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Ausgabe:

1931 Nr. 22

Spalte:

514-515

Titel/Untertitel:

Einleitung. Kommentar zum ersten und zum zweiten Teil der Ethik 1931

Rezensent:

Knittermeyer, Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 22.

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ten, quellenden, dingnahen und autonomen Lebendigkeit
entwachsen? „
B. löst diese Schwierigkeit durch das Mittel der alle

Seelengeschichte überhaupt sprechen kann, wie sich das
6. Buch dem Vorangehenden und — dem Folgenden
einordnet, wie sich der Simplizissimus des Springins-

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gorischen Interpretation. In der Methode und vielfach feld etwa und der der Kontinuationen zu dem des

auch in den Ergebnissen fußt er dabei auf den Orim- I Hauptromans verhält, wie weit es sich bei dem allen

melshausenuntersuchungen E. Ermatingers. Voraus- | vielleicht um die innerlich niemals abgeschlossenen Bil-

setzung dieser Betrachtungsweise ist, daß Dichtung nur ! derreihen einer von unerschöpflicher poetisch-plastischer

versinnlichende Einkleidung eines weltanschaulichen, ide- Phantasie getriebenen Gestaltungskraft handelt, wo der

eilen Gehaltes ist Der Interpretator tut dann gleichsam Dichter selber sitzt und ob er überhaupt „weltanschau-

den Schritt den der Dichter gemacht hat, zurück: er lieh" greifbar ist, — alle diese Fragen bleiben auch wei-

„deutet", indem er die sinnlich vergegenständlichende
Gestalt, das „Äußere", subtrahiert, um so zur „Idee",
zum „Wesen" vorzudringen.

Ist diese Auffassung der Dichtung schon grundsatzlich
überaus anfechtbar, so erscheint ihre Anwendung
auf die Schriften Grimmelshausens vollends undurch-

terhin offen. Der Verf. selber hat alle Auseinandersetzungen
mit den seiner Deutung entgegengesetzten
Anschauungen — etwa E. Cohns — vermieden.

Die Arbeit zeigt, wieviel nüchtern-exakter Einzelanalyse
und voraussetzungsloser Versenkung in Stoff
und Form des „Simplizissimus" es noch bedarf, ehe der

führbar. Zwei Beispiele für dieses das dichterische Ge- i Versuch gewagt werden kann, „das Gesamtbild der

spinst allegorisch in Bedeutung auflösende Verfahren j empirischen Wirklichkeit und der Ideenwelt, das in den

müssen hier genügen: Zu der Szene des von Wölfen , bedeutenderen Schriften des Dichtes Gestalt gewonnen

nächtlich auf dem First des ausgeplünderten Hauses be- hat" (Vorwort), darzustellen.

lagerten Springinsfeld heißt es, „Wo die grausame Sunde j Güttingen. Gerhard Fr icke
der Ichgier alle Gefühle der Menschlichkeit auszubren-

nen droht, kann Gottes eisiger Grimm" — (es ist Win
'er!) — „über den ganzen Menschen kommen. So wie
der Wolf Springinsfeld nachschleicht, und ihn auf den
Giebel des offenen und verlassenen Hauses treibt, wo er

ihn in dunkler Nacht unablässig mit Angst und Qual be- I m,*..:

lastigt so kann die Konkupiszenz den Menschen auf ; fihpr ™t. ihrem Lehrsatz, daß der freie Mensch

eine einsame und finstere Höhe emporheben" (der First dazu 1„ TZ^i aIs"ber de" Tod nachdenkt (vgl

des Hauses!) -, „die in Wahrheit eine satanische Tiefe 1 tef"Jn" ^'^eichen Aufsatz L. Schestows über den

------0„0 „„* gefesselten Parmenides im Logos, 1931 S. 17 ff ) schein"

Robinson, Lewis: Kommentar zu Spinozas Ethik, l. Bd.:

Einleitung. Kommentar zum ersten u. zweiten Teil der Ethik Leipzig •
F. Meiner 1928. (379 S.) 8°. RM 8 - ; geb. 10—!

Die Philosophie Spinozas mit ihrem Deus sive

ist" (S. 68). Oder der seiner Insel entsprungene und
mit seiner Gaukeltasche das Land durchstreichende
Simplizissimus — eine fatale Widerlegung des „entwicklungsmäßig
" erforderlichen Schlußbildes des standhaft

in der heutigen Lage, die dem Pantheismus einigermaßen
entfremdet ist und die gerade durch den Tod das Dasein
vor seine Eigentlichkeit gebracht findet, weniger als je
die Geister zu beschäftigen. Gerade dann aber ist eine

frommen Eremiten im Ausgang des „Simplizissimus" — I Darstellung zu begrüßen, die aus einer erstaunlichen
bietet den Leuten nach einer Bußpredigt ein Elixier zur Kenntnis der Quellen heraus diese Philosophie in Form
Gesunderhaltung ihrer — Weine an. B. bemerkt dazu: eines Kommentars zur „Ethik" nachzeichnet und dafür
„Was meint der Dichter mit dieser Weinarznei? Ein , sorgt, daß nicht ein äußerliches Bild dieses Denkers sich
symbolischer Sinn muß dahinter sein; sonst wäre es i verfestigt und die Auseinandersetzung mit ihm allzuunverständlich
, daß Simplizissimus, nachdem er von der leicht macht. Ich hebe nur zwei Punkte heraus die das
Verderbnis der Welt geredet, ein Mittel, anbieten würde, verdeutlichen können. Spinoza war nicht in erster Linie
wodurch sich die Gerichteten einem neuen Genießerleben i Naturphilosoph und Mystiker, sondern Ethiker Er
ergeben sollten" (S. 102). — Es erscheint fraglich, ob | W0nte nicht die Gottheit naturalisieren, sondern die
man mit solchen Schlüssen, mit denen der Verf. ubn- ] Natur aus Gott verstehen (173). Das Zweite hängt da-
gens nur eine kleine Auswahl der Gesamtdarstellung | mit zusammen: die spinozistische Substanz ist nicht das

erfaßt ein so vielschichtiges, komplexes Gebilde wie
das Schrifttum Grimmelshausens zu meistern vermag.
Ref bekennt, diesem Glauben an den allegorischen Deu
tungsschlüssel nur einen strikten Unglauben entgegen

unerkennbare Substrat der Attribute, sondern sie ist der
Inbegriff der Attribute. Sein Substanzbegriff ist wie der
Descartes' ein aktualistischer, was schon in der Polemik
der Engländer gegen ihn in Vergessenheit geraten ist

setzen zu können. I Die Substanz bezeugt sich in den" Attributen^ ja sie ist

Zweifellos war die Allegorie ein in ihrer Bedeutung - geradezu mit ihnen identisch. Daß Gott Substanz sei
nicht leicht zu überschätzendes Stilmittel der barocken | heißt also unmittelbar, daß „alles in Gott lebt und
Allegorie. Ref. hofft, demnächst an anderer Stelle aus- webt".

führTich darüber handeln zu können. Grimmelshausen Daß der Verfasser seine Absicht, Spinoza abseits

hat, wie alles, dessen er habhaft werden konnte, so auch aner vorgefaßten Deutungen darzustellen als den der
das allegorische Element seinen Erzählungen emver- )jer in Wirklichkeit war", in Form eines Kommentars
woben, z. B. in der Traumallegone I, 15—18. Aber diese : wahr macht, ist aus doppeltem Grunde zu loben Denn
weithin typische und traditionell gebundene barocke Alle- einmal verlangt die „Ethik" auch für den vorgebildeten
gorie ist eine andere als die von B. angenommene. Nur Leser zufolge ihrer eigentümlichen Formgebung nach
verhältnismäßig selten ragt sie in Grimmelshausens ejner Hülfe, die ihm jeweils von neuem die Tragweite
Dichtung hinein, wie diese denn ihre Eigenart in solchen der in Frage stehenden Begriffe ins Gedächtnis ruft und
Zügen offenbart, die sie von der herkömmlich als „Ba- die eigentümliche Richtung des Fortschreitens anzeigt
rock" zusammengefaßten Literaturgruppe trennen. Ge- j Sodann aber gelingt es dem Kommentar leichter als
rade in dem hartnäckigen Widerstand, den Grimmeis- ; einer zusammenfassenden Darstellung, die unverkürzte
hausens Gestalten und Begebenheiten, ahumanistisch und t Problematik aufrechtzuerhalten, zumal die tiefe Verbun
erdnah wie sie sind, jedem allegorischen Auflosungsver- denheit des Verfassers mit seinem Gegenstand niemals
such entgegensetzen, in ihrem unerschöpflichen eigenen die Rückbeziehung des Besonderen auf das Ursnrüng
Leben, ihrer ungestellten und widerspruchsbeladenen liehe und Systembildende außer acht zu lassen erlaubt
Wirklichkeit, liegt ihre dichterische Große. Im Physi- : Die Einleitung bietet einen philologisch-kritischen
sehen, Einzelnen und Konkreten, nicht in einem Meta- überblick über die Schriften Spinozas und eine geson
physischen und Allgemeinen liegt die einsame g e s t a 1- derte Darstellung seines Verhältnisses zu Descartes Im
t e r i s c h e Leistung des Kommandanturschreibers, Guts- Texte selbst wird nicht nur ständig auf das gesamte
Verwalters, Gastwirts und Schultheißen Grimmelshausen. Schrifttum Spinozas zurückgegriffen, sondern auch durch
Die überaus schwierige Frage, ob und wieweit man eine Fülle von Belegen aus der katholischen und prote-
von einem „Entwicklungsroman", einer individuellen i stantischen Scholastik wie aus der cartesianischen und