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Ausgabe:

1932 Nr. 8

Spalte:

188-190

Autor/Hrsg.:

Stählin, Otto

Titel/Untertitel:

Die deutsche Jugendbewegung. Ihre Geschichte, ihr Wesen, ihre Formen. 2. Aufl 1932

Rezensent:

Brunotte, Heinz

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 8.

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Aufbau der gottgewollten Ehe S. 211 ff.), Karl Hesselbacher (Der Einzelne
und die Gemeinschaft in der Ehe S. 277 ff.) und Franz Lüdtke (Moderne
Ehe und Lebensreform S. 309 ff.), um das Eheproblem „wohl das wichtigste
Problem unserer Zeit" (Einf. S. 5) in diesen Jahren „des Schwankens
und Wankens aller christlich-ethischen Werte" (S. 7) „vom evangelischchristlichen
Standpunkt aus zu beleuchten" und so einen „praktischen
Wegweiser", ein „seelsorgerisches Heilbuch" und eine Grundlage für
Aussprachen darzubieten. Erwägt man diese Zielsetzung, so wird man
darüber nicht richten, daß neben auch wissenschaftlich wertvollen Beiträgen
manches Breite, Salbungsvolle, Rhetorische, Ungefähre, dem Geschmack
Undifferenzierter Entgegenkommende dem populären Zwecke
dienen will. Immerhin hätten Wiederholungen sorgfältiger vermieden
werden können. Und es darf nicht verschwiegen werden, daß ein
wirklich grundlegender, tiefschürfender, systematisch-durchlagender und
folgerichtiger Aufsatz, der im Zentralen Klarheit über die Ehe vom
evangelischen Grundartikel aus verbreitet, mehr gewesen wäre als eine
Reihe von Aufsätzen, die sich auch, aber ohne voll der Aufgabe
gerecht zu werden, mit solcher Grundlegung beschäftigen. Vor allem
aber muß eine wissenschaftliche Beurteilung darauf aufmerksam machen,
daß die Herausgeber sich einer Täuschung hingegeben haben, wenn sie
die große Schar der von ihnen gewonnenen Autoren durch „gleiche Gesinnung
" in „inniger Harmonie" verbunden sahen. Das „Geistige, Seelische
", das Lüdtke S. 315 uns als „Gottesreich" und zugleich als
„Ziel der Reform" zu kennzeichnen unternimmt, führt ebenso weit
vom N. T. weg, wie die Proklamation des „heiligen Liebesfeuers" (das,
„wenn es göttlich ist", wie das Feuer, das Moses im Dornbusch sah,
„flammen wird ohne zu vergehn") zum „Wertvollsten", „Tiefsten und
Größten" „in einem Menschenleben" dem reformatorischen Evangelium
sich widersetzt. (Vgl. S. 237, 235, 231). Weiß man nicht, woher die
„heiligen Feiern innigster Vereinigung" (S. 203), stammen ? Erkennt man
nicht, daß die in Hesselbachers (seelsorgerlich reichen und feinsinnigen)
Ausführungen sich findenden Reden vom „Weg zum Ausreifen des göttlichen
Lebensfunkens, der in uns angelegt ist", vom „Mysterium des
Göttlichen" „der ureigensten Persönlichkeit", vom „Funken des Göttlichen
", der in der Ehe lohen sollte, von der „Riesenaufgabe" des Verschmelzens
, die der Ehe gestellt ist, usw. usw. (vgl. S. 285, 286, 291),
wohl vom romantischem Humanismus aus, nicht aber vom Evangelium
aus geführt werden können, und daß diese ganze dem Evangelium
wesensfremde Romantik sich mit den tieferen Einsichten, wie sie Stählin
(S. 252), von Rohden (S. 274 ; freilich ist auch er nicht konsequent),
vor allem aber Althaus (z. B. S. 114) vortragen, ganz und gar nicht
verträgt? Sieht man nicht, daß es den Wirrwarr mehren heißt, der in
den Köpfen unserer „evangelischen" Gemeindeglieder wahrlich schon
reichlich brodelt, wenn man ihnen die von grundlegenden theologischen
Besinnungen allzusehr absehenden, fragwürdigen Neuigkeiten
psychoanalytischer Seelenpraxis und anderes theologisch Ungewaschene
neben Beiträgen, die theologisch ernst genommen werden müssen, auf
dem gleichen Tablett serviert? Damit ist schon gesagt, daß diese
Kritik die Freude über vieles Gute, ja Vortreffliche in dem vorliegenden
Bande nicht aus- sondern einschließt. Zu ihm rechne ich u. a. die
auch Studenten und Kandidaten der Theologie sehr zu empfehlenden
Studien Stählins, die beachtenswerte, nüchterne Erörterung Stanges über
die Durchschnittsehe, das Kapitel von der berufstätigen Frau und der
Ehe (S. 116 ff.) und wiederum Althaus, klärendes und wahrhaftiges Wort
unter der Überschrift „Ehe und Kinder". Freilich, so sehr der Freiheit
und dem Ernst, mit denen das Problem der „gewollten Kinderlosigkeit"
behandelt wird, zugestimmt werden soll, und so sehr wir mit A. davon
durchdrungen sind, daß „Ehegatten", die „in besonderer Lage den Weg
der Verhütung gehen zu müssen meinen" der Gewissensschärfung in
der Regel sehr bedürfen — rufen Sätze wie die: „dann soll evangelisches
Urteil ihnen das Gewissen unruhig erhalten". „Sie dürfen ihren
Weg wahrlich nicht beruhigt gehn", deren Tendenz man beipflichtet,
nicht nach einer Ergänzung? Und müßte diese Ergänzung sich nicht
auf die Fragen beziehn: Wie verhält sich dies unruhige Gewissen zu
der Weisung: „Mensch, wenn du weißt, was du tust, bist du selig;
wenn du es aber nicht weißt, bist du verflucht und ein Übertreter des
Gesetzes" ? Was hat Paulus mit seiner Forderung der festen und klaren
Zuversicht des konkreten Handelns (Rom. 14,5,23) zu dieser Unruhe
zu bemerken?

Jena. Waldemar M a c h o 1 z.

Parpert, Friedrich: Das Wiederaufleben des Mönchtums im

gegenwärtigen Protestantismus. München: E. Reinhardt 1931. (107 S.)

8°. RM 4.80 ; geb. 6.50.

P., der schon mit einem anderen Büchlein (Das
Mönchtum und die evangelische Kirche. Ein Beitrag zur
Ausscheidung des Mönchtums aus der evangelischen
Soziologie. 1930) Propaganda für das evangelische
Mönchtum gemacht hat, sucht in dieser neuen Schrift
nachzuweisen, daß evangelisches Mönchtum den kirchlichen
Forderungen und der theologischen Logik unserer
Zeit entspricht. P. fährt das schwerste theologische
Geschütz auf: Harnack, Troeltsch und Holl, Overbeck,

Barth, Gogarten und Bonus müssen herhalten, um die
Berechtigung und Notwendigkeit eines evangelischen
Mönchtums theologisch zu erweisen. Berechtigt und
notwendig ist nämlich die monastische Ergänzung für
j die evangelische Kirche, die durch die Sekten und Ge-
i meinschaften in ihrer Existenz bedroht ist (Hilbert,
j Thimme, Fleisch). Auf diese Weise sucht P. mit den
i Mitteln der Theologie der Krise die Kirche in einer
Form und jedenfalls durch Einrichtungen zu erhalten,
die nicht nur der Dialektiker und zwar ohne jede
| Dialektik ablehnt. Gewiß hat P. Recht, wenn er auf
I monastische Tastversuche in evangelischen, besonders
I aber in hochkirchlichen Kreisen hinweist. Aber diesem
I Problem ist nicht lediglich durch theologische und kirchliche
Literatur nahezukommen, es handelt sich um soziologische
Probleme: das Verlangen nach einer „abgeson-
I derten Gemeinschaft" ist in weiten Kreisen lebendig.
Die tätige Menschheit unserer Tage ist in ihren regsten
Vertretern durch die Bünde der Jugend gegangen: sie
sucht im Leben bündische Ziele zu erreichen. Weit
öfter als früher glaubt man diese abgesonderte Gemeinschaft
in den Freimaurerlogen zu finden. Was P.
an Beispielen oder Anfängen evangelischen Mönchtums
feststellt, ist geringfügig und hier und da nicht ganz
I ernst zu nehmen. Wenn der Schloßherr von Elmau
Großverdienern, saisonsatten Snobs und einer sonstigen
Elite des Geldbeutels „Bauchredner und Polsterleger"
sein mag, ist das seine Sache: aber die Veranstaltung
ist doch weder evangelisch noch monastisch. Wo ernst-
| hafte monastische Anfänge sind, da geht die Reise un-
I weigerlich nach Rom. P. würde für viele seiner Thesen
und Behauptungen einen lebhaften Verteidiger in C. A.
| Wilkens gefunden haben, der sich in seinen handschrift-
I liehen Tagebüchern (Otium Kalksburgense) als ein Ver-
I ehrer von Newman und Pusey gibt. In der gedruckten
Auswahl ist das nicht zur Geltung gekommen. Aber
auch hier wäre die Rombegeisterung auf die Dauer be-
J denklich geworden. Das Reich Gottes kommt auch ohne
( die äußerlichen Gebärden der vita contemplativa et
; caritativa monastica.

Wenn Harnack allzu oft als Kronzeuge für die Notwendigkeit
einer monastischen Ergänzung der evangelischen
Kirche angeführt wird, dann drängt sich die
Frage auf, warum denn gerade diesem Leben in seiner
agilen Diesseitigkeit jeder monastische Zug gefehlt hat
(zu S. 28). Und wenn es auch erwiesen ist, daß Luther
i trotz des Klosterlebens das geworden ist, was er uns
bedeutet, so ist es doch eine völlige Verdrehung, wenn
P. behauptet, daß das Kloster Luther zum Reformator
gemacht habe. Gerade die Ablehnung aller Möncherei
I durch Luther ist das Entscheidende (zu S. 32).

Leipzig. Otto Lerche.

StähUn, Prof. Dr. Otto: Die deutsche Jugendbewegung, ihre

Geschichte, ihr Wesen, ihre Formen. 2. Aufl. Leipzig: A. Deichert
1930. (IV, 73 S.) gr. 8°. RM 2.80.

Die 2. Auflage des schon vor zehn Jahren erschienenen
Büchleins scheint gegenüber der ersten wenig verändert
zu sein. In gedrängter und flüssiger Darstellung
wird die deutsche Jugendbewegung von ihren ersten Anfängen
her geschildert; eng damit verwoben ist die Darstellung
ihres Wesens, während die Formen, in denen
sie sich ausgeprägt hat, von S. 51 an gesondert dargestellt
werden.

Die Geschichte der Jugendbewegung ist nicht leicht zu schreiben,
da die Quellen nicht allgemein zugänglich sind (S. 1). Zeitschriften
und Tagungsberichte sind oft nur einem kleinen Kreis zugänglich gewesen
. Das Beste ist überhaupt nicht literarisch zu erfassen. Die Ge-
I schichte der Jugendbewegung ist aber auch schwierig zu beschreiben
wegen der Lebendigkeit, Mannigfaltigkeit und Zersplitterung dieser
| Bewegung. In großen Zügen, unter glücklicher Hervorhebung des
Wichtigen und unter Anführung zahlreicher charakteristischer Zitate er-
I folgt auf S. 2—25 die Darstellung bis zum Weltkriege. Die Anfänge
j des Wandervogels werden geschildert (Karl Fischer in Berlin-Steglitz);

dann die Entwickelung der Wandervogelbewegung als Bewegung der
i Jugend, als Flucht vor der Stadt, als Eroberung der Natur und Errin-
i gung eines neuen Lebensstiles. Gut geschildert ist die Durchkreuzung