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Ausgabe:

1931 Nr. 24

Spalte:

559-561

Autor/Hrsg.:

Bauer, Walter

Titel/Untertitel:

Der Wortgottesdienst der ältesten Christen 1931

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 24.

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den Sakralgebrauch nicht ausschließt. Endlich aber ist
— und diese Kritik richtet sich auch gegen das vierte
Kapitel — nicht gesehen, daß sich heute das Problem
viel allgemeiner stellt, als es der Verfasser betrachtet. .
Wir glauben heute deutlicher als früher wahrzunehmen, |
daß z. B. nvQiog von Offenbarungsgottheiten wie von
weltregierenden Göttern gebraucht wird und in jedem ,
Fall das Kultverhältnis zu diesen Mächten ausdrückt.
Von diesem Sprachgebrauch ist sowohl der Herrscherkult
abhängig, wenn er den Titel xvqioc verwendet, als ,
auch die Septuaginta. Und wenn in dieser Welt die
Christen nun Jesus als ihren „Herrn" bezeichnen, so
fragt es sich nicht, von wem sie das übernommen haben
, sondern was sie damit ausdrücken wollen. Dies
verstehen lehrt die Religionsgeschichte, darum ist der
religionsgeschichtliche Vergleich notwendig. Daß die
Christen dann ihren so anders gearteten Glauben in die
bekannte Bezeichnung hineingelegt haben, ist kein Gegengrund
gegen den Vergleich. Denn sie konnten den
Titel doch nur gebrauchen (und dann selbständig interpretieren
), wenn er außerhalb des Christentums schon J
einen bestimmten Wert hatte. Diesen zu bestimmen ist j
die Aufgabe. Man kann eine Lösung beanstanden, die j
Stellung der Aufgabe kaum. Und man sollte es am allerwenigsten
in der Weise des Verf. tun, und als einseitig
plädierender Retter auftreten statt als allseitig überlegen- I
der Mitarbeiter.

Heidelberg. Martin D i b e 1 i u s.

Bauer, Prof. D. Walter: Der Wortgottesdienst der ältesten

Christen. Tübingen: J. C. B. Mohr 1930. (64 S.) gr. 8°. =
Sammig. gemeinverständl. Vortr. u. Schriften a. d. Gebiet d. Theol.
n. Religionsgesch., 148. RM 1.80; in Subskr. 1.50.

Ein in letzter Zeit wenig behandeltes Thema aus j
der Geschichte der ältesten Christen, ihr Wortgottesdienst
, wird in dieser anregenden Schrift vom Herausgeber
dieser Zeitschrift aufs neue zur Diskussion gestellt
. Was die Arbeit, die aus Ferienkursvorträgen
hervorgegangen ist, charakterisiert, ist einmal negativ
die These, der Einfluß der Synagoge sei für die
älteste Entwicklung abzuweisen, andrerseits positiv der
Nachweis, daß uns in den kultischen Überlieferungen
der Mysterienreligionen reiches Material ge- i
geben ist, aus dem wir uns die Andeutungen der ältesten
Quellen, vor allem die Aussagen des Paulus l.Cor. i
14, 26 veranschaulichen können.

Die erstgenannte These kann ich mir freilich nicht
ohne weiteres aneignen. Gewiß wird richtig betont, daß
sich die christliche Gottesverehrung, auch in Jerusalem- |
Palästina, wesentlich von der synagogalen unter- i
schieden hat — B. hebt hervor „die Lehre der |
Apostel", den profetischen Geist in der Gemeinde und
das heilige Mahl. Gewiß führt der Verf. sehr starke
Argumente gegen die herkömmliche Ansicht ins Feld:
1. im Gegensatz zum Synagogalgottesdienst ist der
christliche Gottesdienst eine Mischform zwischen Gemeindegottesdienst
und Missionsgottesdienst, muß also
auch auf die Gewinnung Ungläubiger eingestellt gewesen
sein; 2. unmöglich konnte Paulus die Gesetzesvorlesung
, die im Mittelpunkt des Synagogengottesdienstes
stand, in seine christlichen Versammlungen hinüber- j
nehmen; 3. wie konnten überhaupt heidenchristliche Ge-
meinden der ersten Jahrzehnte ein griechisches A. T. sich j
leisten und es nutzbringend handhaben: in der Nachfolge
v. Harnack's betont auch Bauer, daß nirgends in den
paulinischen Briefen auf gottesdienstliche Anagnose des
A. T. hingedeutet werde, daß sie auch in Rom. und Gal.
nicht vorausgesetzt zu werden braucht. Dazu kommt
nun die Beweisführung für die zweite These, in der |
Hauptsache ein reich ausgestatteter Materialkommentar i
zu 1. Cor. 14, 26, wo Psalm Vortrag, Lehre, Offenbarung,
Zungenspruch und Auslegung dazu als Inhalt der Zusammenkünfte
aufgeführt werden, also keine Vorlesung j
aus dem A. T., und wo wirklich zu jedem Stück die j
Mysterienliturgien, die Gebete, die Liturgien der Gnosis
u. a. die nächstliegenden Analogien darbieten, wobei nur I

gleichfalls nahe —, bisweilen sogar noch näherliegende
Belege aus dem jüdischen Schrifttum (ich denke etwa
an die schönen Gebete in den Apokalypsen des Esra und
Baruch) fast ganz außer Betracht gelassen sind.

Das Gewicht dieser Argumente und Vergleichsmaterialien
soll gar nicht in Abrede gestellt werden:
im Ganzen hat sicher der älteste christliche Wortgottesdienst
ein anderes Gepräge getragen als der synagogale,
namentlich in den großen heidenchristlichen Gemeinden
des paulinischen Missionsbezirks. Aber mit dem allen
ist anfängliche Anlehnung an den Synagogaldienst und
Herübernehmen einzelner Liturgiestücke aus ihm keineswegs
radikal unwahrscheinlich, oder gar unmöglich gemacht
. Vielmehr läßt sich auch die Gegenthese wohl
begründen, daß zunächst in Palästina, dann aber auch
weithin in der Diaspora der christliche Gottesdienst den
Typus eines mehr oder weniger stark christianisierten
Sy n a gogalgottesd iens te s dargestellt hat.

Als unmittelbare Belege würde ich zunächst die
Lukastexte anführen, Luk. 4, 16 ff. (ich möchte fast sagen
: die Beschreibung des ersten christlichen Synagogal-
gottesdienstes in Nazareth) und Act. 13,13 ff., wo wir
gleichfalls eine christliche Gottesdienstordnung vorgeführt
bekommen: Vorlesung aus Gesetz und Profeten
und dazu christlicher Xoyoq rectoowcWiaeaie. Entweder haben
wir hier einmalige Gottesdienste, deren Gestalt aber für
christliche Gottesdienstformen vorbildlich werden konnte,
oder beiden Erzählungen liegt eben eine damalige, schon
eingebürgerte christliche Gottesdienstordnung zugrunde.
Wenn die christlichen Gemeinden vielfach durch Absplitterung
aus den Diasporagemeinden entstanden, so
ist das Nächstliegende die Annahme, daß die neugläubigen
Separatisten Elemente ihrer bisher gewohnten Ordnung
auch in der neuen Glaubensgemeinschaft beibehielten
. Die Beschaffung von griechischen Bibeln oder
Bibelteilen wird auch schon in den ältesten Zeiten nicht
so schwierig gewesen sein. Hatte man in den Synagogen
des griechischen Sprachgebiets griechische Bibeltexte
, dann wird es auch für die christgläubigen Gemeinden
möglich gewesen sein Bibeltexte sich zu verschaffen
. Hier ist vor allem auch an die Testimonien-
Hypothese von Rendel Harris zu erinnern. Daß man
fortlaufend die Thora vorlas, ist allerdings unwahrscheinlich
, wenigstens solange man in der Kunst der
allegorischen Umdeutung nicht so weit fortgeschritten
war, wie der Autor des Barnabasbriefs. Aber Vorlesung
von ausgewählten Texten aus Thora, Profeten und Psalmen
wird in den rein oder überwiegend judenchristlichen
Gemeinden von Anfang an regelmäßig geübt, dann aber
auch in vielen heidenchristlichen Gemeinden mindestens
gelegentlich vorgekommen sein. Ich glaube sogar, daß
solche Übung gerade auch in den großen Paulinen bezeugt
ist, vgl. als ausdrückliche Belege Rom. 7, 1; Gal.
4, 21 vor allem II. Cor. 3,14f.: in der neuen Gemeinde
ist offenbar nur die ,,Decke" weggefallen, nicht auch die
„Vorlesung des alten Bundes"; und wenn auch Paulus
seine Beweisstücke aus dem A. T. nicht immer ausdrücklich
mit einer Zitationsformel einleitet, so ist doch in
vielen Fällen vorausgesetzt, die Leser wissen, daß es sich
um ein Wort aus der Urkunde der alten Offenbarung
handelt.

Für die Losung „christianisierter Synagogalgottesdienst
" ist schließlich auch die vom Verf. nur gelegentlich
herangezogene Stelle bei Justin (Apol. I 67, 2) ein
Beleg: xai ta üjtom^|mvsi4taTu täyv änocrtöWv !j tü ai>YYÖ('WJlTa
twv ^Qoq)t)tä)v üvaYivtöaxeTai: wenn B. (S. 46) das t) betont
und daraus schließt, Justin kenne auch Gottesdienste, in
denen das A. T. nicht gebraucht werde, so ist das richtig
: solche Gottesdienste sind aber nicht das Ursprüngliche
; vielmehr ist ursprünglich Vorlesung der
Profeten das Herrschende gewesen und allmählich verdrängt
worden oder seltener geworden, als man die
Apostelbücher bekam und sie auch zur Vorlesung zuließ!

Einen ganz sicheren Beweis für das Vorkommen
jüdisch-synagogaler Elemente sogar in Korinth, ist

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