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Ausgabe:

1931 Nr. 4

Spalte:

92

Autor/Hrsg.:

Ebbinghaus, Julius

Titel/Untertitel:

Kants Lehre vom ewigen Frieden und die Kriegsschuldfrage 1931

Rezensent:

Schulze, Martin

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91

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 4.

92

IV. Das Wesen des Christentums.

A) Grundsätzliche Überlegungen.

B) Die Eigenart des christlichen Gottesverhältnisses.

C) Die Eigenart des christlichen Weltverhältnisses.

D) Die Eigenart der christlichen Erlösung.

E) Die Eigenart der christlichen Lebensführung.

V. Theologische Erkenntnistheorie.

A) Die Quellen des christlichen Erkennens.

B) Die Eigenart des christlichen Erkennens.

C) Die Aufgabe der christlichen Apologetik.

Die Gliederung zeigt, daß Geismar gewissermaßen
einen Gedankenkreis durchmißt. Der erste Abschnitt
läßt aus der Geschichte der Religionsphilosophie
in der Neuzeit (I A) die sachliche Frage um ihren
Sinn und ihr Recht (IB) herauswachsen. Religionsphilosophie
ist nur möglich als eine auf ernstes sachliches
Verstehen aufgebaute Rechenschaft eines Christen
von seiner ihm im Glauben geschenkten Grundgewißheit
aus über das Verhältnis des Christentums zu den andern
Religionen, zur menschlichen Idealität und zu der mit
dieser zusammenhangenden philosophischen Gotteserkenntnis
. Sie ist als solche nicht Wissenschaft, sondern
setzt eine Preisgabe des Anspruchs der Wissenschaft,
nur in dem von ihr Beherschbaren Wahrheit anzuerkennen
, voraus. Aber sie kann die durch die ganze
neuere Religionsphilosophie und Theologie hindurchgehende
Streitfrage nach dem Verhältnis des christlichen
Erkennens zum Menschlich-Idealen nicht im voraus
endgiltig beantworten. Das, was man gewöhnlich
am Anfange der Religionsphilosophie gibt, eine Theorie
der theologischen Erkenntnis, kann nur ihr Ziel und
Ende sein. Wodurch sie selber den Charakter eines
Versuches gewinnt, der allein ipso actu seine Berechtigung
erweist. Das zweite und dritte Kapitel schildern
dann (II) die in allen außerchristlichen Religionen enthaltene
Religion so, daß aus Historie und Psychologie
Sachverständnis entwickelt wird, und den Weg des
menschlichen Denkens zu Gott (III) so, daß die philosophische
Ethik und Metaphysik als Interpretation der
heimlichen religiös-idealen Voraussetzungen des höheren
menschlichen Lebens verstanden wird. Ein an Jesus
Christus und Paulus entwickeltes Verständnis des Christentums
wird dann in IV als zugleich vollendende Verlängerung
der menschlichen ethisch-religiösen Idealität
— wie als Bruch mit ihr als unter der Sünde gefangen
und Setzung eines ganz Andern durch das Gericht und
die Vergebung, die vom Kreuze ausgehen, dargelegt.
Damit ist dann die Voraussetzung für die Auflösung der
in I offen gebliebenen Frage gegeben. Das Christentum
bleibt unbeweisbar und läßt sich noch nicht in die
Form der synthetischen Gotteserkenntnis bringen. Grundaussage
der theologischen Erkenntnistheorie bleibt, daß
der Glaube ein Wagnis ist. Wer aber glaubt, der kann
im Glauben die immanente Religiosität alles Menschlichen
, die im Christentum Erfüllung findet, sowie die
Wirklichkeit des Bösen als die Grunddata verstehen,
ohne die ein Selbstverständnis des Menschen in seiner
Lebenswirklichkeit nicht möglich ist, und die
Erlösung in Christus als die Freiheit und Erfüllung, die
in das dem negativen Ausgang verfallene menschliche
Leben hineingeschenkt wird.

Die Ausführung ist durch zweierlei gekennzeichnet.
Einmal durch die Entschlossenheit, mit der Geismar
sich den Weg zwischen der barthianischen Verneinung
der menschlich-idealen Religiosität und der liberalen Einordnung
des Christentums in sie mitten hindurch bahnt.
Er hat Verantwortung nach zwei Seiten. Er teilt den
christlichen Begriff des Wunders als der schlechthin
diese Wirklichkeit sprengende durch Gericht und Vergebung
sich vollziehende Überwindung von Sünde und
Tod und glaubt doch, daß ohne Anknüpfung an das
Humane weder christlicher Glaube noch christliche
Lebensführung möglich sind. Es ist die tiefste und
ernsteste Abrechnung mit dem Barthianismus, die mir
bekannt ist, weil sie auf die eine entscheidende religiöse
Frage zurückgeht und diese doch mit unerbittlichem

Spürsinn in jeder Konkretion des Lebens und Gedankens
dem Auge bloßzulegen versteht. Sodann durch etwas,
was ich paradox die Genialität der unbedingten Einfachheit
nennen möchte. Wen der Überdruß gepackt
hat an den Künsteleien und Schulfragen eines großen
Teils der systematischen Theologie, findet hier zu seiner
Freude einen Denker, welcher den Mut und die Gabe hat,
überall die einfachen letzten Fragen aufzudecken, so aufzudecken
, daß man aus dem Irrgarten der leeren Probleme
in die Schlichtheit der wirklich brennenden Entscheidungen
geführt wird, und doch den Scharfsinn
spürt, der dazu gehört hat, das Verwickelte so auf den
großen Zusammenhang zurückzuführen, das Einzelne so
im Grundsätzlichen zu scheuen.

Von zwei deutschen Theologen spricht Geismar
mit Bewunderung, von K ä h 1 e r und von Tillich. Mit
Kähler glaubt er sich der ganzen Anlage seines Denkens
nach verwandt — ich bezweifle immerhin, daß Kähler
die Verantwortung dem allgemein menschlichen Wahr-
heitsbewußtsein gegenüber so tief und schwer getragen
hat wie Geismar: wie hätte Kähler sich sonst den Luxus
einer zum Allgemeinen völlig beziehungslosen Privatsprache
leisten können, die jeden, der ihn nicht gehört
hat, unrettbar abstößt (ein Fehler, den Geismar absolut
vermeidet). Zu Tillich steht er im scharfen Gegensatz
durch die Tiefe seiner Kreuzeslehre und die Ungebrochenheit
seines Wahrheitsbewußtseins, ist ihm aber
eben durch die Weite seines Verantwortungsbewußtseins,
das alle Lebensfragen und Denkfragen im den Kreis
der theologischen Erörterung zieht, wieder verwandt.
Göttingen._ E. Hirsch.

Ebbinghaus, Julius: Kants Lehre vom ewigen Frieden und
die Kriegsschuldfragen. Tübingen: J. C. B. Mohr 1929. (36 S.)
gr. 8°. = Philosophie und Gesch., 23. RM 1.80; in Subskr. 1.50.

Wie schon aus dem Titel der Schrift hervorgeht,
soll die Kriegsschuldfrage in ihr von der Kantischen
Moralphilosophie aus beleuchtet werden. Nach dieser
gibt es keine Kriegsschuld, so lange die Völker keinen
Bund zum Schutze ihres Rechts und zur Verhütung des
Krieges geschlossen haben. Den Naturzustand, der bis
dahin herrscht im Verhältnis der Staaten zu einander,
charakterisiert die Gesetzlosigkeit, die es jedem erlaubt,
sich sein Recht selbst zu verschaffen. Es gibt da auch
keine Instanz, die rechtskräftig urteilen und ein Unrecht
feststellen könnte. Vielmehr ist jedes Volk und jeder
Staat frei zu tun, was sein Interesse verlangt. Und die
einzig mögliche Entscheidung eines Konflikts ist der
Sieg der stärkeren Macht, die der unterlegenen ihren
Willen aufzwingt. Diese Lage der Dinge kann nur
durch den freien Zusammenschluß der Völker zur Sicherung
des Friedens geändert werden, der, immer weiter
fortschreitend, sich allmählich dem Ziele eines allumfassenden
Völkerbundes nähert. In dieser, wie gesagt,
völlig in die Freiheit jedes Staates gestellten Assoziation
gibt es keine Herrschergewalt — dieser Despotismus
eines einzelnen wäre schlimmer als der Kriegszustand
—; vielmehr wirkt das gemeinsame Interesse aller
der Gefahr eines Konfliktes entgegen und erhält das
freie Widerspiel der Kräfte im Gleichgewicht. Der auf
diese Weise herzustellende ewige Friede ist freilich bei
der fortdauernden Möglichkeit widerstreitender Ansprüche
eine unendliche, aber darum doch nicht aussichtlose
Aufgabe.

Die Schrift E.'s ist äußerst aktuell und lehrreich,
weil sie zeigt, wie von Kants Standpunkte aus die viel
erörterten praktischen Fragen mit bezug auf den Weltkrieg
und seine Folgen erledigt werden. Da der Völkerbund
erst nach ihm gegründet worden ist, fällt mit
der Kriegsschuld das Recht zur Verurteilung und Bestrafung
der Besiegten dahin. Andrerseits erübrigt sich
für diese jede Entschuldigung, aber auch jeder Protest
I gegen ungerechte Behandlung seitens der Sieger; letzte-
| rer kann sich vielmehr nur gegen die rechtlich-mora-
; lische Behandlung der Sache überhaupt richten.

Königsberg; i. Pr._ Martin Schulze.