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Ausgabe:

1931 Nr. 4

Spalte:

75

Autor/Hrsg.:

Keil, Josef

Titel/Untertitel:

Ephesos 1931

Rezensent:

Bauer, Walter

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75

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 4.

76

Keil, Josef: Ephesos. Ein Führer durch die Ruinenstätte und ihre
Geschichte. 2. Aufl. Wien: Dr. Benno Filser 1930. (IV, 110 S.,
6b Abb., 2 Ktn.) 8°. = Österreichisches Archäologisches Institut. RM4.50.

Das Österreichische Archäologische Institut, das sich
vor anderen um das antike Ephesus verdient gemacht
hat, läßt neben seinen monumentalen „Forschungen in
Ephesos" (bisher drei Bände 1906. 1912, 1923) und
den vorläufigen, in den Jahresheften des Institutes erscheinenden
, Berichten von R. Heberdey und J. Keil, die
über den Weitergang der Ausgrabungsarbeit unterrichten
, auch einen Führer durch die Ruinenstätte von
Ephesus ausgehen, mit dessen Abfassung J. Keil betraut
wurde. 1915 erschien er zum erstenmal. Aber seither ist
so viel Neues an den Tag gekommen, daß man die
Nötigung zu einer zweiten Auflage nur freudig begrüßen
kann.

Die Schrift ist wohl zunächst für solche bestimmt,
die in der glücklichen Lage sind, Ephesus selbst zu
besuchen. An sie wenden sich speziell die beigegebenen
„Ratschläge für den Besucher von Ephesos". Aber
auch dem minder Bevorzugten, der die Dinge vom häuslichen
Schreibtisch aus betreiben muß, vermittelt das geschickt
geschriebene Büchlein einen recht befriedigenden
Eindruck von dem, was die Zeit von der einst so bedeutenden
Großstadt übrig ließ, nicht zum wenigsten
durch die beigegebenen zahlreichen Bilder, Karten
, Skizzen, Pläne, Panoramen, Wiederherstellungsversuche
usw.

Einleitend empfangen wir eine knappe Geschichte
der Stadt in ihren vier Hauptperioden (die altjonische
Stadt ca. 1000—560 v.; die griechische ca. 560—290 v„
d. h. bis Lysimachus; die hellenistisch-römisch-byzantinische
ca. 290v.—ca. 1000n.; die byzantinisch-seld-
schuckische ca. 1000—1426n.), Geschichte, natürlich
durchsetzt von Legende. Dann werden in Gestalt eines
Rundgangs vom Bahnhof aus die erhaltenen Ruinen beschrieben
. Den Theologen wird vor allem das Artemision
interessieren (S. 34 ff.), ebenso ein anderes Heiligtum
, das mit großer Wahrscheinlichkeit als Serapeum
anzusprechen ist (S. 78 ff.), auch die spärlichen Reste
eines Tempels aus hellenistischer Zeit (S. 49) und die
gewaltigen Überbleibsel des Theaters (S. 65 ff.). Ferner
die Spuren, die in die Zeit des Augustus (74), Nero (47.
68. 71) und Vespasian (99), auch noch anderer Kaiser
des ersten Jahrhunderts (S. 58. 66) zurückreichen, dann
die Johanneskirche und die Gräber, vor allem im Siebenschläferbezirk
. Dazu kommen gewisse Inschriften: die
Namen hoher Kultbeamter auf den Statuenbasen (S.
75) oder die Listen des Priesterkollegiums der Kureten
(88) oder jenes Dokument aus dem letzten Kampf zwischen
Christentum und Heidentum, wohl dem 5. Jahrhundert
angehörig: „Des Dämons Artemis trügerisch
Bild hat Demeas herabgenommen und an seine Stelle
dies die Götterbilder vertreibende Zeichen (d. i. das
Kreuz) gesetzt, zum Preise Gottes und des Kreuzes, des
siegreichen unvergänglichen Symbols Christi" (S. 85).
Göttingen. W. Bauer.

Wein reich, Otto: Gebet und Wunder. Zwei Abhdlgn. z. Reli-
gions- u. Literatur-Geschichte. Stuttgart: W. Kohlhammer 1929.
(298 S.) gr. 8°. = Einzelausg. a. Genethliakon W. Schmidt, H. 5.

RM 22—.

Die erste, bei weitem kürzere der von dem Tübinger
Altphilologen vorgelegten Arbeiten liefert einen interessanten
Beitrag zur Erscheinung des primitiven
Gebetsegoismus.

Der Stoßseufzer einer Magd bei Terenz (Andria 232 f.), die ein
ihrer Herrin drohendes Unheil lieber auf andere abgewälzt sehen möchte,
gibt den Anlaß zu einer eindringenden Untersuchung des vorliegenden
Gebetstypus und zu seiner Zusammenstellung mit verwandten Phänomenen.
Charakteristische Formen der fiuiorcoujti'1 und ejiuioujtT'i, die in Religion
und Magie aller Völker und Zeiten eine Rolle gespielt haben, werden
der Betrachtung unterzogen. Eine erstaunliche Sachkenntnis, nicht nur
auf seinem engeren Forschungsgebiet, erlaubt es dem Verfasser, sein
Motiv in die verschiedensten Abwandlungen hinein zu verfolgen und es
zugleich an einer Reihe von Stellen nachzuweisen, an denen die bisherige
Interpretation es übersehen hatte. Kultischer Ernst und dichterischer

Scherz, nationale Leidenschaft und engstes persönliches Empfinden
kommen je zu ihrem besonderen Recht. Die durch ein breiteres Material
begründete Unterscheidung zwischen einem feineren griechischen und
einem gröberen römischen Typus der besprochenen Erscheinung erlaubt
zugleich einen literarkritischen Schluß. Die zum Ausgang genommenen
Verse des Terenz gehören, wie auch der Aufbau des Stückes es nahelegt,
diesem selbst, nicht seinem Vorbild Menander.

Ein ähnliches Miteinander von rel.-gesch. u. 1 it.—
gesch. Interesse wie die erste Studie zeigt auch die
zweite — wesentlich breiter angelegte — über die Türöffnung
im Wunder-, Prodigien- und Zauberglauben
der Antike, des Judentums und
Christentums.

Philologische Spezialfragen beanspruchen hier einen noch größeren
Raum — die vielen fachwissenschaftlichen Einzelanregungen bedeuten
einen Hauptvorzug des Buches —, doch bleibt der Eindruck eines geschlossenen
Ganzen. Methodisch macht sich wieder die entschlossene
Konzentration auf die Beobachtung u. Vergleichung des beigebrachten
Materials geltend, von dessen bunter Fülle sich mit wenigen Worten
kaum eine Vorstellung geben läßt. Mit Erfolg sind wiederholt die antiken
Kommentatoren herangezogen, deren Wert der Verf. höher einschätzt,
| als es noch vielfach geschieht. Nur wo der phänomenologische Befund
es zwingend an die Hand zu geben scheint, werden historische Schlüsse
gezogen, denen durch die grundsätzliche Zurückhaltung natürlich eine
erhöhte Bedeutung gesichert ist. „Theologische Beurteilung" seiner Texte
| liegt dem Verfasser, wie er ausdrücklich sagt, fern (S. 38). Ob sich
! seine Arbeit nicht trotzdem durch eine Grundanschauung beeinfußt zeigt,
l die im weiteren Sinne als theologisch angesprochen werden muß, wird
noch zu fragen sein.

Ich gebe zunächst einen Überblick über den Gang der Hauptuntersuchung
. Sie hält sich im wesentlichen im Umkreis der griechischrömischen
Antike, dem eigentlichen Arbeitsgebiet des Verfassers. Das
Hereinragen des Jüdischen u. Christlichen in diesen Rahmen nötigt nur
I an wenigen, allerdings besonders wichtigen Punkten über ihn hinauszugehen
. Eine willkommene Verbreiterung des Blickfeldes bietet die
der Studie beigegebene, gleichfalls erläuterte Materialauslese aus spezifisch
i orientalischem, isr.-jüd. und christl.-kirchlichem Bereich. — Der glücklich
gewählte Ausgangspunkt des Ganzen ist ein mythisch-poetisches
xepaxokoYOÜu.Evov bei Homer (S. 41 ff.). In der Diomedie (v. 748/52,
| ähnlich noch einmal i. 8. Buch d. Ilias) wird geschildert, wie sich vor Hera
I und Athena, die den bedrohten Griechen zu Hilfe eilen wollen, unter
I lautem Dröhnen die Tore des Himmels öffnen — aüxöiraxoi —, ein
j Wunder, das — in künstlerischer Absicht gestaltet — „das Unwider-
I stehliche der Götterhandlung" wirksam „i. Erscheinung treten" läßt,
j Die Wiederkehr des homerischen Wortlautes an den verschiedensten
Stellen der späteren griechischen u. röm. Literatur erleichtert es dem
Verfasser, das vorgefundene Motiv in den mannigfachsten Variationen auf-
| zuzeigen. Was im Epos bloße poetische Idee zu sein scheint, begegnet
uns im Volkslied als fest gewurzelte aretalogische Vorstellung: vor den
guten Geistern, die zu Neujahr umgehen, müssen alle Haustüren aufspringen
(S. 59 f.). Kallimachos hebt in einem seiner späten Hymnen
das Motiv in die kultische Sphäre empor: in wiederholtem Imperativ
I wird es zum Ausdruck der leidenschaftlichen Erwartung eines Götteradvents
beim Tempel des Delischen Apoll (S. 63 ff.). Der Einfluß des
j Alexandriners zeigt sich bei Virgil u. Ovid (S. 83 ff.), von denen besonders
der erste wieder unter den Dichtern der späteren Kaiserzeit Schule
| macht. Begegnet uns aber hier überall das merkwürdige Wunder im
ZusammenhangmitderEpiphanieeinerGottheit oder dem
Erschallen einer göttl. Stimme, so stehen neben diesem rel.
Vorstellungskreis andere, in denen sich die geheimnisvolle Türöffnung
gleichfalls findet, wie der Prodigienglaube, der besonders in der
römischen Religion einen hervorragenden Platz einnimmt (S. 91 ff.), die
Zauber- u. Mysterienpraxis (S. 176 ff., 197 ff.), dieAnrufung
des Gottesurteils (S. 232ff.) und vor allem das Befreiungswunder
(S. 114ff.). Auch Mischformen zeigen sich, die der
| Interpretation besondere Aufgaben stellen, selbst die parodistische
Verwendung des Motivs fehlt nicht. Seinen schwerlich vereinzelten
kultischen Mißbrauch beweisen Herons Angaben über die
von ihm erfundenen automatischen Tempeltüren (S. 241 ff.).

Es kann nicht die Aufgabe des Rezensenten sein auf alle diese
Dinge näher einzugehen. Zwei Abschnitte des Buches jedoch verdienen
i. Rahmen dieser Zeitschrift eine besondere Hervorhebung. Der eine
(S. 105 ff.) behandelt die bekannten Prodigien vor der Zerstörung
des Tempels in Jerusalem, von denen auf der einen Seite Joscphus
I (bell. lud. VI, 5,3) u. Tacitus (hist. V, 13) erzählen, auf der anderen die
I rabbinische Überlieferung (Weinreich gibt die entscheidenden Stellen
aus dem babyl. u. jerus. Talmud, Joma 39 b bezw. 43 c in einer Übersetzung
von G. Kittel). Der Bericht über die unerwartet geöffneten Tore
des Heiligtums gehört beiden Traditionszweigen an. Doch macht die
Form der Erzählung es unzweifelhaft, daß Josephus u. der Römer einer
gemeinsamen nichtjüdischen Quelle folgen, über die - z. T. auf Grund
anderer Indizien — erst unlängst Wilh. Weber u. Schlatter nähere Vermutungen
geäußert haben. Weinreichs Untersuchung bestätigt durch