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Ausgabe:

1931 Nr. 25

Spalte:

586-587

Autor/Hrsg.:

Bolza, Oskar

Titel/Untertitel:

Glaubenslose Religion 1931

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 25.

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Betz e n d örf er, Walter: Glauben und Wissen bei den großen I Inneren, so wenig vermögen sie doch — das wird vom
Denkern des Mittelalters. Ein Beitrag zur Geschichte des Zentral- i Verfasser mit Recht hervorgehoben — das Problem als
Problems der Scholastik. Gotha: L. Klotz 1931. (VII 260 S.) I soiches zu lösen. Nietzsches Gesamtleistung kann durch
gr 8° , , ... ±. , " i sie weder nach ihrem begrifflichen Inhalt und Gehalt

Durch seine, aus der Inauguraldissertation über | erfaßt, noch in ihrem organischen Zusammenhang darge-

Petrus Pomponatius und die Lehre von der zweifachen i stellt werden. Diese eigentliche Aufgabe bleibt dem

Wahrheit (1919) erweiterte, Arbeit über „Die Lehre | Systematiker vorbehalten.

von der zweifachen Wahrheit, ihr erstmaliges Auftreten j oer Verfasser nimmt sie in seiner Studie auf Aus-
im christlichen Abendland und ihre Quellen" (1924), gehend von dem Nietzsche Wort: „Dieser Denker
auch durch eine Universitätsvorlesung über „Die großen j braucht niemand, der ihn widerlegt, er genügt sich selbst
Denker des Mittelalters" (1921/2), war der frühere j dazu", in dem er geradezu den Schlüssel zum Verständ-
Tübinger Stiftsrepetent, spätere Pfarrherr im wurttemb. | njs der an Widersprüchen so reichen Denkarbeit Nietz-
Frankenland und jetzige Religionslehrer in Ludwigsburg, sches sieht, weist er in einer längeren Einleitung nach
Studienrat Dr. Betzendörfer, gut vorbereitet auf dieses j wje diese Widersprüche im Grund nichts anderes seien
vorläufig zusammenfassende Werk, das übrigens teil- ' ais immer neue und fortlaufende Selbstviderle<mngen
weise schon in der Zeitschrift für syst. Theologie , Nietzsches, der in ihnen und durch sie schließlich bis zur
(1925), in den Theol. Blättern (1926), in der Zeitschrift konsequenten Selbstaufhebung kommt,
für Theologie und Kirche (1926) und in der Zeitschrift Im eigentlichen Buchteil werden die einzelnen

für Kirchengeschichte (1929) erschienen ist. Es be- „Entwicklungen" in 5 Kap. gesondert betrachtet- die
ginnt mit dem frühscholastischen Denker Enugena und Lehre vom Übermenschen, die Lehre vom Philosophen
seinen scharfen Gegnern, den Antidialektikern des 11. die Abkehr von der Philosophie, die Wenduno- zur Reli-
Jahrhunderts, schreitet fort zu Anselm, Abalard zu den gion) die Selbstaufhebung, denen als Anhang noch ausMystikern
, dann zu Lombardus und schließt die erste i führliche Anmerkungen und eine Chronologie der BeHälfte
mit der Schule v. Chartres. In der zweiten legStellen beigegeben sind. Da bewußt auf eine Ausein-
Hälfte kommen die Wilhelm v. Auxerre und Auvergne, ; andersetzung init der einschlägigen Literatur verzichtet
Alexander v. Haies, Bonaventura und Aquasparta, dann und andererseits vom Verf. das wichtigste Material nur
Albert und_Thomas, hierauf die Averroisten dann Ra- in knappster Form geboten wird, wirkt seine Darstelluno-

mon Lul, Roger Bacon, Duns Scotus, endlich Wilhelm
v. Ockham zum Wort. B. läßt alle diese Männer selber
in trefflich gewählten, außerordentlich sorgsam gedruck-

ebenso klassisch und plastisch wie überzeugend und eindrucksvoll
. Obwohl schon seit geraumer Zeit erschienen,
ist sie dennoch heute noch ungemein aktuell und kann

ten Zitaten reden, zeigt ihre gegenseitigen Beziehungen j zum Nietzsche-Studium nicht warm genug empfohlen
und die Entwicklung des Zentralproblems der Scho- j werden,
lastik, Wissen und Glauben, bei diesen Denkern, die
kurz und gut zusammengefaßt wird in den Worten (S.
257): „Die mittelalterliche Scholastik hatte begonnen
mit der Identifikation von wahrer Philosophie und wah

Lienen. Otto Smend.

Marneck.F. H.: Glaubenslose Religion. München: E. Reinhardt
1°31. (197 S.) 8°. RM 5.80; geb. 7.60.

rer Relig^ I Zunächst sei gesagt, daß die vorliegende Schrift

punkt in dem Nachweis der Harmonie beider Größen
durch Thomas v. Aquin und endete mit der Feststellung
ihres unvereinbaren Gegensatzes durch Wilhelm v.
Ockham und seine Schule einerseits, Pietro Pomponazzi

von einem auf verschiedenen Gebieten gut orientierten
Laien stammt, der damit ein Lebensbekenntnis ablegt.
Das gibt ihr namentlich gegen den Schluß hin eine persönliche
Note, entschuldigt aber auch andererseits so

andrerseits". Jedes Werturteil wird von B. unterlassen. manche gewagte Behauptung und unzutreffende Folge

Wir haben somit eine rein sachliche Problemgeschichte, i ™ng aus Belegstellen ganz verschiedener Religionskreise,

die durch Benützung der Quellen und der reichhaltigen Dfr Verfasser geht davon aus, daß der traditionelle

einschlägigen Literatur zuverlässig, durch eine gute, J glaube „den Massen in den Großstädten unwiederbring-

schlichte Sprache und sehr klare Stoffanordnung leicht 1 lieh verloren gegangen" zu sein scheint; er stellt sich

lesbar geworden ist. Nicht bloß quantitativ, sondern deshalb die Frage: „Was laßt sich für den Ungläubigen

auch qualitativ bedeutet das Buch einen erheblichen ! von der Religion und ihren segensreichen Wirkungen

Fortschritt gegenüber Th. Heitz, Essai historique sur les |'ftte1n? '. und weiterhin: „Welchen Ersatz kann der

rapports entre la philosophie et la foi de Berenger de Ungläubige für diejenigen Teile der Religion, die ihm

Tours ä S Thomas d'Aquin (Par. 1909), dem französi- verschlossen bleiben, auf anderen Gebieten finden?"

sehen Gegenstück zum vorliegenden deutschen Werk. Da zugegeben wird, daß auch dem landläufig Ungläu-

Bd Anselm v Canterbury hätten die Monographie v. j. Fischer (Die j!Sen starkere /W« Erschütterungen zuteil werden

Erkenntnislehre Anselms, 1911), bei Averroes M. Hortens „Texte zu dem k°""enc; ?? SUcht .der Verfasser unter Anlehnung an R.

Streit über Glauben und Wissen im Islam" (1913), bei Bacon die Mono- Utto, bchleiermacher das religiöse Gefühl im engeren

graphie von R. Walz (Das Verhältnis von Glauben und Wissen bei Roger Sinne ZU Umschreiben, Um dann ausführlich auf die dem

Bacon, 1927), bei Ramon Lul die Monographie v. A. Peers (London 1929) religiösen Gefühl benachbarten Ersatzgefühle einzu-

gute Dienste leisten können. Von den wenigen Druckfehlern seien ge- gehen, wie das erotische, ästhetische, ethische soziale

nannt: S. VII lies Pomponazzi und 185 (statt 184); S. 41, 167, 177, Gefühl, Arbeitsglück, das Glücksgefühl der Gesundheit

191,214,242 fehlen die Ziffern zu mehreren Anmerkungen; S. 59, und Kraft. Dieser Abschnitt, der beinahe das ganze

Z.22/3 sind umzustellen ; S 63, Anm ^J^^^t^J Buch ausfüllt, leidet schon 'unter dem mefhodifchen

L£Ä4. Anm Tef&2*A*L*t Thornas Fehlf ***** clissertationenhaften Behandlung trg"

TfSTk 214. Am. 2, Z. 2 H*Twnm nannten Gefühle, wobei nach recht äußerlichen üe-

' Waiblingen (Württ). Wilhelm Koch. Sichtspunkten die Wertung derselben sich vollzieht, so

*------ | wenn wir auf S. 113 lesen: „Nach alledem werden wir

Kräutlein, Jonathan: Friedrich Nietzsches Morallehre in I wofd berechtigt sein, auch das Glücksgefühl der Ge-

ihrem begrifflichen Aufbau. Eine systematische Studie. Leipzig: sundheit und Kraft zu den .religiösen Gefühlen im
Felix Meiner 1926. (80 s.) 8°. hart. RM 3.50. weiteren Sinn' zu rechnen". Wenn ferner das Problem

In der vorliegenden Studie meldet sich der Syste- der „Erlösung als Überwindung der Schwernis verstan-
matiker zum Wort. Vielmehr: er meldet sich nicht zum den" wird, so ist das eine dem 18. Jahrhundert zuge-
Wort, sondern er spricht ein hochbedeutsames und ge- j hörende Umdeutung dieses fundamentalen religiösen Bewichtiges
Wort, das m. E. zum begrifflichen Verständnis J griffs. Eine recht bedenkliche Auswechslung der reli-
des Denkers Nietzsche von wesentlicher Bedeutung ist. giösen Prägungen vollzieht der Verfasser in der Heran-
So Entscheidendes immerhin auch der Historiker und ziehung von Stellen aus den Upanishaden zum Erweis
der Psychologe zum Problem Nietzsche zu sagen haben, seiner Hypothese, „daß auf dem tiefsten Grund der
der eine mehr zum Äußeren, der andere mehr zum j menschlichen Seele, für gewöhnlich verborgen im Unter-