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Ausgabe:

1931 Nr. 23

Spalte:

547-548

Titel/Untertitel:

Bearb. von Simon Rawidowicz 1931

Rezensent:

Aner, Karl

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547

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 23.

548

Wenn dieses Urteil vielleicht auch keine uneingeschränkte
Zustimmung finden mag, so ist doch Tatsache,
daß Zinzendorf in einer Zeit des liturgischen Abbaus
und Verfalls neue Qottesdienstformen geschaffen hat,
die deshalb evangelischen Charakter tragen, weil sie
ohne Anknüpfung an die Messe entstanden sind, Gottesdienstformen
, die noch heute bestehen, die, wenn sie
auch immer nur auf eine kleine Kirche beschränkt geblieben
sind, durch Schleiermacher hindurch die Gottesdienstauffassung
der evangelischen Kirche beeinflußt haben
. Es ist nun schade, daß Uttendörfer seinen Gegenstand
nicht in diesem großen Zusammenhang behandelt.
Er beschränkt sich darauf, Zinzendorfs Äußerungen über
den Gottesdienst zusammenzustellen. Diese Gedanken
nun werden auch den, der Zinzendorf zu kennen meint,
vielfach überraschen, so Zinzendorfs Stellung zum Tischgebet
, seine Bekämpfung des freien Gebetes, und seine
Abneigung gegen collegia biblica. Bezeichnend für Zinzendorf
ist die Vereinigung von Bindung und Freiheit,
Tradition und Fortschritt; er ist für feste Ordnungen,
aber es soll immer wieder geändert werden. Weil die
anglikanische Kirche 200 Jahre lang ihre Liturgie nicht
geändert habe, sei in England der Deismus und Atheismus
entstanden. — Die Gedanken Zinzendorfs bringt
Uttendörfer meist in wörtlicher Anführung, stellenweise
sind die Zitate etwas verändert, um sie allgemein verständlich
zu machen und dadurch den Absatz des Buches
zu erleichtern. Da die Quellen genau angegeben sind,
kann der, der weiter forscht, die Urform leicht finden.
Hermhut. W. Bettermann.

Mendelssohn, Mores: Gesammelte Schriften. Jubiläumsausg.
Hrsg. v. J. Elbogen, J. Guttmann u. E. Mittwoch. 7. Bd.
Schriften z. Judentum. 1. Bearb. v. Simon Rawidowicz. Mit
1 Faks. Berlin: Akademie-Verlag 1930. (CLXXXHI, 51b S.) 4°.

I.w. RM 15--.

Die Hälfte des Raumes — sowohl in den Einleitungen
wie in der Ausgabe der Schriften selbst — nimmt
der Streit mit Lavater ein; die andere Hälfte füllen die
„Ritualgesetze der Juden, betreffend Erbschaften, Vormundschaftssachen
, Testamente und Ehesachen, insoweit
sie das Mein und Dein angehen" 1778 und die
Gutachten zur Reform des Judeneides 1782 ff. Der
Ausgabe sind ein Lesartenverzeichnis, kommentierende
Anmerkungen und ein Quellennachweis zu den „Ritualgesetzen
" beigefügt. Interessieren die innerjüdischen
Schriften wesentlich den Kulturhistoriker des 18. Jahrhunderts
, speziell den Geschichtschreiber des damaligen
Judentums, so sind der Kirchengeschichte die Dokumente
des Lavaterstreites wichtig, zu denen Mendelssohns unveröffentlichtes
Fragment „Gegenbetrachtungen über
Bonnets Palingenesie" und briefliche Äußerungen, auch
dritter Personen (S. 295—374), gehören. Der vornehmfreundliche
, keineswegs kleinliche Ton der beiden Gegner
hebt diese Zeugnisse aus der widerwärtigen Flut
sonstiger Kontroversliteratur vorteilhaft hervor und
sichert ihnen eine bleibende allgemeine Schätzung. Sympathisch
berührt das Bestreben des Herausgebers, auch
der Gestalt Lavaters gerecht zu werden, dessen plumper
Bekehrungsversuch (i769) psychologischem Verständnis
begegnet. Lavaters törichte Aufforderung an Mendelssohn
, entweder Bonnets Beweise für das Christentum
öffentlich zu widerlegen oder selbst Christ zu werden,
sei einem aufrichtigen Herzensanliegen entsprungen, von
dem Lavater bis zum Ende des Schriftenwechsels nicht
loskomme. Erst später, 1786 bei Gelegenheit des von
F. H. Jacobi verursachten Streites über Lessings Spino-
zismus, werde Lavater gegen Mendelssohn gehässig. Die
theologischen Persönlichkeiten, die im Streit von 1769 ff.
eine Rolle spielten, bedürften meines Erachtens in der
Einleitung einer konkreteren Charakteristik. So wäre
über F. O. Lüdke wohl etwas mehr zu sagen, als daß
er 1730—92 lebte, Archidiakonus an Nikolai in Berlin
und Mitarbeiter der „Allg. Deutsch. Bibl." war (XXVII f.).
Er ist doch kein so obskurer Name (vgl. RGG.2 III.
S. 1744). Zu der These, daß Friedr. Nicolai schon

damals gegen Lavater kritischer gestimmt war als seine
theologischen Freunde Spalding und Lüdke, kann ich
eine briefliche Äußerung I. A. Eberhards vom 27. Jan.
1775 (ungedruckt, im Nicolainachlaß der Preuß. Staatsbibliothek
zu Berlin) beisteuern: „Wahrlich Sie sind ein
Prophet. Sein (Lav.) theologisches System entwickelt
sich so beinahe, wie Sie es gesagt haben". Seit 1782
wurde Nicolai durch Heinrich Corrodi-Zürich, sowie
durch andere Freunde über die Praktiken Lavaters brieflich
informiert (siehe den ungedr. Briefwechsel a. a. O.).
Kiel-___ K. Aner.

Schneider, Lic. theol. Dr. phil. Carl: Bei den deutschen
Lutheranern in Australien. Mit einem Vorwort von Prof. D.
Dr. Franz Rendtorff. Leipzig: Verl. d. Centraivorst, d. Evang.
Ver. d. Gustav Adolf-Stiftnn« 1929. (63 S.) gr. 8°. = Beihefte d.
Zeitschr. „Die evangelische Diaspora" Nr. 17. RM 2—•

Der flott geschriebene Reisebericht hat geschichtlichen
Wert nicht nur als Zeitdokument für die Lage
des deutschen Protestantismus in Australien in der Nach-
1 kriegszeit, sondern auch als (notgedrungen skizzenhafte)
i Darstellung von der geschichtlichen Entwicklung der
I dortigen deutschen evangelischen Gemeinden. Freilich
[ hat der Verfasser keinen Einblick in alle in Betracht
kommenden Gemeinden nehmen können. Die Missourische
Evangelisch - Lutherische Synode Australiens
(ELSA) ist ihm aus eigener Anschauung ganz fremd geblieben
, von der VELKA (Vereinigte Evangelisch-Lutherische
Kirche Australiens) kennt er am besten die Ge-
( meinden, die vor dem Kriege zur Viktorianischen Synode
gehörten und teilweise dem Berliner Oberkirchenrat angeschlossen
waren, und die jetzt noch ihr Deutschtum,
von den dort wohnenden Reichsdeutschen unterstützt, am
treuesten bewahrt haben. Sie bilden innerhalb der VELKA
eine Gruppe, die den Anschluß an den Deutschen Evangelischen
Kirchenbund erstrebt und für deutsche Theologie
zugänglich ist. Daneben gibt es eine Richtung, die
im Anschluß an die Jowasynode amerikanischen Einflüssen
offen steht. Es bleibt abzuwarten, wie sich in
der VELKA die Verhältnisse — gerade auch im Zusammenhang
mit dem von ihr offiziell „unerbetenen, ja
vcrbetenen" Besuch Schneiders — weiter entwickeln
werden.

Marburg-Michelbach. V. Maurer.

Joel, Karl: Wandlungen der Weltanschauung. Eine Philosophiegeschichte
als Oescbichrsphiloeophie. Lfg. 9 u. 10. Tübingen: J. C.
B. Mohr 1930/31. (S. 481-640) gr. 8°. In Subskr. je RM 3.50.
Mit diesen beiden Lieferungen überschreitet das
hochbedeutsame Werk die Säkulargrenze zu dem Jahrhundert
der organischen und mechanischen Bindung, aus
dem vorangehenden der Lösung in der Aufklärungszeit.
Wieder glaubt man in dem an Höhepunkten so reichen
Werk an einen solchen gekommen zu sein. Denn die
Grundthese vom Umschlag gerade an der Jahrhundertwende
gewinnt nun einen bestechenden Schein. Von
Fichte bis zu Strauß führt J. dieses Leitmotiv durch:
es geht aus der Freiheit zur Einheit, aus der Auflösung
zur Ganzheit. Natürlich treten die Übergänge und Synthesen
klar hervor, zumeist in eindrucksvollen Formulierungen
. So erscheint Fichte in seiner Wendung vom
Tribun der Ich-Befreiung zum Propheten des Allgeistes,
der politisch vom liberalen Rechtsstaat über den sozialen
Wirtschaftsstaat zum nationalen Kulturstaat vordringt.
Schelling, der offenbar mit besonderer Liebe gezeichnet
ist, steigt auf von der Natur über die Kunst zu Gott.
„So sonnig durchglänzt niemals wieder der Geist die
i Welt mit dem Strahlenband von goldener Harmonie wie
; damals, in jener Feierstunde am wahren Sonntagmittag
des klassischen Geistes in Sendlings Philosophie." Hegel
! tritt in denselben Zusammenhang ein als der große Pro-
j phet des Allgeistes des 19. J., das von der Tat zu den
! Tatsachen, das vom Einzelnen zum All, von der Natur
< zur Geschichte, von der Idee zum Geiste führt. Wie die
beiden vorigen zog es auch diesen, den großen Schwaben,
zum Staat der Ordnung und der Institution, zu Preußen.