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Ausgabe:

1931 Nr. 6

Spalte:

135-138

Autor/Hrsg.:

Farner, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Lehre von Kirche und Staat bei Zwingli 1931

Rezensent:

Muralt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 6.

136

vom Thor an Prior und Konvent d. Klosters über Unruhen in Erfurt,
13. Juli 1521, nebst b) einem Bericht über das Erfurter „Pfaffenstürmen"
vom 12. Juni, c) Gregor Korn, bacc. art., an einen Zeitzer Bürger über
die Neuerungen in Wittenberg, 26. Dez. 1521. d) u. e) E. vom Thor
an das Kloster Tegernsee über die Neuerungen in Kursachsen, 12. Jan.
1522. f) Joh. Dölsch an den ehem. Wittenberger, dann Ingolstädter
Professor der Medizin Peter Burckhard, 3. Febr. 1522: Bitte, ihm aus
dem umstürzlerischen Wittenberg herauszuhelfen.

6) E. Feddersen, Philippismus und Luthertum
in Dänemark und Schleswig-Holstein. S. 92—114.

Knappe, klare und sichere Zeichnung der theol. Lage in Dänemark
— „echter" Philippismus des Niels Hemmingsen -- und in Schleswig
-Holstein : Übergewicht eines antikalvinistischen Philippismus (Paul
von Eitzen) gegenüber Gnesiolutheranern (Peter Bockelmann-Husum).
Vf. schließt mit den Thesen: „Vom Philippismus führt eine deutliche
Linie hinüber zum „Synkretismus" Caliats (Anm.: Des Pfarrerssohns
aus Medelby), von dieser Richtung aber zur religiösen Aufklärung. Dagegen
ist man berechtigt, vom Luthertum der Konkordienformel über
die „lebendige Orthodoxie" des 17. Jhts. zum Pietismus und von da
zur lutherischen Restauration des 19. Jhts. hinüberzusehen."

7) W. Friedensburg, Der Kampf der Stadt
Straßburg gegen das Augsburger Interim. S. 115—136.

Ein Beitrag vor allem zur Religionspolitik Straßburgs unmittelbar
vor und dann während des Augsburger Reichstags 1555.

8) E. Staehelin, Die Entstehung der evangelisch
-theologischen Fakultät in Basel. S. 137—154.

9) K. Bauer, John Colet und Erasmus von
Rotterdam. S. 155—187.

Vf. setzt dort ein, wo Mestwerdts „Anfänge des Erasmus" abbrechen
. Das Ergebnis, Erasmus habe von Colet „die erste Anregung
empfangen, sich der Theologie zu widmen", ist m. E. zu ausschließlich
formuliert, trotz seiner Ableitung aus einer sehr sorgfältigen Kennzeichnung
Colets und der lebhaften Beziehungen zwischen den beiden sich
gleichaltrig fühlenden Humanisten.

Die Anmeldung weiterer kleiner Fragen und Bedenken
, besonders zu den Stücken 1, 4, 6, 8 u. 9, muß
sich die durch den Aufbau derartiger Sammlungen an
dieser Stelle gebotene einfache Berichterstattung versagen
.

Rostock. Ernst Wolf.

Farn er, Alfred: Die Lehre von Kirche und Staat bei Zwingli.

Tübingen: J. C. B. Mohr 1930. (XII, 139 S.) gr. 8°. RM 9.50.
Die vorliegende Arbeit, welche im Februar 1927 abgeschlossen
wurde und der rechts- und staatswissenschaftlichen
Fakultät der Universität Zürich als Dissertation
vorlag, behandelt stofflich ein Teilgebiet der
Reformationsgeschichte. Sie beruht auf dem Schrifttum
Zwingiis und den Quellen und der Literatur über die
Reformation im zürcherischen Stadtstaate. Trotzdem
greift sie weit über diesen Rahmen hinaus, einerseits
dank der Größe Zwingiis, der berührt von der Tat
Luthers unter allen denen, welche die Reformation bejahten
, am selbständigsten den reformatorischen Glauben
erfaßt und daraus heraus die Welt umzugestalten
versucht hat, andrerseits dank dem Bemühen des Verf.,
von diesem Teilgebiet aus in die allgemeine Diskussion
über die Probleme Kirche, Staat und ihr Verhältnis zueinander
in der Reformation, wie ihre Abgrenzung
gegenüber dem Mittelalter einzugreifen.

Im ersten Teil behandelt F. die Lehre von der
Kirche. Der Kirchenbegriff Z. beruht auf seinem Glauben
, der seinen theologischen Ausdruck in der Lehre von
der Rechtfertigung aus Glauben findet. In einer ersten
Periode (1522—1528) kommt „Kirche" bei Z. in doppelter
Bedeutung vor: Die Kirche Christi ist die Gemeinschaft
der wahrhaft Gläubigen an allen Orten und zu
allen Zeiten. Sie tritt leiblich nie zusammen und doch
ist sie wirklich da, wo in Christus gelebt wird, wo das
Wort Gottes verkündigt wird. Das Wort schafft die
Brücke von der allgemeinen, wahren, unsichtbaren Kirche
zu der sichtbaren Kirche, der Gemeinde. Die Gemeinden
, die „Kilchhörinen", sind Glieder der wahren
Kirche. Sichtbare und unsichtbare Kirche können bei Z.
nicht einander gegenübergestellt werden. Z. kennt nur
eine wahre Kirche, die Gestalt gewinnt in der Einzelgemeinde
. Eine Wandlung des Kirchenbegriffes kündigt

j sich an, indem Z. in dritter Bedeutung Kirche gebraucht
I für die Gemeinschaft aller äußern Bekenner Christi. In
I der zweiten Periode (1528—1531) verändert sich der Kirchenbegriff
unter dem Einfluß der Prädestinationslehre,
dem Kampf gegen die Täufer und der immer stärker
hervortretenden Stellung Zwingiis als Prophet. Die
wahre Kirche ist die Gemeinschaft der Auserwählten.
Daneben ist für Z. sichtbare Kirche die Menge der sich
äußerlich zu Christus bekennenden. In diese wird die
Gemeinde eingeordnet. In der ersten Periode entwickelt
Z. das reformatorische Gemeindeprinzip. Dieses beruht
auf dem Grundsatz des allgemeinen Priestertums aller
Gläubigen. Jeder einzelne Christ hat das Recht, am
Aufbau der sichtbaren Kirche mitzuwirken. Als Glied
der wahren Kirche hat jede Gemeinde die volle Kirchengewalt
. Diese ist geistlich, nicht weltlich. Die Gemeinde
hat das Pfarrwahl- und Absetzungsrecht, d. h.
sie kann das besondere Charisma des Predigers anerkennen
oder nicht. Die Gemeinde urteilt unter dem
Geiste Gottes und der Schrift stehend über die Lehre^
die Bilder, die Messe und die Ordnung des Gottesdienstes
. Die Ordnung dieser Kirche ist nicht rechtlicher
Natur, sie ist vielmehr pneumatisch-charismatischer
Natur. Sie steht damit in schroffem Gegensatz
zur mittelalterlichen Kirche als göttlicher Heilsanstalt.
Sie ist nicht wirklich im Wort, sondern in der Gemeinschaft
der wahren Christen. Z.s Auffassung vom Wesen
der Kirche entspricht damit derjenigen Luthers, wie
sie von So hm und Holl nachgewiesen wurde.

Im zweiten Teil wird Z.s Lehre vom Staate dargestellt
. Dieser wird aus seiner mittelalterlichen Bevormundung
durch die Kirche herausgehoben. Er erfährt
eine doppelseitige Begründung. Einerseits ist er notwendig
wegen der menschlichen Sündhaftigkeit. Die „göttliche
Gerechtigkeit", zusammengefaßt im Gebot der
Gottesliebe und Nächstenliebe, erfüllen die Menschen
nicht. Sich selbst überlassen würden sie nicht anders
leben als unvernünftige Tiere im Krieg aller gegen alle.
Um dies zu verhindern, hat Gott die „menschliche Gerechtigkeit
" eingesetzt. Sie ist nur äußerlich und verglichen
mit der göttlichen darf sie den Namen Gerechtigkeit
eigentlich nicht beanspruchen. Sie wird gehandhabt
von der Obrigkeit. Diese hat mit ihrer Macht
die äußere Ordnung und den Frieden aufrecht zu erhalten
. Andrerseits wird nun aber die Obrigkeit auch
bezogen auf die höchste Gemeinschaft, das Reich Gottes.
Sie ist Dienerin Gottes. Unter der äußeren Christenheit
sind viele, die den wahren Glauben nicht haben, sie
folgen ihrer Selbstsucht und unterdrücken die Armen
und Schwachen. Die wahren Christen, die keine Gewalt
brauchen, wären ihnen schutzlos ausgeliefert. Jede friedliche
Verkündigung des Evangeliums wäre unmöglich.
So muß der Staat die Ausbreitung des Wortes Gottes
schützen. Der Staat hat damit eine erzieherische Aufgabe
, er ist eine sittliche Größe. Er ist ein Werkzeug
des Zornes und der Liebe Gottes.

Der Staat geht bei Zwingli nicht aus dem „relativen Naturrecht"
hervor. F. stellt sich in Gegensatz zu Troeltsch, W. Köhler, P. Meyer.
Die Lehre vom absoluten und relativen Naturrecht vermag die Gedanken
Z.s nicht zu erfassen. Z. bezeichnet an manchen Stellen
mit Gesetz der Natur das christliche Liebesgebot. Andererseits sind
die bestehenden Verhältnisse kein feststehendes Gesetz. Der göttlichen
Gerechtigkeit allein kommt die absolute Qualität der Souveränität
zu. Das Reich Gottes ist zwar nicht von dieser Welt. Durch die christliche
Liebesgesinnung aber wirkt das Evangelium in der Welt und soll
sie umgestalten. Damit hebt sich Z.s Staatsauffassung scharf ab von der
naturrechtlichen Begründung des Staates durch Thomas und die Scholastik.

Der dritte Teil behandelt Z.s Anschauung über das
Verhältnis von Kirche und Staat, in einem ersten Abschnitt
die Grundzüge, in einem zweiten die historische
Entwicklung. In Anlehnung an Troeltsch haben W.
Köhler und P. Meyer (Zwingiis Soziallehren, 1921) angenommen
, daß bei Z. das Verhältnis von Kirche und
Staat bestimmt sei durch das Fortleben der mittelalterlichen
Idee des „corpus christianum". F. nimmt deshalb
in umfassender Weise zu dieser Frage Stellung. Er