie bei Philo dem Totenbegraben das Speisen
der Hungernden vorangeht; hier liegt also auch ein

jüdischer Traditionszusammerihang vor. Weiter: B. zitiert
als Zeugnis für die Buzygica die Stelle Juvenal Sat.
XIV 103 f. ,non monstrare vias eadem nisi sacra co-
lenti, quaesüum ad fontetn solos deducere verpos. Das
ist aber Polemik gegen die Juden, aus der man zunächst
versucht ist, zu folgern, die buzygische Moral sei den
Juden fremd gewesen; ebenso gut kann man sagen: sie
war ihnen durchaus geläufig, nur schränkten sie diese
Gebote auf die Stammes- und Glaubensgenossen ein!

Wichtiger ist etwas anderes. Daß die Armenpflege
an sich dem Griechentum fremd ist, hat B. wohl unwiderleglich
gezeigt; ebenso daß das Gebot betreffend
die jmoyoiund jrnpoi ungriechisch formuliert ist. Es ist indes
zu beachten, daß dies Gebot bei Josephus a. a. O. in
genau demselben Zusammenhang vorkommt: xoocpijv (!),
ebenso aber auch in der von B. zitierten Auslassung des
Seneca (de benefic. IV 29): quis beneficium dixit qua-
dram panis aut stipem aerls obiecti ant ignis accendendi
factam potestatem? Hätten wir nur Philo und Josephus
, dann würden wir eine jüdische Erweiterung der
Buzygica feststellen, die Josephus aus den Hypothetica
oder aus einer mit Philo gemeinsamen Quelle geschöpft
haben würde. Muß nun nicht gesagt werden, daß diese
Erweiterung auch dem Seneca bekannt war? B. will von
solcher Auswertung der Stelle nichts wissen (S. 99 f.)
und erinnert nur daran, daß in Seneca's Welt, die gesellschaftlich
mehr und mehr der orientalischen sich annäherte
, das Almosengeben zur Tagesordnung geworden
war. Das ist also doch zum mindesten zu konstatieren;
aber ist nicht auch auffallend, daß das Almosengeben
auch bei Seneca, genau so wie bei Philo und Josephus
ausgerechnet in einem buzygischem Zusammenhang vorkommt
? Hier ist ein Punkt, wo künftige Forschung
wohl noch etwas weiter kommen kann.

Die Bemerkungen sollen den Dank nicht schmälern,
die wir dem Verf. für seine gelehrte und ertragreiche
Studie schulden.

Kiel. H. Windisch.

Vorträge der Bibliothek Warburg, hrsg. v. Fritz Saxl, Bd. 8.
Vorträge 1928—1929: Über die Vorstellungen von der Himmelsreise
der Seele. Leipzig: B. Q. Teubner 1930. (IX, 283 S. m. 44 Tat.)
gr. 8°. RM 20—.

Kroil, Dr. phil. J.: Die Himmelfahrt der Seele in der Antike.
Rede, geh. b. der feierl. Übernahme d. Rektorats der Universität am
8. Nov. 1930. Köln: O. Müller 1931. (29 S.) gr. 8°. = Kölner Universitäts
-Reden 27. RM 1.20.
Der 8. Band der Vorträge enthält eine Sammlung von Abhandlungen
, die sich mit der Vorstellung der Himmelsreise in den verschiedenen
Religionen und Zeitaltern beschäftigen. Das Referat stellt sich
die Aufgabe einen Überblick über den Inhalt der Sammlung zu geben.

Im ersten Vortrag behandelt H. Kees „die Himmelsreise im ägyptischen
Totenglauben" (S. 1 — 20). Die Entwicklung der Vorstellung
zeigt ein durchaus widerspruchvolles Bild: dem heliopolitanisch beeinflußten
königlichen Totenglauben der Pyramidenzeit, der eine ,von hellem
Himmelsglanz überstrahlte Jenseitslehre' ist, steht der düstere Totenglaube
der späteren Zeit gegenüber. Hier gewinnt der bislang niedergehaltene
, mit Osiris zusammenhängende, unterweltliche Vorstellungskreis
an Boden. Die Hoffnung auf das Jenseits ist zwar Allgemeingut geworden
; das Jenseits wird aber in dunklen Farben ausgemalt; die Hauptwünsche
der Totengebete sind: die ,Sonne zu schauen' und ,Luft zu
atmen im Totenreich'. Die Vorstellung der Himmelsreise hat diese
Entwicklung mitgemacht: dem in hellen Farben geschilderten Himmelsflug
der Seele im Alten Reich steht eine grausige Ausmalung der Reise
im Neuen Reich gegenüber. — Unter der Überschrift „Heilige Handlung
" bespricht R. Reitzenstein (S. 21—41) die persische und
mandäische Aufnahmetaufe. R. legt hier die Ergebnisse seines 1929
erschienenen Buches „die Vorgeschichte der christlichen Taufe" kurz
dar: die mandäische und persische Taufe sind Vorbilder der christlichen
Taufe gewesen. Ein näheres Eingehen auf die Darstellung verbietet
sich in diesem Zusammenhang. Es sei nur auf die Besprechung des
genannten Buches durch M. Dibelius in dieser Zeitschrift verwiesen
(Jg. 1931, Sp. 128ff.). — R. Hartmann berichtet über „Die Himmelsreise
Muhammeds und ihre Bedeutung in der Religion des Islam"
(S. 42—65). Ohne daß die Vorstellung der Himmelsreise Muh. im
Qor'än (mit Ausnahme des dunklen Verses Sure 17, 1) einen Anhaltspunkt
hätte, findet sie sich in mannigfacher Ausprägung in der späteren
Legende, die in der volkstümlichen Qugsäs-Literatur ihre Anfänge hat.
Woher die Legende stammt, ist nicht präzise zu beantworten; Einflüsse