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Ausgabe:

1931 Nr. 26

Spalte:

610-612

Autor/Hrsg.:

Schäfer, Karl Theodor

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Geschichte der lateinischen Übersetzung des Hebräerbriefs 1931

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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609

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 26.

610

die ephesinische Gefangenschaft (64—71) die Ephesus-
hypothese nicht allein mehr retten können, ist klar.

Sodann wird in Kap. 2 „die in den Gefangenschaftsbriefen
vorausgesetzte Situation" untersucht (72—116).
Zu Anfang wird festgestellt, „daß die Andeutungen der
Briefe selbst über die Situation ihrer Entstehung vielfach
mehrdeutig sind und auch in ihrer gegenseitigen Verbindung
kein absolut zwingendes Argument ergeben, sondern
nur einen Wahrscheinlichkeitsbeweis führen lassen"
(72). Es werden „die in den Gefangenschaftsbriefen
vorausgesetzten und in Aussicht genommenen Reisen"
(75—91), die Situation des Onesimus (92—95) und der
bei Paulus anwesenden Mitarbeiter (95—105) und sonstige
Angaben der Briefe (105—116) geprüft. Die
größere Wahrscheinlichkeit spricht dem Verf., obwohl
er den Argumenten für Ephesus Gerechtigkeit widerfahren
läßt, letztlich doch gegen diese Datierung. Ein
3. Kap. behandelt „das Verhältnis des Phil, zu Kol.,
Eph., Phm. und zu den übrigen Paulusbriefen" (117—
129) mit dem Ergebnis, daß es unmöglich erscheint, die
Entstehung des Phil, von der der anderen Gefangenschaftsbriefe
zu trennen (gegen Albertz und Feine). Ein
letztes 4. Kap. (130—147) beantwortet die Frage „Cä-
sarea oder Rom?" dahin, daß die römische Abfassung
„weitaus die größere Wahrscheinlichkeit" für sich hat,
wobei dies Urteil für den Phil, sicherer ist als für die
anderen Briefe. Ein Anhang (148—159) erörtert kurz
und in besonderer Berücksichtigung von Davies „die
Ephesushypothese und die Entstehungszeit der Pastoralbriefe
" und zeigt, daß eine Datierung der Past. aus der
ephesinischen Zeit unmöglich ist.

Nicht nur die Freunde der Ephesushypothese, sondern
alle, die die Notwendigkeit sorgfältiger Bemühung
um die Chronologie der Paulusbriefe zugeben, werden es
als wohltuend empfinden, daß solche Bemühung nicht
als das Unternehmen von „Itinerarvirtuosen" geringschätzig
abgetan, sondern ernsthafter Auseinandersetzung
für wert gehalten wird. Der Verf. hat das Verdienst, in
umsichtigen und begründeten Ausführungen gezeigt zu
haben, daß auch die Abfassung der Gefangenschaftsbriefe
in Rom oder Cäsarea nur mit mehr oder weniger
großer Wahrscheinlichkeit behauptet werden kann. Die
Einsicht in diesen Tatbestand ist ja die Voraussetzung
und in ihr liegt das methodische Recht, daß überhaupt
die Ephesushypothese aufgestellt und vertreten wird.
Welcher Datierung dann die größere Wahrscheinlichkeit
zuzubilligen sei, wird von dem Urteil über die Einzelfragen
abhängen. Wer die für Rom (und entsprechend
für Cäsarea) sprechenden Gründe nicht für so gewichtig
hält wie der Verf., wird der Ephesushypothese ein
größeres Lebensrecht einräumen. Wer die Argumente
gegen Ephesus, z. B. den Hinweis auf das Schweigen
der Apg., die Ablehnung der irrealen Erklärung von
l. Kor. 15, 32, die übliche Chronologie der Geschichte
der Gemeinden des Lykustals, nicht anzuerkennen vermag
, wird ebenfalls der Datierung aus Ephesus günstiger
gegenüberstehen. Unerfüllt ist noch das Postulat,
das von Dobschütz aufgestellt hat: es solle einmal untersucht
werden, wie denn die Überlieferung der alten
Kirche, daß die Gefangenschaftsbriefe aus Rom stammten
, zustande gekommen sei. Der Verf. betont auch nur,
daß sich zwar eine Anzahl patristischer Ausleger für
Rom erklärt habe, daß es sich aber nicht nachweisen
lasse, „daß dieser Anschauung eine Überlieferung von
geschichtlichem Wert zugrundeliegt" (1). Auf die Möglichkeit
, daß für die römische Datierung bestimmte Tendenzen
der Kanonsgeschichte (der Wunsch, im römischen
Kanon möglichst viel Apostelbriefe aus Rom zu
besitzen) maßgebend gewesen sein könnten, geht der
Verf. nicht ein. Im Übrigen aber ist der Arbeit des
katholischen Gelehrten nachzurühmen, daß sie die Gesamtheit
der Argumente in übersichtlicher Darstellung
und mit vorsichtigem Urteil ausgebreitet hat.

Rprn. W. Michaelis.

Schäfer, Dr. theol. Karl Theodor: Untersuchungen zur Geschichte
der lateinischen Übersetzung des Hebräerbriefs. Freiburg:
Herder & Co. 1929. (XII, 200 S.) 4°. = Römische Quartalschrift
f. christl. Altertumskunde u. f. Kirchengesch. Begr. v. A. de Waal,
hrsg. v. P. Kirsch u. a. 23. Supplementheft. RM 10—.

Das vorliegende Buch, die Erstlingsschrift eines
Schülers von H. J. Vogels in Bonn, knüpft an die
beinahe gleichzeitig erschienenen Abhandlungen von
v. Harnack und Diehl (1920 und 21) über die Vul-
gata des Hebräerbriefs und ihre Vorstufen an. Merkwürdig
genug, daß diese Frage erst so spät angeschnitten
worden ist: wenn Hebr. erst zwischen
350 und 400 als Bestandteil des lateinischen NT. nachweisbar
ist, kann doch wohl seine früheste Übersetzung
nicht schon gleichzeitig mit der der 13 paulinischen
Briefe entstanden sein. Aber außer v. Harnack und
Diehl hatte nur noch De Bruyne mehrfach, vorzüglich
in seiner Ausgabe des Codex Frisingensis 1921, wertvolle
Beiträge zu der Geschichte des lateinischen Hebr.
geliefert. Schäfer will sich, trotz des Widerspruchs von
Diehl, wie Harnack auf Hebr. allein beschränken, um
später eine gleichartige Untersuchung über die sämtlichen
Paulinen anzustellen; man wird ihm darin beistimmen
, daß Hebr. eine gesonderte Behandlung am
ehesten verträgt.

Sicher bedeutet die Arbeit Schäfers einen Fortschritt
in der Forschung.

Das Buch zerfällt in zwei große Abteilungen. A:
Untersuchungen, und zwar über den d-Typus, die Vul-
gata, den r-Typus und Mischtexte S. 1—122. B. bietet
Texte von Hebr.: Codex Clarornontanus (d), fragmenta
Frisingensia (r), codex Harleianus (z), Uber comicus
Toletanus (t), zuletzt die Zitate aus den Kirchenvätern
von Tertullian und dem lateinischen ersten Clemensbrief
an bis zum 6. Jahrhundert (noch Cassio-
dor), S. 123—192. Den Schluß macht ein Register
S. 193—200, am wertvollsten für den Abschnitt über
die Zitate (S. 152 ff.). An der Spitze steht eine Einleitung
(S. 1—8), darin das Referat über den Stand der
Frage S. 2—6. Knapp zusammengefaßt finden wir die
Ergebnisse der Untersuchungen auf S. 120 f.

Dauernd wertvoll wird die Sammlung der Texte
bleiben, schon ihrer bis dahin noch nicht erreichten
Vollständigkeit halber. Ich sähe zwar gerne, am besten
kolumnenweise neben d, auch noch den Vulgatatext
wiedergegeben. Da Sch. sich nicht an den offiziellen
Vulg.-text hält, sondern Wordsworth-White vorurteilslos
benutzt, würde er hier mehr Verbesserungen bringen
als bei d und r, die er genau nach Tischendorf und De
Bruyne abdruckt. Bei z hat er sich nicht mit Buchanans
Ausgabe begnügt, sondern für Hebr. 10—13 eine eigene
Photographie aus dem Pariser Kodex von z sich verschafft
, die ihm sein Mißtrauen gegen Buchanan bestätigte
. Meine Überprüfung hat in diesen Texten Schäfers
Zuverlässigkeit erwiesen, und auch bei den patristi-
schen Zitaten ist neben dem ungewöhnlichen Fleiß die
Sorgsamkeit im Allgemeinen zu rühmen. Nachträge zu
der Zitatenliste, wie Sch. S. 122 bereits einen beibringt
aus dem von Wilmart entdeckten Pariser Kodex der
Luciferschriften, werden immer wieder auftauchen. Daß
Schäfer an mancher nicht gleichgültigen Anspielung auf
lateinische Hebr.-Texte vorübergeht, wollen wir ihm
nicht verübeln, z. B. dreimal an Hebr. 11, 6 in Aug
ctr. Julian. IV 24, 30, 51 oder an 1, 3 bei Hieron.
Tract. in ps. 141 (lumen statt spendor!) oder gar an
12,2 bei Aug. De praedest. sctt. 31, wo Aug. allein an
zwei Stellen die Übersetzung von ctr. Varimad. unterstützt
(principem u. perfectorem gegen auctorem u. con-
summatorem bei vulg., ähnlich d). Von ausgelassenen
Zitaten nenne ich 2, 14 in Vigilius ctr. Eutych. lib. V 16
(Migne 1. 62 p. 146) — hier liegt die Schuld wohl daran,
daß in der Mauriner Ausgabe auf 2, 18 statt 2, 14 hingewiesen
worden war, Schäfer aber den Fehler nicht zu
verbessern vermochte und darum lieber ganz schwieg;
| ebenso bei 2, 7 —, in Fulgentins Rusp. 5 Stellen-
! 2, 9; 3, 12f.; 5, 1; 9, 12; 12, 2 - die letzteren soear