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Ausgabe:

1931 Nr. 3

Spalte:

51

Autor/Hrsg.:

Bultmann, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Erforschung der synoptischen Evangelien 1931

Rezensent:

Strathmann, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 3.

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Im Blick auf die Besprechung der dänischen Ausgabe
(Th.L. Zt. 54, 1929 Sp. 104 f.) möchte ich das anregende
Buch empfehlen.

Kiel. Roland Schütz.

Bultmann, Prof. Dr. theol. Rudolf: Die Erforschung der synoptischen
Evangelien. 2., verb. u. erw. Aufl. Gießen: A. Töpel-
mann 1930. (40 S.) 8°. b= Aus d. Welt d. Religion. Neutestamentl.
Reihe, H. 1. RM 1.30.

Wer sich über die gegenwärtige Lage der synoptischen
Forschung, über die Probleme, die sie bewegen,
über die Methoden, die in ihr angewandt werden, besonders
die sogen. Formgeschichte, auch über die Gesamtbeurteilung
, welche die Evangelien hinsichtlich ihrer
historischen Zuverlässigkeit oder besser ihrer Unzulänglichkeit
für Gewinnung eines klaren Jesusbildes in
dieser Forschung erfahren, unterrichten will, wird sich
keinem charakteristischeren Führer anvertrauen können,
als dem markantesten Vertreter dieser Forschung in
der Gegenwart. Die zweite Auflage bringt nicht nur
Literaturnachträge und sonstige kleine Zusätze und
Änderungen, sondern vor allem einen neuen Abschnitt,
der die Evangelien als ganze unter dem Gesichtspunkt
ihrer kultisch-erbaulichen Bestimmung würdigt.

Erlangen. H. Strathmann.

Loofs, Prof. Friedrich: Theophilus von Antiochien ad versus
Marcionem u. d. anderen theologischen Quellen bei Irenaeus. Leipzig
: J. C. Hinrichs 1930. (XI, 462 S.) 8°. = Texte u. Untersuchungen
z. Gesch. der altchristl. Literatur, 46, 2. RM 36—.

Von der Beobachtung aus, daß in der Jlrtldei£ig rov
ajtoovoXixoi xrj^vyi.iaTog die großen Gedanken, die als
die wertvollsten von adversus haereses angesehen und
zitiert werden, fast gar nicht zur Geltung kommen (S.
11), hat sich Loofs ergeben, daß in adversus haereses viel
übernommenes Gut vorliegen müsse, und er weist nach,
daß eine der Schriften, die darin am meisten benützt ist
und adversus haereses geradezu das Gepräge gegeben
hat, die verlorene, nicht vor 160 geschriebene, in der
Zeit des Eusebius und Hieronymus noch vorhandene
Schrift des Bischofs von Antiochien Theophilus gegen
Marcion gewesen ist. Wort für Wort läßt sie sich zwar
nicht aus dem Texte des Irenaeus herausschälen (S.
397—428); aber das dem Theophilus Gehörige genügt,
um erkennen zu lassen, daß Theophilus als Schriftsteller
und als Theologe dem Irenaeus entschieden überlegen
gewesen ist, er also vielmehr als der Anfänger der
christlichen Theologie anzusehen ist als Irenaeus. So
braucht die Schrift des Theophilus nicht mehr als verloren
zu gelten und seine theologische Eigenart kann
schärfer umrissen werden. Er erweist sich (S. 445) als
der älteste Zeuge und wahrscheinlich der Urheber der
eigenartigen monotheistischen Trinitätslehre, die bei
seinen Nachfolgern auf dem antiochenischen Bischofsstuhle
, Paul von Samosata und Eustathius, uns entgegentritt
, und . . . vielleicht auch der Urheber der
Christologie, die jene beiden uns abgewandelt, die späteren
„Antiochener" Diodor, Theodor, Nestorius, Theo-
doret u. a. vertreten haben.

Neben dieser antiochenischen Quelle kommen kleinasiatische
in betracht: 1. die in den Sacra Parallela erhaltenen
Fragmente einer Justin zugeschriebenen Schrift
de resurrectione, die aber, wie Loofs nachweist, Justin
nicht angehören kann, aber von Justin benutzt worden
ist; 2. Stücke eines antimarcionitischen Schulvortrags
eines kleinasiatischen Presbyters, die Irenaeus im Gedächtnis
behalten hat; 3. das Werk des Papias, aus dem
auch, wie Loofs nachweist, die Überlieferungen der
Senioren stammen, die noch mit dem Apostel Johannes
verkehrt haben.

In diesen kleinasiatischen Quellen liegen vornehmlich
auch die Wurzeln der neualexandrinischen Theologie
, die Irenaeus mit aufgenommen hat.

Dritte theologische Hauptquelle des Irenaeus ist
bekanntlich Justin, ohne daß es doch im Einzelnen

immer möglich wäre, die eigene Theologie des Irenaeus
und den Einfluß, den Justin auf sie ausgeübt hat, auseinanderzuhalten
. Voraussetzungen dazu sind freilich
von Loofs geschaffen worden, und wer künftig die
Theologie des Irenaeus darstellen wird, muß seine Ausführungen
auf das Ernsteste berücksichtigen.

So wertvoll aber der Nachweis der Quellen und so
fördernd für die Kenntnis des Irenaeus und seine Beur-
! teilung er sein mag, so scheint mir doch die eigentliche
i Bedeutung der Arbeit von Loofs auf dogmengeschicht-
j lichem Gebiet zu liegen, in dem mit der Untersuchung
der Quellen verbundenen Nachweis, daß die Geistchristo-
j logie (2. Kor. 5, 19) die älteste christologische Überlieferung
in den nichtgnostischen christlichen Kreisen
gewesen ist, bis sie durch die Logoschristologie verdrängt
wurde (S. 444). Was diese Erkenntnis für die
älteste Dogmengeschichte, auch für die christologischen
| Vorstellungen des Neuen Testaments, bedeutet, braucht
I nicht erst ausgeführt zu werden. Es ist der Grund, warum
Loofs scheinbar abgelegenen christologischen Vorstellungen
auch in dem vorliegenden Buche mit Vorliebe
[ nachgeht, z. B. Aphraates S. 257—299. Es sind Gedanken
, die Loofs von Anfang seiner akademischen
Tätigkeit an vertreten hat, und die wir uns freuen
| können, in ausgereifter Form hier wiederzufinden. Ich
I erinnere mich noch sehr genau, daß Loofs uns die
Grundzüge der „Geistchristologie" eines Abends vortrug
, als wir zu Dritt unter seiner Führung im Winter
1884 in Leipzig in einem Privatissimum Irenaeus lasen.

Einzelheiten hervorzuheben glaube ich mir versagen
j zu dürfen. Loofs' unbedingte Sorgfalt und ausgebreitete
I Kenntnis sind bekannt genug und treten auch in diesem
Werke überall hervor. Zu erwähnen ist aber, daß auch
eine Anzahl von Vorschlägen zur Textverbesserung des
Irenaeus hier gegeben sind, die nicht übersehen werden
dürfen und dem künftigen Herausgeber gute Dienste
l leisten werden. Es wäre doch vielleicht gut gewesen,
wenn ich im Register diese Stellen vermerkt hätte. Ich
habe es unterlassen, weil ich glaube, daß das gesamte
Werk von Loofs von dem Herausgeber auf das Ernste-
! ste durchgearbeitet werden muß.

Zum Schluß sei noch auf Folgendes aufmerksam
gemacht. Die Schwierigkeiten der Arbeit an der Ausgabe
des Irenaeus liegen nicht bloß in der sich häufenden
Menge des zu berücksichtigenden Stoffes, wofür das
vorliegende Werk von Loofs als Beispiel dienen möge,
sondern auch und zwar vornehmlich darin, daß die zu
berücksichtigenden Handschriften noch nicht genügend
ausgenützt worden sind. Ich habe schon einmal in
dieser Zeitung 52. Jahrgang 1927, Sp. 533 f. darauf hin-
I gewiesen, daß in dem nur in einer Handschrift erhalte-
i nen Schluß des Irenaeus aus der Handschrift noch neue
! und zwar zum Teil bessere Lesarten gewonnen werden
können. Hier möchte ich ein Beispiel dafür geben, daß
I selbst eine der Haupthandschriften, der Codex Claro-
I montanus in Berlin, noch Neues zu bieten vermag.
1 Harvey I, S. 223, Z. 9. 10. 12 steht gedruckt: Charin,
Thelesin, Synesin, Phronesin. vocant eum Armogen, The-
lesin autem secundo. Der Claromontanus liest: Charin,
enthesin, Synesin, Phronesin. vocant eum Armogenes,
Thesin autem secundo. Die Lösung bringt der koptische
Text, den C. Schmidt veröffentlicht hat (Philotesia für
i P. Kleinert, 1907, S. 327). Thelesin ist in der Handschrift
1 nicht bezeugt; dafür aber liest der koptische Text
aia&rpig, und das läßt sich mit dem, was die Handschrift
bietet, gut vereinigen. Es ist zu lesen: charin,
esthesin (für enthesin), Synesin, Phronesin. vocant eum
! Armogen, esthesin autem secundo. Der Vossianus liest
i ähnlich. Merkwürdigerweise hat Massuet die Lesarten
I der Handschrift nicht, weder auf S. 108, noch auf S.
377 unter den Variae lectiones minoris momenti consulto
praetermissae. Nur Harvey hat I S. 223, Anm. 3 die
I Lesarten des Claromontanus verzeichnet, wohl nach eige-
| ner Einsichtnahme des Codex, der damals noch in
I England war. Es gibt wohl kaum ein besseres Beispiel,