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Ausgabe:

1932 Nr. 8

Spalte:

180-184

Autor/Hrsg.:

Lortz, Joseph

Titel/Untertitel:

Kardinal Stanislaus Hosius 1932

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 8.

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samere Eindeutschung der Psaltersprache, das Aufarbeiten der von der
deutschen Sprachgestalt her erforderlichen Übertragungen. Die philologischen
Ansprüche sind aber dabei um nichts gemindert. Das Verhältnis
zu den Quellen ist also hier nur noch eine Teilfrage des übersetzungsgeschichtlichen
Gesamtproblems. Die künstlerischen Korrekturen
stehn jetzt im gleichen Gewicht neben den philologischen. Und auch
diese Teilfrage ist längst nicht mehr Gelegenheit zu so eindeutigen
„Fest-Stellungen" wie bisher, da jetzt mehrere Quellenkenner in sich
vielfach verschlungene Arbeit tun. Immerhin: Es ist zu sehen, daß wie
früher Ungenauigkeiten und Textentstellungen der Übertragung von den
Quellen aus gesucht und beseitigt werden. Noch zeigt sich hie und da
V.-Einfluß, daneben richten sich einige Stellen wieder nach FPr., andere
jetzt nach Pelicanus und Bucer. Eine weitere Reihe sucht wie früher
dem hebr. Sinn nach Reuchlins Angaben sich zu nähern. Sehr deutlich
greift die Überarbeitung in die Psalmtitel ein, deren Formulierungen sie
vielfach umprägt. Verschiedentlich ist die Bedeutungsbestimmung einer
deutschen Bezeichnung nach einem hebr. Ausdruck erweitert, ausgetauscht,
neu geprägt, jedoch meist nicht in schematischer Durchgängigkeit.
Überzeugend verraten die Belege zu den syntaktischen Änderungen
den Einfluß der gleichen Quellen wie überhaupt den Versuch, die
souveränere Beherrschung des hebr. Stils für die Textpräzisierung auszunutzen
.

Noch in den Nachrevisionen des nächsten Jahrzehnts kann P. das
Einwirken der Quellen (wozu auch wieder der Rückgriff auf die früheren
Lutherfassungen rechnet) deutlich machen.

In der „Zusammenfassung", die das Buch beschließt, wird noch
das Verhältnis der lutherischen Psalmenübersetzung zur vorlutherischen
Übersetzungstradition besprochen. Diese kommt als möglicherweise
Luther beeinflussende Quelle wegen ihrer Entfernung vom Urtext
höchstens für die Frühzeit in Frage, in der Luther der hebr. Text noch
nicht vertraut ist. Wie bald der auch nach P.s Meinung vermutlich
nur gedächtnismäßige Rückgriff auf diese Überlieferung unnötig, ja in
Luthers Sinne schädlich werden mußte, geht aus den Ergebnissen des
Buches klar genug hervor.

Was zur Kritik des Buches gesagt werden muß,
wird seine Ergebnisse nicht anzutasten brauchen. Auch
die Methode, von der bereits die Rede war, ist an sich
nicht in Frage zu stellen. Was zu sagen ist, wird mehr
oder weniger auf Regiebemerkungen hinauslaufen, die
immerhin auf nicht völlig schließende Fugen der Methode
weisen oder Einzelheiten richtig stellen mögen.

Als die sichtbarste dieser Fugen möchte ich bezeichnen
, daß das Problem der in Luthers Schriften verstreuten
Psalmenzitate ausgeschaltet und einer eventuellen
Sonderuntersuchung zugewiesen wird (S. 113). Das
ist eine für das Gesamtthema zwar nicht gefährliche,
aber auch nicht belanglose Amputation. Denn die Psalmenzitate
sind wichtig nicht allein als Stufen zwischen
den Fassungen der Psalm- und Psalterausgaben, in
denen sich die Bildung des Übersetzungsschatzes mit
vollzieht. Sie sind auch interpretationsgeschichtlich nicht
ohne Bedeutung.

Ich nenne als Beispiel nur einen Grenzfall verarbeiteter Psalterstellen
: das Lied „Es wollt uns Gott genedig seyn", das auf einer
Übertragungs- und Interpretationsstufe von Ps. 67 beruht, die zwischen
dem Betb. und der Fassung von 1524 steht und vor der Psalterausgabe
die im Betb. verlassene, dem Hebr. (und der V.) nähere Übersetzung
von V3B aufweist. Man braucht auch nur zu denken an das Schicksal
gewisser mehrfach in einer Schrift angezogener Stellen, wie es etwa die
Stellen Ps. 19, 13, Ps. 89, 33, Ps. 143, 2 in der einen Schrift „Grund
und Ursach aller Artikel . ." von 1521 spiegeln — Annäherung und
Übergang zu gesuchten endgültigen Wortlauten — um die völlige Abtrennung
des Bereichs der Einzelzitate als Lücke zu spüren.

Ich gebe zum Schluß noch einige Einzelausstellungen
, die indessen das Ganze, sein Ziel und seinen Gewinn
, nicht betreffen:

Mir scheint, bei der Untersuchung der Frühstufen hätten die Dictata
s. Psalt. nachdrücklicher herangezogen werden können. Ihre Textlesarten
hätten überall als mögliche Voraussetzung späterer Übersetzungen in
Betracht bleiben müssen. Mit der gewichtigste Beleg für die Benutzung
des hebr. Textes schon 1518, Ps. 110, 3, wird von P. als eine vom
Hebr. her bedingte Kombination aus Lyra und H. aufgefaßt (S. 11).
Allein, die Dict. weisen schon die Textform auf, aus der P. die Einsichtnahme
in den hebr. Text ableitet. (Vergl. W. A. Bd. IV. 234).
Der Beweis fällt damit. Aber die Möglichkeit irrtümlicher Folgerungen
liegt vor.

Unzweckmäßig scheint, wie im III. Kap. geschieht (S. 74 ff.), so zu
disponieren, daß die Folge der Übereinstimmungen des Psalters von
1524 und der Fassungen des Betb. unterbrochen wird durch Belege für
hebraisierende Korrekturen. Die von der hier wesentlichen Sache

j vorgegebene Gliederung wäre die nach den Quellen, auf denen die
neue Fassung beruht.

Die Auswahl der Stellen aus den Fassungen der Betb.-Pss. im
i Psalter von 1524, die den Zusammenhang mit der Übersetzung des
j Betb. belegen sollen (S. 84 f.), hätte vielleicht geschickter geschehen
j können. Gerade die angeführten Verse enthalten z. T. geläufige Wörter
! oder Formeln, deren Wahl ohnehin nicht fernlag (z. B. Ps. 10, 7;
' 25, 1 ; 103, 3).

Die Isoliertheit von g. 3, die (S. 98 f.) lediglich vermerkt ist, be-
j darf wohl einer Einordnung in den Gang der von P. gezeichneten Entwicklung
, soll sie nicht als Widerspruch zu den gefundenen Zusammenhängen
gelten. Sie kann erklärt werden, wenn man annimmt, daß
Luthers fortgeschrittene Übersetzungstechnik und hebräische Sprachbe-
1 herrschung in dieser Zeit eine gewisse Unsicherheit in ihm auslösen
j gegenüber entschlossener Freiheit, die er sich vorher und nachher nimmt
| (so Ps. 12,4; 33,17) wie gegenüber allzugebundener Wörtlichkeit (wie
Ps. 119, 96; Ps. 118,10). So kommen gerade in der Mitte der Psalterarbeit
solche zumteil den lateinischen Quellen nahe Fassungen zustande.
Bederkesa b. Bremerhaven. Werner Kohlschmidt.

Lortz, Prof. D. Dr. Joseph: Kardinal Stanislaus Hosius. Beiträge
zur Erkenntnis der Persönlichkeit und des Werkes. Gedenk-
schrift z. 350. Todestag. Braunsberg: Herdersche Buchhandlung 1931.
(XII, 242 S.) gr. 8°. RM 5.40.

Die ersten Gegner der Reformation glaubten den
bis dahin unbekannten Wittenberger Augustiner am
besten mit ein paar harten Schimpfworten abtun zu
können. Da Luther darauf nichts schuldig blieb und auf
einen groben Klotz einen groben Keil setzte, so ergab
1 sich jener rauhe und mit persönlichen Gehässigkeiten
geladene Ton, der für die Frühzeit der Gegenreformation
', bezeichnend ist. Eine ansprechende Ausnahme in dieser
' heute oft grotesk wirkenden Auseinandersetzung bildet
der Bischof von Ermland, Kardinal Stanislaus Hosius
(geb. 1504, Bischof von Kulm 1549, von Ermland 1551,
gest. 1579), der bei aller sachlichen Schärfe seines
| gegenreformatorischen Vorgehens persönlich milde war
und sich an Augustins „in omnibus Caritas" hielt. Es
ist bezeichnend für das gegenwärtige Fortschreiten der
Gegenreformation, daß man auf katholischer Seite sich
I gerade dieses Mannes wieder entsinnt. Denn die Ura-
j Benennung des Lyceum Hoseanum in Braunsberg in das
I nichtssagende Staatliche Akademie schien zunächst doch
i darauf hindeuten zu wollen, daß man mit der durch
I Hosius bezeichneten Tradition in Ermland, die sich nach
Warschau und Rom orientierte, brechen wollte. Aber
i der zeitgemäße Ausbau dieser Staatlichen Akademie, des
! einzigen staatlichen römisch-katholischen Priesterseminars
in Preußen, dem die evangelische Kirche nichts
Gleichartiges gegenüberstellen kann, tut deutlich dar,
I daß die Gegenreformation im Geiste des Kardinals
i Hosius fortschreitet, und das Buch von Lortz ist der
: Beweis dafür, daß man sich auch um die theologischen
j Fundamente dieser Tradition, die fortzuführen man
! durchaus gewillt ist, ernsthaft bemüht.

Lortz gibt nun nicht etwa eine neugrundlegende Biographie, in der
j er neues Material gegenüber der alten Darstellung von A. Eichhorn
| (1854/55) beibringen oder einen neuen Standpunkt gegenüber K. Benrath
! (RE. 3. A. Bd. 8) oder Eisner (1911) einnehmen könnte, sondern er
! bringt lediglich „Beiträge" zur Erkenntnis der Persönlichkeit und des
l Werkes, wie es im Untertitel heißt, und auch das nur mit Einschränkung,
J denn es geht nur um Hosius den Polemiker, und von seinem Werk
! wird nur der literarische nicht der politische Niederschlag betrachtet.

Was aber über den Rahmen des Polemikers (S. 28—149) hinausgeht —
! die wenigen Blicke auf Theologie S. 150- 178, Religiosität S. 179—196
| und geistige Gestalt S. 179—222 des Hosius - das wird doch wiederum
nur von dem Boden der Polemik aus betrachtet. Und dabei kann L.
nicht einmal neue Gesichtspunkte in der polemischen Lebensarbeit des
H. eröffnen; es bleibt im Wesentlichen beim Alten: H. war sachlich
scharf, persönlich milde (S. 195. 205), er verfuhr soweit angängig nach
dem Prinzip „in omnibus Caritas" (S. 89). Doch damit wäre ein Anlaß
für diese Schrift nicht gegeben. In der Tat aber hat L. etwas zu
sagen, das die Erscheinung des Buches rechtfertigt und das eine Auseinandersetzung
mit ihm lohnt.

L. sieht die Ursache der Reformation in dem weltlich
gewordenen Leben und Treiben der Geistlichkeit
(S. 34) — eine gewiß recht oberflächliche Ansicht! Er
sieht weiter in der Minderwertigkeit der Theologie jener
! Zeit einen Grund der reformatorischen Bewegung. Aber