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Ausgabe:

1931 Nr. 5

Spalte:

111-112

Autor/Hrsg.:

Schneider, Heinrich

Titel/Untertitel:

Joachim Morsius und sein Kreis 1931

Rezensent:

Wolf, Ernst

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111

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 5.

112

Luther zu betrachten" (S. 56), und der Verf. macht das
(S. 162 ff.) für die Schilderung des Studenten Luther,
über dessen Leben wir authentische Nachrichten nach
dieser Richtung doch fast gar keine haben, an einem
lehrreichen Beispiel in anschaulicher Weise klar.

Die Kritik an Luther ist bei Mathesius, seiner ganzen
Einstellung und der Tendenz seines Werkes entsprechend
, selbstverständlich zurückhaltend, aber einen
Panegyrikus hat er nicht geschrieben, und daß er eine
so heikle Frage, wie Luthers Verhalten bei der Nebenehe
Landgraf Philipps von Hessen, über die Sleidan in
seinen Kommentarien sich bekanntlich völlig ausgeschwiegen
hatte, nicht ohne leisen Tadel berührt, — „es
haben alle Heiligen ihre Pfauenfüße auf Erden tragen
müssen . . . der Gläubigen Fehler und Straucheln schaffen
dennoch viel mehr Gutes in der Christenheit denn
aller Mönche und Heuchler heilige, gestrenge und erdichtete
Heiligkeit" (vgl. S. 60) —, muß ihm hoch
angerechnet werden; andererseits hat Mathesius im
Gegensatz zu seinem Freunde Melanchthon das Interim
unbedingt abgelehnt, während er in rein politischen
Fragen, in seiner Stellung zum schmalkaldischen Krieg,
hier unter unmittelbarstem, persönlichem Einfluß König
Ferdinands, in seiner Beurteilung der beiden habsburgi-
schen Brüder Karl und Ferdinand, seiner Landesherren,
einen Standpunkt eingenommen hat, der von demjenigen
seiner protestantischen Glaubensgenossen sich stark
schied.

So viel dürfen wir behaupten, daß Mathesius bei
aller Verehrung für Luther bestrebt gewesen ist, seine
nicht leichte Aufgabe in durchaus objektiver Weise zu
lösen. Im einzelnen können wir hier der Beweisführung
des Verf.s natürlich nicht nachgehen, nur das sei wiederholt
, daß er unter souveräner Beherrschung des gewaltigen
Stoffes an seine Arbeit herangetreten ist, und
daß er bei aller Anerkennung für die Leistungen seiner
Vorgänger, besonders Georg Loesches, diese nicht nur in
Einzelheiten, sondern in seiner Gesamtauffassung von
Mathesius und seinem biographischen Werk weit überholt
hat. Die Grundlage für eine wissenschaftliche Beurteilung
der Lutherpredigten haben wir durch diese
schöne und lehrreiche Studie erhalten. Hingewiesen
werden muß noch besonders auf den Anhang (S. 216
bis 286), auf die „Tabellarische Übersicht der Quellen",
in welcher für jede der 17 Predigten die einzelnen
Quellen genau verzeichnet sind, soweit sie sich nach
Druckwerken des 16. Jahrhunderts oder — wie z. B. bei
den Tischreden — aus später veröffentlichten gleichzeitigen
Aufzeichnungen nachweisen lassen. Den Abschluß
(S. 287—297) bildet ein sehr dankenswertes
Personenverzeichnis, das von dem Umfang von Mathesius
' literarischen Beziehungen ein recht anschauliches
Bild bietet.

Göttingen. Adolf Hasenclever.

Schneider, Heinrich: Joachim Morsius und sein Kreis. Zur

Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts. Mit mehr. Abb. im Text.
Lübeck: Otto Quitzow 1929. (120 S.) 8°. geb. RM 6 — .

Die Schrift bietet: 1. Eine knappe Lebensgeschichte
des aus Hamburg stammenden Philologen und ersten
Rostocker Universitätsbibliothekars, des „Theosophen"
und leichtgläubig vielgeschäftigen „rosenkreuzerischen"
Geheimbündlers und ßüchersammlers J. Morsius (3. 1.
1593—Ende 1643). 2. Ein Verzeichnis der Schriften
des M., dazu der von ihm herausgegebenen und
der an ihn gerichteten. 3. Eine prosopographisch
ansatzweise bearbeitete Liste der Freunde des M.,
die sich in sein 1610 angelegtes und für die Geistesgeschichte
Nordwesteuropas in jener Zeit wichtiges
Album eingetragen haben, ursprünglich 779
Namen, darunter eine Fülle bekannter und bedeutender
. 4. Neben einem Bildnis J. V. Andreäs die
Wiedergabe von 12 bemerkenswerten Eintragungen aus
jenem jetzt im Besitz der Lübecker Stadtbibliothek —
an ihr ist der Verf. tätig — befindlichen Album.

Für die Stücke 2, 3, 4 wird jeder, den das geistige
< Leben Deutschlands in der ersten Hälfte des 17. Jahrh.
beschäftigt, dem Verf. danken; und für Stück 1, sofern
es durch die Verzweigungen gelehrter und freundschaftlicher
Beziehungen des M. und damit durch das persönliche
Zu- und Gegeneinander naturwissenschaftlicher
(des J. Jungius societas ereunetica z. B.), theosophi-
scher (Böhme) und kirchlich-reformatorischer (Arndt)
Kreise an seinem Teil hindurchgeführt. Man vermißt
aber den Versuch zur wirklichen Durchzeichnung der
inneren Lebenslinie des N.T. in ihrer Bestimmtheit und
Bewegtheit. Sein gelegentlicher Deckname Anastasius
Philaretus Cosmopolita bleibt so vorerst nur Richtungsweiser
. Es wird nicht leicht sein, den Ertrag dieses
wirren Lebens zu buchen; zu dem überlauten Lob der
Zeitgenossen scheint er in peinlichem Widerspruch zu
i stehen.

Rostock. E Wolf.

Ahrens, Dr. Liselotte: Latnennais und Deutschland. Studien
zur Geschichte der französischen Restauration. Münster i. W.: Helios-
Verlag G. m. b. H. 1930. (X, 301 S.) gr. 8°. = Universitas-Archiv
Bd. 32. Historische Abteilung hrsg. von G. Kallen u. J. Ziekursch
Bd. 3. RM 18-.

Für die noch längst nicht genug aufgehellte Vorgeschichte
des Ultramontanismus in Deutschland ist L.
von grundlegender Bedeutung. Eine Monographie über
„L. und Deutschland" ist deshalb, auch wenn sie den
Untertitel „Studien z. Gesch. der französischen
I Restauration" trägt, von vornherein der Beachtung
sicher. Der Untertitel ist für die vorliegende Arbeit
kennzeichnend, denn sie behandelt ausschließlich die
Fragen: „Wie hat L. Deutschland gesehen? Welche
Lektüre, welche Menschen bestimmten seine Vorstellungen
? Wie haben sich diese der Entwicklung seiner
Ideenwelt eingeordnet und über das Gedankliche hinaus
reale Beziehungen geschaffen?" Es wird also der Einfluß
und der Eindruck Deutschlands auf L., nicht der
Einfluß L.'s auf Deutschland untersucht. Doch soll
eine zweite Arbeit der Verfasserin diesem zweiten
Thema gewidmet werden. A. ist durch G. Beyerhaus zu
ihrer Untersuchung angeregt. Sie geht außerordentlich
systematisch vor, wobei eine ganze Reihe von bisher
nicht erschlossenen Quellen ihr zu Gebote standen. Ich
nenne vor allem den Briefwechsel Metternichs mit dem
österreichischen Gesandten an der Kurie Graf Lützow,
der in Anhang I veröffentlicht wird; dann den Briefwechsel
zwischen L. und Senfft von Pilsach, der sich im
Innsbrucker Jesuitenkolleg befindet, endlich die Briefe
Ecksteins an Cotta im Cotta'schen Hausarchiv. Gestützt
auf diese Quellen und eine ausgedehnte Literaturkenntnis
untersucht die Verf. nach einer forschungsgeschichtlichen
Einleitung im ersten Kapitel L.'s Stellung zum
politischen Deutschland. Besonders wertvoll ist dabei
der klare Nachweis, daß entgegen der These Paul
Dudon's S. J. Metternich bei der Verurteilung L.'s durch
Rom dauernd seine Hand im Spiel gehabt hat (S. 26 ff.).
Das zweite Kap. schildert L.'s Beziehungen zum „geistigen
" Deutschland (Leibniz, Semler, Mosheim, Stolberg,
Niebuhr, Kant, Hegel, Schlegel usw., außerdem die Begegnung
mit dem Münchener Kreis 1832). Wichtig ist
dabei die Unterscheidung zwischen dem französischen
Traditionalismus, der rein erkenntnistheoretisch bedingt
ist, und der deutschen Romantik. Der Aufsatz von
George Goyau „Le portefeuille de L." in der Revue des
deux mondes VII 48, 1928, S. 113—136; 405—426, der
Briefe Liszt's an L. enthält, ist der Verf. leider entgangen
. Ein drittes Kap. ist dem Diplomaten Senfft
j von Pilsach, ein viertes dem Journalisten Ferdinand von
i Eckstein gewidmet, beides persönliche Freunde L.'s.
Im ganzen wird man sagen müssen, daß 1. das Urteil
L.'s über Deutschland meistens ungünstig und 2. der
Einfluß Deutschlands auf L. nicht übermäßig groß gewesen
ist. —

Der Stil der Arbeit hat mir die Lektüre sehr erschwert. Während
; die Einteilung sehr klar ist, hinterlaßt der Text nicht den gleichen Ein-