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Ausgabe:

1931 Nr. 6

Spalte:

138-140

Autor/Hrsg.:

Erbe, Hellmuth

Titel/Untertitel:

Bethlehem, Pa 1931

Rezensent:

Bettermann, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 6.

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zeigt zunächst, wie es in Weiterführung eines Gedankens
von Sohm, der ausführt, daß bei den Reformatoren
der mittelalterliche Gedanke der Kirche und Staat umfassenden
einheitlichen Christenheit fortlebt, durch Rie-
ker zur Verwendung des Begriffes „corpus christianum"
bei Troeltsch gekommen ist. Dieser These ist Holl entgegengetreten
und hat die Existenz einer Idee des „corpus
christianum" auch für das Mittelalter abgelehnt.
Im Gegensatz zu Holl zeigt nun F. an Gierke und Sohm,
daß im Mittelalter die Idee der einen Christenheit des
geistig-weltlichen Universalreiches tatsächlich lebendig
war. Dafür werden Ausdrücke wie universitas, ecclesia
universalis, respublica generis humani, corpus Christi
u. a. verwendet, während sich der Ausdruck corpus christianum
in den Quellen nicht findet und deshalb von der
Forschung besser vermieden werden sollte. In der Reformation
wird die Idee der sichtbaren universellen
Christenheit durchbrochen; denn der Kirchenbegriff ist
ein anderer geworden. Glieder der Kirche sind nicht
mehr alle Getauften, also die ganze christliche Menschheit
, sondern nur die wahrhaft Gläubigen. Auch wenn
Zwingli an der Kindertaufe festhält, so wird der Christ
doch erst durch den freien Glauben Glied der wahren
Kirche Christi. Durch diese Verinnerlichung des Kirchenbegriffs
ist der mittelalterlich-katholische Begriff
der Christenheit überwunden. Bei Zwingli ist von einer
Idee eines grundlegenden „corpus christianum" nichts
zu finden. Damit ist nicht gesagt, daß Kirche und
Staat im Sinne des modernen Liberalismus getrennt
seien. Noch steht das ganze Leben unter religiösem
Vorzeichen. Sichtbare Kirche und Staat sind bezogen
auf die höchste Gemeinschaft des Reiches Gottes.
Daraus ergibt sich die Bestimmung ihres Verhältnisses.
Unter geordneten Umständen braucht die Kirche die
weltliche Obrigkeit nicht. Diese schützt negativ die
Christen, indem sie den äußeren Frieden aufrecht erhält
. Sie findet ihre Schranke in der Sphäre des Glaubens
und der Gesinnung. Keine äußere Zwangsgestalt
vermag den Glauben zu gebieten. Die Kirche ihrerseits
hat nur die Aufgabe der Wortverkündigung. In Zeiten
der Not dagegen hat die Obrigkeit, sofern sie eine
christliche und damit Glied der Kirche ist, die Pflicht,
der Kirche zu helfen. Sie handelt dann nicht als Obrigkeit
, sondern nur mittelbar als praecipuum membrum
ecclesiae. Dieses Eingreifen der Obrigkeit beruht auf
dem Prinzip des allgemeinen Priestertums. Daraus folgert
die Toleranzidee bei Z. Der Glaube kann nicht erzwungen
werden. Denen, die sich der neuen Ordnung
nicht fügen wollten, wurde Gelegenheit gegeben, das
Land zu verlassen. Die Auswanderung geschah ohne
jede Ehrenminderung. Andersdenkende mußten auf die
öffentliche Betätigung ihrer Lehre verzichten, weil man
daraus Unruhen befürchten mußte.

Der zweite Abschnitt berichtet über die tatsächliche
Durchführung dieser Grundsätze. Als die kirchlichen
Obern auf keine Reformen eingehen wollten, bat Z. die
weltliche Obrigkeit um die Einberufung einer Disputation
. Diese war ein freies Konzil, eine christliche
Versammlung, an der nicht die Obrigkeit, sondern alle
Anwesenden als Christen urteilten, indem sie sich unter
die Schrift stellten. Dann trat Z. für die Durchführung
der neuen Ordnung von der Einzelgemeinde aus ein.
Die Obrigkeit hat dabei nicht über das Wort Gottes zu
befehlen, sie soll aber kraft ihres obrigkeitlichen Amtes
die falsche päpstliche Predigt verbieten, um Unruhen
zu vermeiden. Bald ergaben sich Schwierigkeiten. Der
zwiespältige Gottesdienst war ein unhaltbarer Zustand.
Die Täufer begannen eigene Wege zu gehen. Dagegen
mußte eine einheitliche Ordnung angestrebt werden. Z.
zieht die Obrigkeit heran zur Abschaffung der Messe.
Er ist dabei der Auffassung, daß der Rat unter stillschweigender
Zustimmung der Gemeinde die neue
Nachtmahlsordnung eingeführt hat. Tatsächlich verfügte
aber der Rat von Amtes wegen das Abtun der
Messe nicht nur in der Stadt, wo er als Organ der Gemeinde
gelten konnte, sondern auch für die Landschaft,

wo er Landesherr war. Darin liegt die Tendenz zum
obrigkeitlichen Kirchenregiment, wogegen Z. im „Sub-
sidium" protestierte. Z. mußte aber unter dem Drucke
von Außen, der katholischen Opposition im Innern und
wegen der Täuferunruhen die Obrigkeit gewähren
lassen. Die Kindertaufe wird Staatsordnung. Der Bann,
ursprünglich nur Ausschluß vom Nachtmahl, wird zum
bürgerlichen Boykott. Z.s Anschauungen erfahren bedeutsame
Veränderungen. Er vertritt den Gedanken,
daß das Reich Gottes auch äußerlich in Erscheinung
zu treten habe. Die Obrigkeit kann in äußeren Dingen
der Kirche befehlen. Dabei will Z. immer noch daran
festhalten, daß der Glaube nicht erzwungen werden
kann. In der Stadt fällt jetzt die Kirchgemeinde und
die bürgerliche Gemeinde zusammen und wird zu einer
geistlich-weltlichen Größe. Das pneumatisch-charismatische
Gemeindeprinzip ist damit in seinem innersten
Wesen erschüttert. Diese enge Verbindung von Kirche
und Staat mit starker Tendenz zum obrigkeitlichen Kirchenregiment
ist für Z. nur möglich, wenn die Obrigkeit
unter der Leitung Gottes und der Bibel steht. Z.
weiß sich als Träger des prophetischen Charismas,
d. h. als berufener Ausleger der Schrift und Verkündiger
des göttlichen Willens. Er macht diesen im Staat geltend
im geheimen Rat und regiert dadurch tatsächlich
selber den Staat. Darin hat die prophetisch-theokra-
tische Herrschaft ihren Ausdruck gefunden. Z. hat
obrigkeitliches Kirchenregiment und Eigenständigkeit
der Kirche, die sich im Grunde ausschließen, zusammengezwungen
unter den Spannbogen seiner Theokratie.
Die einschneidendste Maßnahme ist der Zwang zum
Kirchenbesuch. Damit ist das Wesensgesetz der reformatorischen
Kirche verletzt. Zürich konnte die Spannung
der Theokratie nicht ertragen. Das Vertrauen zum
Führer schwindet, die Anerkennung des prophetischen
Charismas tritt zurück, seine politischen Pläne werden
nicht befolgt. Mitten in dieser Spannung brach das
Leben Zwingiis.

Farner hat mit seiner Arbeit in grundlegender
Weise die verwickelten Fragen aufgehellt. Nur die
strenge begriffliche Formulierung vermochte zu klaren
Anschauungen zu führen. Dabei wird in einem reichen
kritischen Apparat zu einer Menge von Fragen spezieller
wie auch allgemeiner Art Stellung genommen und immer
kann man sich darüber freuen, wie scharfsinnig mancher
Knoten entwirrt wird. Gegenüber bisherigen Arbeiten
, die sich speziell mit Z.s Kirchenbegriff oder Z.s
Staatslehre auseinandersetzen, hat F. den doppelten Vorzug
, daß er beides, Kirche und Staat, gleichzeitig untersucht
und dadurch erst zu einer klaren Bestimmung
ihres Verhältnisses zueinander gelangt und daß er zuerst
nur auf Grund der Schriften Z.s die Lehre des Reformators
darstellt, unbekümmert um die tatsächlichen
Verhältnisse in Zürich. Sobald man, wie es z. B. Hundeshagen
tut, von Anfang an die tatsächliche Gestaltung
mitberücksichtigt und dann allerdings mit Recht die

I kirchenregimentliche Tätigkeit der Obrigkeit hervorheben
muß, verbaut man sich den Weg zu Z.s grund-

' legenden und wertvollsten Gedanken. Daß F. diese in
ihrer ursprünglichen Klarheit, der die Wirklichkeit nur
ganz kurze Zeit annähernd entgegenkam, herausgearbeitet
hat, ist das vornehmste Verdienst seiner Arbeit.
Es sind die Gedanken von dem pneumatisch-charismatischen
Wesen der Kirche, von der Bezogenheit des
Staates auf das Reich Gottes und seine Zwecke und
damit von der wesentlichen Loslösung Zwingiis von den

[ mittelalterlichen Anschauungen auf diesem Gebiet. Da-

I mit ist zugleich ein wertvollster Beitrag zur allgemeinen
Reformationsgeschichte gewonnen.
Zürich. _L. von Muralt.

Erbe, Hellmuth Dr.: Bethlehem, Pa. lüne kommunistische Herrn-
huter Kolonie des 18. Jahrhunderts. Stuttgart: Ausland und Heimat
Verlags-Aktiengesellschaft 1929. (191 S., 8 S. Abb., Kte. u. Plan.)
gr. 8°. ssr Schriften des Deutschen Ausland - Instituts, Stuttgart,
A, Bd. 24. RM 5.50; geb. 6.50.

Die Monographie Erbes über Bethlehem in Penn-