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Ausgabe:

1931 Nr. 24

Spalte:

556-558

Autor/Hrsg.:

Stählin, Gustav

Titel/Untertitel:

Skandalon 1931

Rezensent:

Mundle, Wilhelm

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655

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 24.

556

Ref. hält dieses Verständnis des Mythos aus dem
prometheischen Streben des Menschen und der Mißgunst
der um ihre Vorrechte besorgten Gottheit für das richtige,
weil dem hellenischen religiösen Lebensgefühl entsprechende
. Hier liegt das Übermenschentum ständig im
Kampf mit den göttlichen Mächten, die in der Dämonie
des Schicksals in das Leben eingreifen und den Menschen
zu beugen suchen, ohne jedoch jenen eingebornen
prometheischen Drang je lähmen zu können. Das ist die
Tragik des griechischen Menschen, aber eine Tragik,
die ihn innerlich erhebt und neuen Lebensdrang zum
Schaffen in Freiheit erzeugt.

Anders steht es nun mit des Verf.s Versuch, den
biblischen Sündenfall-Mythos zu deuten. Hier
können kritische Bedenken nicht zurückgehalten werden.
Das entscheidende Motiv von Gen. 3, 5 versteht T. von
der eigenmächtigen Bestimmung über das, was als Gut
und Übel zu erkennen sei, die eigene und eigenwillige
Gesetzgebung, die im Gegensatz steht zu dem von Gott
vorgeschriebenen Handeln nach lebenfördernden und
lebenaufbauenden Gesetzen (S. 48). Er interpretiert also
den tiefsinnigen biblischen Mythos von der falsch
verstandenen sittlichen Autonomie aus, im Sinne
eines ethischen Idealismus mit negativem Vorzeichen.
Und er sieht nun in dem Mächtigwerden dieser Eigengesetzlichkeit
, die den geistigen Tod der Gottesferne
zur Folge hat, die Nachwirkung des tierisch-Triebhaften
im Menschen (Symbol: die Schlange).

Es fragt sich nun aber, ob diese Sinngebung von
Gen. 2 f. die Probe besteht im Hinblick auf das Gotteswort
„Siehe, der Mensch ist geworden wie unser einer
la-da'ath tobh wara" 3, 22. Ist die von T. empfohlene
Deutung von jada' und tobh und ra' vereinbar mit dieser
Aussage? T. fühlt wohl selber, daß das nicht möglich
ist und hilft sich mit der Annahme, der biblische Mythos
vertrete eben zwei entgegengesetzte Arten der Gottgleichheit
, eine richtige und eine verkehrte, sofern Gott
einerseits der schöpferische Logos ist und andererseits
der wirkliche Mittelpunkt alles Geschehens und Werdens
. Ref. kann diese Annahme nicht für richtig halten,
sie ist eine idealistische Konstruktion, von deren Voraussetzungen
die Bibel nichts weiß. Das Gotteswort
Gen. 3, 22 ist ganz eindeutig. Es stellt den Tatbestand
fest, der die Folge des Essens von der verbotenen
Frucht ist, nämlich daß eine Schranke zwischen Gott
und Mensch eigenmächtig von dem Geschöpf niedergelegt
ist. Nur so hat ja das Folgende Sinn, die Verhinderung
einer Verewigung dieses Zustandes durch die
Entziehung der, Unvergänglichkeit gebenden Frucht des
Lebensbaumes. Die durch die Eigenmächtigkeit des
Menschen erzeugte, die Schöpfungsordnung störende Annäherung
zwischen Gott und Mensch, wird dadurch paralysiert
: die durch „Erkenntnis" d. h. durch Eindringen
in das Geheimnis der Welt mündig gewordene, also
„emanzipierte" Kreatur wird der Vergänglichkeit unterworfen
. In diesem Punkte hätte T. der schon von E.
Böhmer vor vielen Jahrzehnten ausgesprochenen Erkenntnis
folgen sollen, denn B. hat schon richtig von
der „Emanzipation", dem „Sehendwerden des Menschen"
gesprochen als dem Übel, das alle anderen im Gefolge
hat.

Die Studie von T. enthält ohne Frage im Einzelnen
viele feine Gedanken, sie kann aber in dem einen
Hauptpunkte, der einzig möglichen Deutung des Mythos
Gen. 2 f. aus dem Gottesgedanken des A. T.s, nicht
befriedigen. Hier versagt der von T. angelegte Maßstab
des ethischen Idealismus. Es geht in dem Mythos
um den einen religiösen Gedanken von zentraler Bedeutung
: daß jeder Versuch, die von dem heiligen Gott
gesetzte Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf zu überbrücken
, auch mit Hilfe des dem Menschen gegebenen
Erkenntnistriebes, das Geschöpf nicht zu Gott bringt,
sondern von ihm entfernt. Je höher die „Kultur" den
Menschen emporträgt, um so größer wird die Gottesferne
, und das heißt der geistige Abstieg des Menschen.

Das ist alttestamentliche Beurteilung des existentiellen
| Daseins. Auch hier steht im Hintergrund die tiefe
, Tragik alles Menschlichen, aber sie erhebt nicht und
i spornt nicht an, sondern sie beugt in den Staub im Be-
j wußtsein der Schuld, die in allem eigengesetzlichen
! Streben des Menschen aufbricht, auch im Erkenntnisstreben
, denn es will nicht in der schöpfungsgemäßen
j Einheit mit Gott bleiben, sondern im Gegenteil sich
neben, ja über Gott stellen.

Im Abschnitt 5 hätte neben H. Gunkel die Erklärung
des at. Mythos durch Procksch im Genesis-
Kommentar eine Stelle finden sollen, während die lite-
rarkritischen Operationen von Budde und der Aufsatz
von Greßmann in der Christi. Welt 1926 Nr. 17, der
| vergeblich gegen Brunner's richtiges Verständnis von
Gen. 3 angeht, unerwähnt bleiben konnten. Zum Verständnis
von Gen. 2 f. haben sie nichts beigetragen.
Jena. W. Staerk.

Reallexikon der Assyriologie. Unter Mitwirkg. zahlr. Fachgelehrter
hrsg. v. Erich Ebelingu. Bruno Meissner. 1. Bd. 4.-5. Lfg.
Berlin: W. de Gruyter & Co. 1930 u. 1931. (S. 241—400 u. Taf.
39—54) Lex. 8°. Lfg. 4 RM 5—; Lfg. 5 RM 11—.

Diese beiden Lieferungen des Reallexikons der
Assyriologie (s. die Bespr. von Lief. 1—3 Jahrg. 1930
Sp. 317 f.) enthalten in der Hauptsache mehrere längere
Artikel, die man schon fast als Abhandlungen bezeichnen
kann. Der sehr inhaltreiche Artikel „Assyrien"
wird zu Ende geführt und nimmt beinahe die ganze
4. Lieferung ein. Außerdem sind noch zu erwähnen:
Astralmythen, Atrahasis, Ausgrabungen. Den größten

Teil der 5. Lieferung beansprucht die Behandlung von
Babylon und Babylonien. Der Artikel „Babylon" von
Eckhard Unger bringt viele neue Erkenntnisse für die
Topographie der Stadt. Sonst sei noch hingewiesen auf:
Aussetzungsgeschichten, Aziru, Babylonischer Turm und
babylonische Sprachverwirrung, Backen, Bad, Bankhaus.
Hiddensee. Arnold Gustavs.

Stähl in, Gustav: Skandalon. Untersuchungen zur Geschichte eines
biblischen Begriffs. Gütersloh: C. Bertelsmann 1930. (XV, 495 S.)
gr. 8°. = Beitr. z. Förderung christlicher Theol., hrsg. v. A. Schlatter
j u. W. Lütgert, 2. R. Sammig. wiss. Monogr., 24. Bd. RM 21 — ; geb. 24 — .

Der Verfasser legt in diesem Werk eine begriffs-
I geschichtliche Arbeit über die Worte oxtivSakov und
axav5cdß;co vor. Er behandelt zunächst Heimat und Urbedeutung
des griechischen Wortes, seine hebräischen Entsprechungen
ropp", brir'c), bespricht daran anschließend
den Sprachgebrauch der LXX, des neuen Testamentes,
i sowie den Bedeutungswandel des Wortes im nachbib-
J lischen — wesentlich kirchlichen — Sprachgebrauch so-
I wohl im griechischen Osten als auch im lateinischen
■ Westen bis zur Schwelle des Mittelalters. Die umfassende
, sorgfältige und gelehrte Untersuchung setzt
| uns an der Hand eines reichen Materiales in den Stand,
den Bedeutungswandel des Wortes radvöoAov zu überschauen
, das von seiner (zu postulierenden) Urbedeutung
(Stellholz an der Falle) unter wesentlicher Einwirkung
des hebräischen Sprachgebrauchs (durch Vermittlung der
LXX) allgemein den Anstoß, die Verführung zur Sünde
bzw. das daraus folgende Verderben bezeichnet und
auch auf die persönlichen Träger dieses Anstoßes aus-
j gedehnt werden kann. Daran schließt sich im späteren
! kirchlichen Sprachgebrauch eine weitere Differenzierung,
die zur Folge hat, daß das Wort zuletzt im profanen
Sprachgebrauch die Bedeutung „Skandal, Unfriede,
Schmach" gewinnt. Dem Abschnitt über das Substantiv
oitdvöakov ist ein entsprechender über das Verbum
; oxavSaMtfo in dem entsprechenden Zeitabschnitt beigefügt,
; und die Entwicklung des Sprachgebrauches wird übersichtlich
an Hand des Quellenmaterials dargelegt; es ist
I von Interesse zu beobachten, wie sich in dem Bedeu-
i tungswandel eines einzelnen Wortes auch der Wandel
! religiöser Ideale in etwa wiederspiegelt; von diesemGe-
! Sichtspunkt aus betrachtet, beanspruchen die Abschnitte