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Ausgabe:

1931 Nr. 4

Spalte:

79-81

Autor/Hrsg.:

Hansmann, Karl

Titel/Untertitel:

Ein neuentdeckter Kommentar zum Johannesevangelium 1931

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 4.

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wo sein Wandel in krassem Gegensatz zu diesen die
Christusgemeinschaft begründenden Tatsachen steht, ist
Paulus geneigt eine Einschränkung vorzunehmen.

Den größten Teil der Darstellung (von p. 131 ab.)
füllt die zweite Hälfte des zweiten Teils, in der die Einzelforderungen
behandelt werden; in vier Kapiteln werden
die Forderungen der Reinheit (separate yourselves from
all that would defile), Standhaftigkeit (cf. I. Kor. 16,
13) Liebe (Gal. 5,13) Freude (Phil. 4,4) behandelt.
Über den Wert dieser Einteilung wird man streiten
können; besser wäre es m. E. gewesen, die Auswirkung
der ethischen Grundhaltung des Paulus an seiner Stellung
zu den einzelnen Lebensgebieten (Ehe, Staat usw.)
zu verfolgen; besonders bei Kap. 10 (über die Liebe)
verlieren sich die Ausführungen etwas in lexikologischen
Einzelerörterungen; und gehört Kap. XI (über die
Freude) in die Ethik des Apostels hinein? Doch soll
anerkannt werden, daß der Verfasser in dem gewählten
Rahmen die wichtigsten Probleme der paulinischen Ethik
sorgfältig und mit Sachkenntnis erörtert; besonders sei
auf Kap. 8 hingewiesen, wo u. a. die paulinische
„Sexualethik" auf breiter sittengeschichtlicher Basis erörtert
wird.

Bemerkt sei noch, daß sich die Darstellung auf die
paulinischen Briefe mit Ausnahme der Past. stützt, die
Zweifel an der Echtheit von Eph., Kol. IL, Thess. sind
für den Verfasser nicht durchschlagend gewesen. Im
Ganzen wird man auch, ob man nun an der Echtheit des
einen oder andern Briefes zweifelt oder nicht, kaum
zu einem andern Gesamtbild des paulinischen Ethos
gelangen. Jedenfalls wird man die Arbeit als Ganzes
als eine wesentliche Bereicherung der wissenschaftlichen
Forschung bezeichnen dürfen, weil sie besonnenes exegetisches
Urteil mit umfassender Kenntnis verbindet.
Duisburg-Hamborn. _Wilhelm Mundle.

Hansmann, Dr. Karl: Ein neuentdeckter Kommentar zum
Johannesevangelium. Untersuchungen und Text. Paderborn :
Ferdinand Schöningh 1930. (322 S.) gr. 8°. == Forschungen zur
Christlichen Literatur- u. Dogmengeschichte, hrsg. v. A. Ehrhard u.
J. P. Kirsch, 16. Bd. 4/5. H. RM 16—.

Unter den Handschriften, die Lord Robert Curzon
1837 aus dem Karakalla-Kloster auf dem Athos nach
England brachte, befand sich auch ein Kodex, der bei
seiner, 1917 erfolgten, Aufnahme in die Bibliothek des
Britischen Museums die Signatur Add. Ms. 39605
empfing, in der in unserem Buche vorliegenden Editio
princeps aber Kodex L heißt. Er gehört dem Anfang
des 10. Jahrhunderts an und umfaßt heute 151 Blätter
zu durchschnittlich 28 Zeilen in fast durchweg einwandfreiem
Zustand. Doch sind früher Blattverluste eingetreten
, in einem Fall ging sogar eine ganze Lage verloren.
Über alles dies und was sonst noch über die äußeren
Verhältnisse der Handschrift zu sagen wäre, gibt der
erste Abschnitt Auskunft, der, wie überhaupt die ganze
Untersuchung, an eine Arbeit von H. J. Bell im Journal
of Theol. Stud. XXVI 1925, S. 364 ff. anknüpfen konnte.

Der alte Autor hat seinen Stoff in einzelne Xiyoi
eingeteilt, deren jedem eine kurze Inhaltsangabe vorangestellt
ist. Im Ganzen sind es zehn. Aber nur sieben
betreffen das Johannesevangelium, der achte fehlt, der
neunte und zehnte knüpfen an Sprüche des Matthäusevangeliums
an, jener an 11, 27, dieser an 19, 12. Die
sieben sermones, die auf das vierte Evangelium entfallen
, stellen alles andere als einen fortlaufenden Kommentar
zu diesem dar. Der erste beginnt mit Joh. 1, 1,
der zweite setzt bei 1, 11 ein, der dritte hat es nur mit
1, 14 zu tun. Im vierten wird 3, 28 vorgenommen,
doch mit Seitenblicken auf andere Verse des Johannesevangeliums
. Der 5. Logos greift ins 8. Kapitel, während
im 6. und 7. Logos Stellen aus Joh. 14 und 15
erläutert werden.

Über den Verfasser äußert sich die Handschrift
nicht. Sie scheint es früher einmal getan zu haben, nämlich
im Lemma des ersten Logos. Dort muß ein Name
enthalten gewesen sein, auf den die folgenden Überschriften
mit rov avxov zurückweisen. Leider ist die
oberste Zeile aufs gründlichste fortradiert. Im 15. oder
16. Jahrhundert glaubte ein Leser Ersatz schaffen zu
können und ergänzte: r^r^ooLov Nvoarjg i] Xeyoiiivrj
&£oyv(i>ola.

Glücklich ist dieser Einfall nicht; werden doch
(7 § 155) unter den zu bekämpfenden Ketzern auch Ikono-
machen aufgezählt, was die Mitte des 8. Jahrh. als termi-
nus a quo ergibt. Da die Handschrift selbst, wie gesagt,

I zu Beginn des 10. Jahrhunderts entstanden ist, muß der

[ Kampf, müssen die Verfolgungen, von denen sie Zeugnis
ablegt in die Zeit von 750—900 fallen. Damals rollte
der Bilderstreit in seinen beiden Akten ab. Bell
brachte diesen Umstand mit den Randscholien zu 3 § 43
(. . . to ßtßXLov . . ., ojteq iv Xeqoüivi awira^ev) zu-

j sammen und riet auf Bischof Georgios von Mytilene,

I der im zweiten Bilderstreit nach Cherson verbannt wurde,
als Verfasser (s. S. 15 f.).

Hansmann macht auf die Unsicherheit dieser Vermutung
aufmerksam, schildert — S. 38 zusammenfassend
— die Sachlage, aus der unsere Schrift stammt,
und kommt zu dem Schluß, daß der Bilderstreit mit

I seinen theologischen Ausdrücken zwar noch nachwirkt,

I daß wir uns in Wahrheit aber im Zusammenhang des
„Möchianischen Streites", der infolge der zweiten Heirat

i des Kaisers Konstantin VI. ausbrach, befinden (S.56ff.).
Unter Heranziehung von Briefen und sonstigen Kundgebungen
des Theodor von Studion (f 826), des Vor-

i kämpfers in jener Auseinandersetzung, unternimmt es
H. mit Glück, die Entstehungsgeschichte unserer Johannesschrift
noch werter aufzuhellen. Ihr Verfasser
— meint er — gehörte zum Kreise des Studiten (S. 84).

„Der Charakter des Werkes" — dies ist H.s Eindruck
(S. 85) — „ist zunächst der eines fortlaufenden
Kommentars zum Johannesevangelium, dem aber von
vornherein auch die Aufgabe zugewiesen wird, der
Widerlegung der Häresien zu dienen". Das mag
gelten, wenn man das „zunächst" stark unterstreicht.
Im Übrigen legt die oben gegebene Inhaltsübersicht den
Titel „Kommentar zum Johannesevangelium" nicht gerade
nahe, wobei ich freilich zugeben muß, daß ich
keinen besseren Vorschlag zu machen habe. Der Inhalt
ist ein eigentümliches Gemisch. Dem von H. als Hauptsache
festgestellten Zweck des Eingreifens in den
Möchianischen Streit dienen im Grunde nur der 5. und
der 7. Logos. Was die Ketzerbekämpfung anbetrifft,
so werden neben den Bilderstürmern und teilweise in

■ größerer Ausführlichkeit Valentinianer, Manichäer, Ari-

I aner, Sabellianer, Apollinaristen u. a. bestritten. Der

I Gedanke, daß ein Kirchenmann des 9. Jahrhunderts
diese Häresien in etwaigen Nachzüglern als Gegenwartsgefahr
sollte befehdet haben, kommt H. selbst abwegig
vor. Aber er meint (S. 87), daß unserem Verf.
der Falschglaube in seinen klassischen Ausprägungen
ebenso zeitlos wie die Kirchenlehre vorgekommen und

| daher unaufhörlicher Ablehnung bedürftig erschienen
wäre. Ich bezweifele, daß das richtig gesehen ist.
Und ich meine, daß diese beiden Möglichkeiten auch
nicht alles Denkbare erschöpfen. Nach meinem Dafür-

j halten zeigt diese Art der Ketzerpolemik, daß unser
Autor weitgehend innerhalb gelehrter Tradition steht,
was natürlich auch von seiner Theologie und Schriftauslegung
gilt. Wäre es anders, so würde dieser Byzantiner
ein ganz einzigartiger Vogel sein. Gewiß ist es

I richtig, daß er mit der Tradition so frei schaltet, daß man
ihm wohl nicht abschnitt- und satzweise nachrechnen

- kann, woher seine Weisheit stammt. Eigene Gedanken
sollen ihm gleichfalls keineswegs abgesprochen werden.
So mag es von ihm selbst herrühren, wenn er 10 § 11.12
ausführt, den Namen „Eunuch" im Sinne Jesu verdienten
nicht nur Ehelose, sondern auch die, welche die
freie Gewalt über die evvrj =das Ehebett behaupteten,
wie der „Prophet" Zacharias, der Vater des Täufers.
Aber daneben gilt doch auch, daß er sich auf die

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