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Ausgabe:

1931 Nr. 5

Spalte:

105-107

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Aus der Werkstatt des Vollendeten 1931

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 5.

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Plotin bei Augustin noch am Lebensausgang seinen
Platz behauptet hat. — Ob das speculum wirklich als
Bibelauszug für die gemeint war, die die ganze Bibel
nicht lesen konnten (28, 4), oder ob der Sittenspiegel
nur die eigenen vielen Bücher Augustins ersetzen
sollte? _ Vielleicht sind c. 31, 7 die tractatus aliorum
sanctorum der Bischofs-Bibliothek doch nicht nur Predigtbände
; tractatus hat doch auch allgemeinere Bedeutung
. — Die Art der Überlieferung von Predigten ist
mir noch nicht verständlich; während Abhandlungen
und Briefe diktiert sind (dictare), scheinen die Predigten,
von denen nur ein 'dicere' ausgesagt wird, einfach von
Hörern nachgeschrieben und dann wohl vom Prediger
durchgesehen zu sein. Da auch ein Schnellschreiber
nicht alles aufgenommen haben kann, so erklärt sich
daher am leichtesten die Kürze so vieler Sermone Augustins
, die skizzenhaft wirkt.

Es ist ein schöner Abschluß des ausgedehnten
Harnackschen Schrifttums, auf das Possidius' bewunderndes
Wort angewendet werden kann, daß „kaum ein
Gelehrter imstande ist, alles durchzulesen und zur
Kenntnis zu nehmen", das aber auch in der Durchsichtigkeit
und dem Glanz der Sprache, dem Reichtum der
Gedanken und dem Sinn für edles Maß dem Augusti-
nischen verwandt ist.
Qöttingen. H. Dörries.

Harnack, Adolf von: Aus der Werkstatt des Vollendeten. Als

Abschlull seiner Reden u. Aufsätze hrsg. v. Axel v. Harnack. Gießen:
A. Töpelmaun 1930. (VIII, 293 S. m. 2 Bildnissen) gr. 8°.

RM 8.50; geb. 11-.

Viermal hat Ad. v. Harnack selbst Sammlungen
seiner Reden und Aufsätze ausgehen lassen, sämtlich
im Verlag von A. Töpelmann in Gießen. Zweimal erschien
ein Doppelband: zunächst der mit dem Haupttitel
„Reden und Aufsätze" 1903, 2. Auflage 1906. Die
„neuen Folgen" trugen dann Untertitel. Zunächst der
andere Zweibänder den „Aus Wissenschaft und Leben"
1911. Es folgten in je einem Bande „Aus der Friedensund
Kriegsarbeit" 1916 und „Erforschtes und Erlebtes"
1923. Jetzt gibt der Sohn Axel von Harnack dem
Ganzen den Abschluß „Aus der Werkstatt des Vollendeten
".

Solche Sammlungen sind immer dadurch gekennzeichnet
, daß die ersten Teile aus dem Vollen schöpfen
können, die späteren auch auf Zweitklassiges angewiesen
sind. So reicht auch in unserem Fall die Fortsetzung
an die eigentlichen „Reden und Aufsätze" nicht
heran, was die Bedeutung für die wissenschaftliche
Forschung anbetrifft. Aber A. v. Harnack hat ja nicht
nur Geschichte ergründet, sondern auch Geschichte gemacht
. Er hatte in drei wichtigsten Berufen — an der
Universität, der Staatsbibliothek, der Kaiser Wilhelm-
Gesellschaft — stehend, dazu als Mitglied der Berliner
Akademie oft genug Anlaß oder Gelegenheit,
sich von hervorragender Stelle aus über bedeutsame
Fragen zu verbreiten, gerade auch in seinen letzten
Lebenszeiten. Was er da gesagt hat, verdient es entschieden
, durch Zusammenfassung vor der Vergessenheit
bewahrt und als Dokument der jüngsten deutschen Geschichte
leicht zugänglich aufgehoben zu werden. Auch
verleugnet es nie seinen geistigen Vater.

Das Buch umfaßt über vierzig Stücke aus den
Jahren 1890—1930; das Allermeiste gehört freilich
in die Zeit 1923—1930. Nur ein Stück fällt ins vorige
Jahrhundert, die Antrittsrede in der Akademie (1890)
und drei gehören dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts
an. Der Umfang ist sehr verschieden, schwankt
zwischen einem kurzen Gedicht zu Hans Delbrücks 80.
Geburtstag und einem umfänglichen, bogenstarken Aufsatz
über „die Neuheit des Evangeliums nach Marcion
". Drei Stücke waren bisher noch nicht gedruckt,
darunter besonders anziehend für alle, die ihn gekannt
haben, die „Erinnerungen an Wolf Grafen von Bau-
dissin". Im Übrigen ist die Herkunft ebenso buntscheckig
, wie der Inhalt mannigfaltig. Neben den gewichtigen
Kundgebungen aus den Sitzungsberichten der
| Akademie stehen ein Oster- (1925) und ein Pfingst-
I artikel (1924) für die Wiener Neue Freie Presse und
zwei Weihnachtsartikel für das Berliner Tageblatt (1926.
j 1928).

Der Professor beteiligt sich an der Festsitzung des
Kirchenhistorischen Seminars zu Berlin (I 2), begrüßt
den Akademisch-Theologischen Verein zu Gießen (I 7),
spricht in der Aula der Berliner Universität Worte der
| Erinnerung an Karl Holl (VI 2), trägt in Münster vor
| (116) und hält im Auftrag der Albertus-Universität und
| der Stadt Königsberg die Rede zur Weihe des Grabmals
von I. Kant (III 4). Der Begründer der Theolo-
I gischen Literaturzeitung leitet deren 50. Jahrgang ein
I (I 3). Wir hören den Stifter und langjährigen Vor-
! sitzenden des Evangelisch-Sozialen Kongresses Rück-
I schau halten (II 8) und sehen den Mann, dessen Anregung
für die Entstehung der „Christlichen Welt" nicht
I unwesentlich war, seine Beziehungen zu der Zeitschrift
j (II 1. 6. 10. 12) und ihrem Herausgeber (V 2) pflegen,
j Der Generaldirektor der Staatsbibliothek wählt das
I „Zentralblatt für Bibliothekswesen" zum Organ (I 1.
| III 2). Der Präsident der Kaiser Wilhelm - Gesell-
l schaff ergreift bei verschiedenen Gelegenheiten das
Wort (I 5. IV 9; vgl. VI 1). Der Forscher bespricht
zeitgenössische wissenschaftliche Werke (II 9), und der
Mitarbeiter Fr. Althoffs vergegenwärtigt sich dessen
Verdienste (III 6). In der Mitte des 19. Jahrhunderts
j geboren ist v. Harnack noch mit bedeutenden Persönlichkeiten
aus dem 18. Jahrhundert zusammengetroffen
und stellt sie uns vor (I 6), wie er überhaupt gerne
in der Vergangenheit weilt, heimattreuer Balte, der er
j ist (II 2. III 1). Nimmt man endlich hinzu, wie auf-
! geschlossen er bis zuletzt allen neu auftauchenden Fra-
| gen gegenüber stand, wie selbständig er um Lösungen
' bemüht war (II 1. 4. 5. III 5. 7), so wird man zugeben,
daß der vorliegende Band uns einen starken Eindruck
von dem ungemeinen Reichtum des nunmehr abgeschlossenen
Lebens übermittelt und ein nicht unwürdiger
Schlußstein ist.

Fehler im Einzelnen sind nicht ganz vermieden
worden. Man würde schweigend darüber hingehen,
wären es nur solche Versehen wie Döllinger aus Leipzig
(S. 42). Stärkeren Anstoß nehme ich an der „Ent-
! wicklung der kirchenhistorischen Arbeit in den 37 Jahren
| des Bestehens des Kirchen historischen Seminars". Da
I heißt es (S. 7) von der „kirchengeschichtlichen Arbeit"
um das Jahr 1874: „Damals standen sich von der einen
Seite die Baur'sche Kritik, von der andern Leute wie
I Lipsius, Volkmann, Hilgenfeld feindlich gegenüber. Der
einzige, der wirklich wissenschaftlich arbeitete, war Th.
Zahn". Das kann so schwerlich auf Ad. v. Harnack
I zurückgehen. Nicht deshalb, weil damals doch Leute
wie H. Reuter, H. Weingarten und C. Weizsäcker schon
allerlei Nachweise ihrer Fähigkeit zur kirchengeschicht-
i liehen Forschung erbracht hatten; denn der weitere Zu-
j sammenhang schränkt Kirchengeschichte auf die alte,
I ja das ausschließende Lob des Th. Zahn von 1874 fast
auf die Bemühung um die Apostolischen Väter, die
vorher ausdrückliche Erwähnung fanden, ein. Aber
! hinter Volkm a n n steckt doch offenbar Gustav Volk-
mar, und welcher Kenner vermag Hilgenfeld in Gegensatz
zur Bäurischen Kritik als solcher zu stellen. End-
j lieh, ist es wirklich angemessen, den Verfasser der
j „Ketzergeschichte des Urchristentums" und den Bearbeiter
der „Apokryphen Apostelgeschichten", zweier
Werke, die noch heute dem Forscher unentbehrlich sind,
einfach als „unwissenschaftlich" auf die Seite zu schie-
j ben, oder anzudeuten, daß sie sich erst später gelegent-
j lieh zu wissenschaftlicher Tätigkeit durchgefunden haben
, während Th. Zahn immer auf der Höhe stand?
Es tut mir leid, daß dieses mindestens mißverständliche
j Bild durch Aufnahme in unsere Sammlung ein Dauer-
| dasein gewonnen hat. Doch ist das ein vereinzelter Man-