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Ausgabe:

1931 Nr. 2

Spalte:

34-35

Titel/Untertitel:

Flugschriften zur Ritterschaftsbewegung des Jahres 1523 1931

Rezensent:

Stolze, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 2.

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und die Partei der Gebildeten irgendwie miteinander
verbunden im Hintergrund denken, daß aber letztlich
weder Ugolino noch die Minister diese Veränderungen
mit Bewußtsein schufen" (S. 112). „Ugolinos Anteil
oder der der Fortschrittspartei hat nicht darin bestanden,
daß sie, als Franz die Forderungen des konkreten Lebens
erkannte und mit ihnen nicht fertig werden konnte, j
mit der Unterscheidung von proprictas und usus fructus
hilfreich eingriffen. Sie ließen die Eigentumsfiktion als |
Rettungsmittel eintreten, als im Grund nichts mehr zu I
retten war, als das glühende Verlangen zur Hingabe abgekühlt
war und man sich verständig überlegte, auf i
welche Weise man sich als Organisation in der Welt
behaupten könne, ohne doch dem Buchstaben nach von
den Ursprüngen der Bewegung sich zu entfernen. Es 1
war nun Buchstabendienst und Gesetzlichkeit, der Geist
war entwichen. Ugolino allerdings darf man eine Schuld j
daran nicht beimessen" (S. 136). „So hat es sich im i
Lauf unserer Darstellung ergeben, daß das Wesen der |
Umgestaltung des ersten Ordens in einem Verebben der i
Bewegung selbst besteht und ein Eingreifen einer einzel- j
nen, von der Kurie bestimmten Persönlichkeit, etwa !
Ugolinos, nur sekundäre Bedeutung hat. Unterschätzt
werden darf es trotzdem nicht. Es ist bedeutungsvoll j
für die römische Kirche geworden, daß die breite Bewegung
, die von Franziskus ausgegangen war, und die, I
je mehr der ursprüngliche Geist entwich, desto gefährlicher
werden konnte, in einen streng geordneten
Mönchsorden geleitet wurde. In welchen konkreten |
Handlungen allerdings bei dieser Umgestaltung ein Anteil
Ugolinos zu sehen ist, ist nur andeutungsweise zu
bestimmen" (S. 144). Auch hier möchte ich auf Einzelheiten
nicht eingehen und kann mich im allgemeinen
mit den von Z. vertretenen Ansichten einverstanden erklären
, glaube aber doch, daß man Hugolin's Eingreifen j
bestimmter fassen kann, und möchte das im folgenden
andeuten. Ich sehe in der Bulle Quo elongati vom 28. j
Sept. 1230, die ich in meiner Studie über Antonius von
Padua Ztschr. f. K. Gesch. XIII S. 8 ff. ausführlich besprochen
habe, und im Testament Franzens den Schlüssel
zum Verständnis des Verhältnisses von Gregor-Hugo-
lin (Kardinal und Papst sind doch derselbe Mensch) j
zu Franz und der von ihm ausgehenden Bewegung. '
Im Testament hat Franz seinem sorgenvollen Herzen j
Luft gemacht und versucht mit der vollen Autorität
seiner Person dem rollenden Rad der verhängnisvollen
Entwicklung in die Speichen zu greifen. Wenn da nun
der von der Verehrung seines ganzen Volkes getragene |
und bei Lebzeiten schon als Heiliger angesehene Mann
es nötig zu haben glaubte gleich zu Anfang des Schriftstückes
so eindringlich und nachdrücklich seine Er- j
gebenheit gegen Kirche und Klerus zu betonen und
dasselbe von seinen Jüngern zu verlangen, so ist meines j
Erachtens deutlich, daß er damals fürchtete, daß von j
kirchlicher Seite er und jedenfalls seine Anhänger einem
Verdacht ausgesetzt sein könnten und daß daher von
Seiten der Kirche der Versuch gemacht werden könnte,
seine Stiftung umzubiegen und umzuleiten, was er verhindern
möchte. Und nun scheut sich Gregor IX. in
der genannten Bulle nicht, mit Berufung auf seine lang-
jährige Freundschaft, das feierliche Testament des kaum
erat von ihm Heiliggesprochenen bei Seite zu schieben 1
und in den verschiedensten Punkten den wohlbekannten !
Absichten des Ordensstifters entgegenzutreten in einer |
Weise, die man kaum anders als rücksichtslos bezeich- I
nen kann. Ich meine, ähnlich hat Hugoline auch von
Clara verlangt, die formula vitae, die Franz ihr gegeben |
hatte bei Seite zu schieben (formula praedicta post- 1
posita) und Ri anzunehmen. Wo er das Interesse der !
Kirche im Spiel glaubte, da kannte Hugolin keine Rücksicht
. Freilich wäre das nicht so leicht möglich gewesen
, wenn nicht das von Z. mit Recht hervorgehobene
Eindringen einer Schicht von Strebern und Gebildeten '
ihm dabei entgegengekommen wäre, und dabei war, |
wie ich in meinem Buch über Elias v. Cortona (Coli.

d'etudes sur l'hist. religieuse T. III) im Jahr 1901 gezeigt
zu haben glaube, eben dieser Elias die treibende
Kraft innerhalb des Ordens. Ich gebe wohl zu, daß ich
dort allzuzuversichtlich bestimmte Linien gezogen habe,
aber ich glaube doch, daß man über die verschwommenen
Linien, die die Verfasserin gezeichnet hat, hinausgehen
darf. Allgemeine Bewegungen steigen auf und ab nicht
ohne führende Persönlichkeiten und die Führer sind
nicht nur „Exponenten der Masse".
Stuttgart. tU Lempp.

Schottenloher, Dr. Karl: Flugschriften zur Ritterschaftsbewegung
des Jahres 1523. Münster i. W.: Aschendorff 1929.
(XII, 131 S. m. 6 Abb.) gr. 8°. = Reformationsgeschichtliche Studien
u. Texte, H. 53. RM 7.25.

Flugschriften zur Ritterschaftsbewegung des Jahres
1523 kennen wir schon aus den Sammlungen von
Schade und Clemen und aus Liliencrons Volksliedern.
Indessen haben Flugschriften für die Betrachtung der
Dinge im Großen und Ganzen ja nur Wert, wenn sie
miteinander verglichen werden können, wenn also alle
Stimmen über das betreffende Ereignis abgehört werden
können und nicht nur eine einzelne, deren Heranziehung
auf Zufall oder Willkür beruht, und die naturgemäß
nur eine Seite der Sache beleuchtet. Der Münchener
Bibliotheksdirektor, dem wir die vorliegende Sammlung
verdanken, hat sich deshalb zu seinen vielen Verdiensten
um die Erforschung der Reformationszeit ein weiteres
damit erworben, daß er hier zusammentrug, was ihm bei
seiner ausgebreiteten Kenntnis dieser Art Literatur an
solchen bekannt geworden war. Wenn es 14 verschiedene
Flugschriften zu der Ritterschaftsbewegung nach der
von ihm aufgestellten Bibliographie überhaupt gab, so
bezeichnet es den Wert dieser Sammlung, daß er von
deren 9 erstmalig den Text veröffentlichen konnte;
2 waren der Forschung bisher im wesentlichen unbekannt
geblieben.

Über die Textausgabe ist wenig zu sagen. Auch
hier läßt sich wieder die liebevolle Sorgfalt des geschulten
Forschers feststellen, die auch andere Arbeiten des
Verfassers zeigten. Auffällig ist nur, daß ihm die nahe
Verwandtschaft von Nr. 5 und 6 seiner Edition entging.
Wer in den beiden Flugschriften nicht nur ganz ähnliche
Gedanken bemerkt, sondern darüber hinaus auch noch
so auffällige Wendungen wie S. 76 Z. 23 (so gybt doch
etwan got ein stundt etc.) und (in der Nr. 6) S. 79 Z. 7
(Dann sich zu zeyten gybt ein stundt etc.) oder denselben
Ausdruck zem für ziemte findet (S. 73 Z. 28 und
S. 84 Z. 17), der wird doch wohl hinter ihnen denselben
Verfasser vermuten.

Dagegen kann die Wissenschaft nur mit starkem
Befremden Kenntnis nehmen von den Erläuterungen,
die Schottenloher seiner Ausgabe voranschickte. Sch.
bemerkte zwar in dem Vorwort, daß die Erläuterungen,
„um der Deutung des Lesers nicht vorzugreifen, auf die
notwendigen Herausgeberpflichten beschränkt" seien;
bei der Lektüre jedoch verstärkt sich immer mehr der
Eindruck, daß ihn Temperament und sehr bestimmte
Anschauungen von dieser Linie abdrängten; statt das
Material für sich sprechen zu lassen, kam schließlich
der Versuch heraus, es zurechtzustutzen für die Behauptung
, daß in der Ritterschaftsbewegung „von den Zeitgenossen
doch nichts anderes erblickt wurde als der
Kampf um Recht und Macht, ein Kampf um recht
weltliche Dinge, bei denen der religiöse und kirchliche
Beweggrund so gut wie keine Rolle spielte".

Aus Flugschriften läßt sich wie bereits angedeutet
jede Anschauung rechtfertigen. Wer etwa durchaus beweisen
will, daß die fränkische Ritterschaft weniger
selbstisch und stärker kirchlich gerichtet war als eine
andere, daß sie von dem Pfaffenkrieg, den andere predigten
, wegen (!) ihrer engen Verbindung mit den
fränkischen Bistümern nichts wissen wollte, der kann
bei der unter Nr. 7 abgedruckten „Entschuldigung des
Adels zu Franken" den Augenblick übersehen, in dem