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Ausgabe:

1931 Nr. 4

Spalte:

87-88

Autor/Hrsg.:

Saathoff, Albrecht

Titel/Untertitel:

Aus Göttingens Kirchengeschichte 1931

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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87

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 4.

88

hat; es ist in seiner literarischen Art anders, als die
eigentlichen Forschungskapitel, unterweist mehr Laien
als Mit forscher: gerade so ist auch es interessant
und willkommen.

Halle a. S. F.V Ka11en busch.

Saathoff, Pastor Albrecht: Aus Göttingens Kirchengeschichte.

Festschrift z. 400 jährigen Gedächtnisfeier der Reformation am 21. Okt.
1929. Göttingen: Verl. d. Gött. Gemeindeblattes 1929. (272 S.)
gr. 8°. geb. RM 5—.

Die zur Gedächtnisfeier der Reformation in Göttingen
geschriebene Festschrift enthält im Grunde eine
den Verhältnissen Rechnung tragende Kirchengeschichte
Göttingens vom Mittelalter bis zur Jetztzeit; der Titel
„Aus Göttingens Kirchengeschichte" ist deshalb bescheiden
gewählt. Mit Recht klagt der Herr Verfasser, daß
in der Stadt, deren Hochschule von Anfang an bis heute
den Ruf habe, daß sie der Pflege der Geschichtswissenschaft
besonders diene, für die Heimatgeschichte wenig
geleistet sei. Trotz des umfassenden Archives besitzen
wir noch keine urkundliche Geschichte der Stadt Göttingen
. Als Bearbeitungen aus der Kirchengeschichte
liegen außer Heinr. Phil. Gudens „Religions- und Kirchengeschichte
der Stadt Göttingen" (Göttingen 1736)
Georg Erdmanns kurze Geschichte der Kirchenreformation
in der Stadt Göttingen von 1888 und aus neuer
und neuester Zeit einige Arbeiten der Professoren
Tschackert, Joh. Meyer und Kurt Dietr. Schmidt in der !
Zeitschrift für niedersächsische Kirchengeschichte vor.
Außer Guden hat der noch näher zu erwähnende Göt-
tinget Chronist Franz Lübeck Quellen gesammelt, so
daß der Benutzung der vielen Archivalien schon vorgearbeitet
ist. Dennoch ist noch ein gutes Stück Arbeit
zu leisten, ehe eine auf der Höhe der Zeit stehende
Kirchengeschichte Göttingens geschrieben werden kann.
Geht der Wunsch des Herrn Verfassers in Erfüllung
und beschert uns die zweite Säkularfeier der Universität
eine wissenschaftliche politische Geschichte der Stadt,
so würde das auch der zu erhoffenden Kirchengeschichte
Göttingens zu gute kommen.

Einstweilen dürfen wir uns freuen, daß wir Saat- j
hoffs Buch besitzen. Hätten wir es als Göttinger Studenten
nur gehabt! Seine Darstellung mußte zwischen
wissenschaftlicher und volkstümlicher Darstellung die
Mitte halten; dazu gehört auch die Zerlegung des
Stoffes in einzelne Bilder und Schilderungen. Dem
nächsten Zweck des Buches nach, die Reformation zu I
feiern, widmet es dieser den weitaus größesten Teil. Es
beschreibt aber auch Göttingens mittelalterliche Kir- |
chen, Klöster und Stifte und schildert das kirchliche j
Leben vor der Reformation. Trotz der durch die Beschränkung
gebotenen im ganzen summarischen Übersicht
über die vorreformatorische Zeit ruht doch alles
Gebotene auf sicherem quellenmäßigen Unterbau, und
für eingehendere Untersuchungen werden manche wichtige
Fingerzeige gegeben. So deutet Saathoff eine Geschichte
der Albanskirchen auf deutschem Boden an
und gibt für die Zeit der Entstehung Göttingens einleuchtende
Anhaltspunkte.

Die Darstellungen aus der neueren Zeit führen in
die Zeit des 30jährigen Krieges, in die Zeit der Universitätsgründung
, in die Zeit der Fremdherrschaft und in
die neueste Zeit. Sie gruppieren sich um die einzelnen
Geistlichen, behandeln aber auch die Schicksale der
einzelnen Kirchen und werden zuletzt Gemeindegeschichte
.

Über die sämtlichen Geistlichen der Reformation wird auf S. 254 f. i
eine Übersicht gegeben. Schade, daß Bilder der Geistlichen nicht in
noch reicherer Zahl haben hinzugefügt werden können. Der Bilderschmuck
des Buches verdient aber höchste Anerkennung. Mit bewundernswertem
Eifer, aber auch mit großem Finderglück hat der Herr Verfasser
vielfach von den entlegensten Stellen die Bilder zusammengetragen. So
stammen die beiden höchst instruktiven, ohne weiteres den Geist der
Zeit dokumentierenden Bilder des Inneren der Marienkirche und der
Johanniskirche von Konfirmationsscheinen um 1850. Interessant ist es,

mit jenen das Innere der Paulinerkirche beim Besuch des Königs Georg II.
etwa hundert Jahre früher zu vergleichen. Groß ist die Anzahl der aus
den letzten Jahrhunderten aufbehaltenen, in Göttingen geschehenen Predigten
und geistlichen Reden; es ließe sich allein aus ihnen eine Geschichte
des Predigtwesens in diesen Zeiten schreiben.

Aber der Ton liegt auf der Darstellung der Geschichte
der Reformation in Göttingen. Kurz, aber eindringlich
wird der Kampf um ihre Einführung beschrieben
, wofür ausgezeichnete Quellen zur Verfügung
stehn, und dabei vor allem die bedeutsame Urkunde der
Reformation v. 5. Nov. 1529 mitgeteilt, auch eine Reproduktion
des wohlerhaltenen Originals dargeboten.
Dann wird der Ordnung des neuen Kirchenwesens ein
wichtiges Kapitel gewidmet: in strenger Wissenschaftlichkeit
untersucht es vor allem die Entstehung der
Göttinger Kirchenordnung von 1531, vergleicht sie mit
ihrer Vorlage, der Braunschweiger Kirchenordnung, und
würdigt ihre Vorarbeiten, die dann dankenswerter Weise
nebst der Kirchenordnung abgedruckt werden; das Original
letzterer ist nur noch in einem Exemplar vorhanden
; die Vorarbeiten sind bisher nur in der Zeitschrift
für Kirchengeschichte (von Tschackert vor 30 »
Jahren herausgegeben) zu finden gewesen; Interessenten
werden dankbar sein, alles nun hier im Neudruck zu erhalten
. Es folgen die ersten evangelischen Prediger in
Göttingen und Luthers Mitwirkung bei ihrer Bestellung;
dann die Sicherung der Reformation und der Vergleich
der Stadt mit Herzog Erich, der vor allem als Werk
Elisabeths von Kalenberg sich darstellt. Ihrem Verhältnis
zu Göttingen, das immer mehr zu einem freundschaftlichen
sich gestaltete und selbst dann sich bewährte
, als der Rat die Visitationsansprüche Elisabeths
höflich, aber entschieden ablehnte, gehört deshalb auch
ein besonderes Kapitel. Ein weiteres Joachim Mörlins
kaum sechsjähriger Wirksamkeit in Göttingen und seiner
„Beurlaubung" infolge des Interims; auch dabei hat
Elisabeth sich der Stadt und ihrer evangelischen Interessen
treulich angenommen; aber ihr Sohn Erich IL
setzte seinen Willen durch. Das die Reformationszeit
abschließende Kapitel „Unruhige Zeiten" (1550—1597)
behandelt vor allem die aus Mörlins Amtsentsetzung
unter den Göttinger Predigern und zwischen ihnen und
dem Rat sich entwickelnden Streitigkeiten und den
sogen, kürzlich von Kurt Dietr. Schmidt in der Zeitschrift
für niedersächsische Kirchengeschichte gründlich
untersuchten Bekehrungsstreit und die aus ihm erwachsene
Erneuerung der Kirchenordnung und ihre Erweiterung
zu einem Bekenntnisbuch; ferner die Regelung
der kirchlichen Verhältnisse durch den Gandersr
heimer Landtagsabschied von 1601. Den Abschluß bildet
die Schilderung der Pestzeit von 1597, in der von
den etwa 8000 Einwohnern der Stadt ein Drittel dahingerafft
wurde.

Gerade auch die Darstellung der Reformationsgeschichte zeigt die
Wichtigkeit der Arbeiten des Göttinger Chronisten Franz Lübeck, eines
geborenere Göttingers und späteren Göttinger Predigers, für die Kirchengeschichte
Göttingens: schon seine zweibändige Chronik, mehr ein gelegentlich
zusammengetragenes Sammelwerk, vor allem aber seine einbändige
Chronik, die „Annalen", wie Saathoff sie nennt, die speziell
die Geschichte Göttingens behandelt und die zahlreiche wichtige Nachrichten
allein uns aufbehalten hat; ihr vor allen verdanken wir z. B. den
genauen Bericht über die Einführung der Reformation. Saathoff tritt
dafür ein, Lübecks „Annalen" neu zu drucken und sie aus der zweibändigen
Chronik, wo es angebracht ist, zu ergänzen. Ein schöner Gedanke
, dem man Verwirklichung wünschte.

Einen Anfang und eine Anregung nennt Saathoff
sein Buch, dessen außerordentlich billigen Preis bei
schönster Ausstattung wir zum Schluß nicht unterlassen
können, hervorzuheben. Möge denn dem Anfang ein
guter Fortgang folgen und die Anregung zur weiteren
Erforschung von Göttingens Geschichte und Kirchengeschichte
schöne Früchte zeitigen! Ein solcher Lohn
wäre dem Herrn Verfasser für seine fleißige, sorgfältige
und selbstlose Arbeit zu gönnen.
Stederdorf b. Ülzen. Ferdinand Cohrs.