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Ausgabe:

1931 Nr. 23

Spalte:

532-533

Autor/Hrsg.:

Kuhl, Curt

Titel/Untertitel:

Die drei Männer im Feuer 1931

Rezensent:

Caspari, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 23.

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erste Teil von Bu-ston's Werk heißt) auch dem Nicht-
Indologen mancherlei des Interessanten zu bieten hat,
mag die folgende kleine Auswahl lehren. Das Verkün- i
den und Auslegen der Heiligen Schrift ist die höchste
Art der Buddha-Verehrung und die größte Gabe, deren I
ein Mensch fähig ist: es erhebt den Prediger und läßt
ihn zur Erinnerung seiner früheren Leben gelangen
(S. 11—12). Die „Wahrheit des Erlöschens" bedeutet,
daß „alle tätigen Lebenselemente im Absoluten1 aufgehen
", und somit „die Ablehnung aller Befleckung und
sogar der Individualität des Heiligen,2 das Nirväna
nach dem Tode (genauer: restlose Nirväna) und den :
kosmischen Körper Buddhas nach mahäyänistischer Auf- j
fassung" (S. 22). Das Wort des Buddha, chronologisch
betrachtet, sind die drei „Räder der Lehre", nämlich:
1. die in der frühesten Periode (== von dem historischen
Buddha) verkündete Lehre von den vier Heiligen Wahrheiten
(Hlnayäna-Buddhismus); 2. die in der mittleren
Periode des Buddhismus verkündete Lehre von der
Nicht-Substanzialität („Lehre von der Leere", Mädhya- I
mika-Buddhismus); und 3. die den Begriff der Abso- !
luten Realität begründende Lehre (Yogäcära-Buddhis- j
mus) (S. 30)3. „Die höchsten der Heiligen würden, j
falls sie nicht der fünf Zweige der Wissenschaft sich
befleißigten, niemals den Zustand eines allwissenden |
Wesens erreichen". Diese fünf sind Logik, Grammatik j
(nebst Literatur), Medizin, Kunst (Handwerk)4 und Me-
taphysik (S. 44), u. zw. unter Einschluß auch des Stu- |
diums heterodoxer Werke (S. 59). „Wenn du bemerkst,
daß unter deinen Hörern viele von unmoralischem Wandel
sind, predige ihnen nicht die Enthaltsamkeit, sondern
singe das Lob der Mildtätigkeit" (S. 73). Der Predigt
soll zur Bannung des Bösen ein regelrechter Zauberspruch
vorangehen (dessen aus achtzehn Vokativen bestehendes
Sanskrit-Original Bu-ston mitteilt). Der Prediger
soll dann seine Liebe auf den ganzen Kreis seiner
Hörer ausströmen lassen und während seiner Predigt |
sich selbst als einen Arzt, die Lehre als ein Heilmittel j
und seine Hörer als Patienten sich vorstellen (S. 75).
Warum heißt diese Welt die „Welt des Duldens" (sahä-
lokadhätu)? Weil in ihr Anhänger der Bodhisattva- I
Lehre in zahllosen Leben viele Hunderte und Tausende
von Buddhas verehrt und, obwohl von aller Welt be- |
schimpft, bedroht und geschlagen, alle Leiden geduldig j
ertragen haben (S. 101).

Seltsam berührt in diesem nüchternen Werke der i
Ernst, mit dem auch die phantastischsten Ansichten namhafter
Lehrer getreulich referiert werden, so z. B. die j
verschiedenen Antworten auf die Frage, wie lange Zeit j
man „Verdienst anhäufen" müsse, um zur Buddhaschaft |
zu gelangen. Einige sagen drei, andere sieben, andere j
zehn, andere dreiunddreißig Perioden von Aeonen (S. |
119), doch sei drei die am häufigsten genannte Zahl j
(S. 120). „Von der Zeit an und bis zum (Zeitalter des)
Buddha Rästrapäla verehrte (unser Meister) 75 000 Bud-
dhas und brachte so durch Anhäufung von Verdienst j
während unermeßlicher Aeonen die erste Periode zum
Abschluß" (S. 103). Hierbei wird denn auch die Frage [
aufgeworfen und mittels der Aussprüche verschiedener j
Autoritäten teils positiv teils negativ beantwortet, ob j
und wie diese „Unermeßlichen Perioden" berechnet wer- !
den können (S. 119 flg.). Das letzte Kapitel („The Acts
of the Buddha") behandelt die Ansichten über Buddhas
Herabstieg vom Tusita-Himmel und die mahäyänistische |

1) De-bzin-nid = skt. tathatä „So-Sein, An-sich-Sein".

2) The rejection of all defilement and even the saintly indivi-
duality (O.). Das scheint mir doch gar zu frei. Getreuer dem Original
wäre: „die Aufhebung (aller Gegensätze wie dem) des Lernenden
(Schülers) und des Nicht-Lernenden (Vollendeten, Arhat)".

3) Hierzu stimmt die neuerdings von C. Rhys Davids so energisch
vertretene Auffassung, daß die Lehre vom Nicht-Selbst (anätman, anattä) j
selbst so, wie sie in den Nikäyas erscheint, im wesentlichen schon I
späterer Buddhismus ist.

4) Offenbar, weil die Buddha-Legende den jungen Gautama in
Künsten und Spielen bewandert sein läßt.

Lehre von seiner „Erscheinung" auf Erden (in einer seiner
„Erscheinungsformen") und seiner lange vor dem
Herabstieg aus dem T.-Himmel in der Sphäre reinster
Materie (dem Akanistha-Himmel) erfolgten Erleuchtung.

Die erste Übersetzung eines so schwierigen Werkes
wie des vorliegenden kann nicht in jeder Einzelheit
vollkommen sein. In manchem Ausdruck ist das Original
schwer wiederzuerkennen (vgl. Anm. 2), so gleich zu
Anfang (S. 5) in „Creative Effort" mit seinem dem
Original5 fremden kosmogonischen Beigeschmack und
in „Nihilism" statt „Annihilation".6 Auch ein paar leicht
zu berichtigende Druckfehler sind vorhanden (wie Clear-
ning, S. 64; Culminationz, S. 117; Prajfiäpti statt Praj-
napti, S. 49). Aber der Gesamteindruck der Arbeit ist
ein vorzüglicher und die Vollständigkeit des Zitatennachweises
für dieses von Zitaten wimmelnde Werk geradezu
staunenswert.
Kiel._ F. O. Schräder.

5) Thugs - bskyed „Willens - Erzeugung", d.h. die Erzeugung des
Willens zur Erleuchtung (bodhicitta-utpäda).

6) Denn chad = skt. uccheda bedeutet das „Abreißen" des Lebensfadens
im Tode im Gegensatz zum Weiterleben durch Wiederverkörperung.

Kühl, Dr. phil. Curt: Die drei Männer im Feuer. (Daniel
Kapitel 3 u. seine Zusätze). Ein Beitr. z. israelit.-jüdischen Literaturgeschichte
. Gießen: A. Töpelmann 1930. (VII, 17' S.) gr. 8°. =
Beihefte z. Zeitschrift f. d. alttestamentl. Wissensch., 55. RM 10-.
Kühl beweist (S. 80), daß Dn. 3 eine einzelne
Legende war, die ihre Verbindung mit Erzählungen über
Daniel der Gleichartigkeit des Schauplatzes verdankte;
daß sie gleich der Krösus-Sage Herodots von einem,
vielleicht persischen, Archetyp (S. 82 f.) stammt, dessen
Grundgedanke ein Feuer-Ordal gewesen sein könne;
daß sie jüdischerseits als Beispiel für Jes. 43, 2 (Grund-
Idee) rezipiert worden ist. Bezüglich des Entstehungsortes
entscheidet er sich für Babylonien. Für die Entstehungszeit
hält er die spätere persische. Er nimmt an, daß sich
schon damals dortselbst Gräzismen eingebürgert hätten;
bezüglich der literarischen Form scheint er dahin zu
neigen, daß sie in und mit der Schaffung des jetzigen
Legendenkranzes geschaffen sei (S. 80). Das Gebet des
Azarja und den Hymnus der „drei Männer im Feuerofen
" kommentiert er, wie auch die Legende selbst, und
übersetzt jene beiden aus dem Griechischen ins Hebräische
. Er meint (S. 163), Azarja sei später als der
Drei-Männer-Gesang hinzugekommen, und sucht durch
diese Annahme das Dasein der vorhandenen Ein- und
Überleitung, wie auch einer kleinen Rückverweisung in
V. 24 gri, bis zu einem gewissen Grade aufzuhellen.
Dadurch, daß er den Wortlaut abändert, übersieht er,
daß es zu Azarja zwei Einleitungen neben einander gibt.
Nicht erwogen ist, ob beide Texte je unabhängig zur
Erweiterung herangezogen worden seien und unsere
Überlieferung einen Ausgleich zweier erweiterter Buchausgaben
enthält. Eine wichtigere Frage wäre die nach
dem Beweggrunde der Beifügung des Azarja — nämlich
Auszeichnung des Helden durch ein Mustergebet
als Beweis seiner Vorbildlichkeit — und des Dreimännergesangs
; da dieser überwiegend von Wetterschlag, Feuer
und Wasser handelt, ist er eine Litanei zum Hausgebrauche
in Brandgefahr. Liegen für erstere Motivierung
noch Ansätze Kuhls vor, so fehlt doch die Beachtung
des m. E. entscheidenden Punktes, nämlich der Einbürgerung
des Buchs in den regelmäßigen Gemeindegottesdienst
. Vor allem hätte es sich um den Unterschied
einer jüdischen Legende von nichtjüdischen gehandelt
. Der Mangel des Legendenerzählers an Anschaulichkeit
, Verumständung, folgerichtigem Ausbau der
Handlung will nicht einfach als Talentlosigkeit oder
Ungunst der Zeit beurteilt werden, über die eine nur
literaturgeschichtliche Betrachtung nicht hinausfindet.
Die Legende verdankte ihre Monotonie und ihre trotzdem
daneben auftretende Unlogik ihrem lehrhaften
Zweck, den Kühl ja erkannt hat. Was ihr zu einer, auch
israelitischen, Volkserzählung fehlt, kommt daher, daß
sie sich nicht an ein Volk wendet; nur ein Gast-,,Volk"