Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1931 Nr. 20

Spalte:

460-461

Autor/Hrsg.:

Bruno, Arvid

Titel/Untertitel:

Der Rhythmus der alttestamentlichen Dichtung 1931

Rezensent:

Caspari, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

459

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 20.

460

mung wohl den Ausgang einer Untersuchung auf religi- I
ösem Gebiet bilden, aber niemals in diesen Dingen das
letzte Wort behalten kann.

Das tritt z. B. besonders deutlich hervor bei der
Untersuchung über die indo-iranischen Beziehungen und
ihren Niederschlag in der Lehre Zarathustras. Gewiß
sind hier, auch in den religiösen Begriffen und Namen,
Übereinstimmungen, aber L. führt die Vergleichung nicht
von der Einzeltatsache her durch, sondern er geht stets
von der Ganzheit des Systems aus. So weist er etwa
überzeugend nach, daß die Adityas mit den Amuhro 1
Spontos in ihrer Gesamtheit keinerlei verwandtschaftliche
Beziehungen zu einander haben. Ähnlich liegen
die Dinge im Umkreis des Feuerkultes, bei dem L. veranschaulicht
, wie hier das Verhältnis von Übernahme und I
Neuschöpfung bei Zarathustra besonders deutlich wird, i

Die Frage der Entlehnungen spielt im Zarathustris-
tnus bekanntlich eine große Rolle; sie finden daher im
vorliegenden Buch eine besondere eingehende Behand- j
lung. Mit vollem Recht erweist L. die Gottesgestalt des :
Ahura Mazda als Zarathustras eigene Schöpfung, es ist
keine Anknüpfung gegeben an eine Gottheit aus der
Vorgeschichte der einheimischen Religion, denn Ahura
Mazda ist etwas schlechthin anderes als alle anderen i
Gottheiten, die wir sonst aus seiner Umgebung kennen;
auch ist keine Quelle bekannt, aus der Zarathustra geschöpft
haben könnte. In Untersuchungen über die Her-
kunft der Amuhro Spontos war man vielfach der An- ;
sieht, daß sie ursprünglich Naturgottheiten oder Elementgötter
seien, L. lehnt diesen Zusammenhang aus dem
Geist des Zarathustrismus ab, indem er sagt, daß die
Gäthäs von der Lehre des geistig-körperlichen Verhältnisses
aufs stärkste durchwoben sind. Für ihn ist die
Doppelheit Geist und Körper neben dem Dualismus
von Gut und Böse ein Grundpfeiler der Zarathustrischen j
Gedankenwelt. Der Parallelismus zwischen den Bestand- |
teilen des geistigen und körperlichen Daseins wird also
in diesem Zusammenhang als sekundärer Zusatz zu dem
älteren Bestand von (vorzarathustrischen) Anschauungen |
erkannt. Das Entscheidende ist aber hier, worauf bislang
nirgends mit Nachdruck gewiesen ist, daß man
früher die Frage nach der Elementenbezeichnung losgelöst
hat von dem Verhältnis Ahura Mazdas zum Menschen
. Denn immer wieder tritt in der Weltanschauung
Zarathustras der Zug hervor, daß der Gedanke vom
Geistigen ausgehend allmählich zur Wirklichkeit herabsteigt
. Das besonnene Urteil L.s in diesem Problemkomplex
ließe sich noch an manchem Fall aufzeigen; es
sei nur noch auf die Diskussion des Problems hingewiesen
, ob in den Gäthäs Spuren des Zervanismus zu
finden sind oder nicht (Yasna 30, 3). L. beweist schla- ;
gend, daß dies nicht der Fall sein kann, indem er darlegt
, daß der Gedanke des Zervanismus mit der Grundidee
des Zarathustrismus der ethischen, im Widerspruch
steht; es ist also auch bedenklich, hier ein Anknüpfen
an vorzarathustrisches Gut anzunehmen.

Der Schwerpunkt der Lommelschen Ausführungen j
ruht naturgemäß auf der Darstellung der eigentlichen
Lehre Zarathustras; und hierin liegt auch die entscheidende
Leistung seines Buches. Wohl an keiner andern
Stelle sind diese schwierigen Gedankengänge so scharf
erfaßt und nachgeschaffen, wie bei L. Er sieht die
Grundidee des Zarathustrismus gewissermaßen eingebettet
in einen doppelten Dualismus, in den Gegensatz
von Gut und Böse und in den von geistig und körper- j
lieh. Die Dinge liegen nun so, daß bei aller ideellen j
Vollkommenheit das geistige Dasein nicht das Höchste
ist, und das körperliche Dasein nicht als an sich gering- i
wertig gilt. Das geistige Dasein ist nur ein Musterbild, |
das der Verwirklichung im Körperlichen bedarf, die
Wirksamkeit des Geistigen vollzieht sich nur im Leiblichen
. Es ist nicht so, daß das Irdische das Böse ist
und das Geistige das Gute. In scharfer Prägnanz faßt
L. diese Beziehungen: Gutes und böses Dasein ver- i
halten sich gegensätzlich, geistiges und körperliches analog
zu einander. Bis in die feinsten Verästelungen des
Gedankenaufbaues läßt sich diese Grundkonzeption verfolgen
, auf ihr beruht die grenzenlose Frömmigkeit, die
schier unerschöpflich erscheint und das ganze Leben
durchzieht von den höchsten und letzten Dingen bis in
die irdische Existenz, die eben nach zarathustrischem
Glauben nicht als Gegensätze in unserm Sinne erscheinen
, sondern immer auf einander bezogen sind. Dabei
ist von Zarathustra in genialer Weise auf die kulturellen
und sozialen Verhältnisse stets Bezug genommen: Viehzucht
und Ackerbau sind ihm Dienst am „Wahrsein",
dem obersten Bekenntnisbegriff. Der Landmann ist für
Zarathustra der fromme Mensch schlechthin. Den irdischen
Dingen haftet somit eine symbolische Bedeutung
an, die auch Goethe klar erkannt hat; mit vollem
Recht kann sich L. in seiner Auffassung auf ihn berufen,
um unsere Anschauung von der Religion Zarathustras zu
verlebendigen.

Das Verdienst des Lommelschen Buches ist nicht
damit erschöpft, daß man in ihm die zur Zeit geschlossenste
und tiefste Darstellung des Zarathustrismus zu
sehen hat, sondern die Bedeutung liegt zum großen
Teil in einem Umstand, der ja gewiß in der allgemeinen
Bestimmung miteingeschlossen ist, auf den aber im besonderen
als eine selbständige Leistung hier wenigstens
mit einigen Worten hinzuweisen ist. Es handelt sich
um das äußerst schwierige Problem der Wiedergabe religiöser
Termini, die auf diesem subtilen Gebiet zur
Sprachschöpfung wird, „sponto" übersetzt man gemeinhin
auf Grund etymologischer Erwägung mit „heilig";
L. setzt dafür „klug". Eine sprachliche Überlegung kann
diese Deutung nicht stützen; aber es erscheint so gut wie
unmöglich sich der L.sehen Bestimmung zu entziehen,
wenn man sich in diese eigentümliche rationale Struktur
religiösen Denkens, von L. glänzend dargestellt, einlebt
. Unsere Sprache hat kein anderes Wort, um diesen
Vorstellungsinhalt zu erfassen. Das Wesen noch schärfer
treffend ist die Übersetzung von „fravasi" mit „Heilküre
", indem schon in diesem Wort der vielleicht tiefste
Gedanke des Zarathustrismus zum Ausdruck kommt,
die Idee der Wahl. L. faßt hier zudem einen höchst
fruchtbaren Gedanken, indem er in der Vorstellung der
fravasi eine Verwandtschaft sieht einerseits zur daena
(L. = geistiges Urwesen!) und zum sosyant (L. = künftiger
Helfer) andrerseits. Der fravasi-Glaube ist ihm
die Erweiterung der daena-Vorstellung, wie er auch im
sosyant eine rein zarathustrische Idee sieht (S, 232).

Was hier über L.s Buch gesagt wurde, darf bestenfalls
den Anspruch erheben, wenige Andeutungen gegeben
zu haben über den reichen Gehalt dieses nach Ansicht
des Referenten für die weitere Erforschung des
Zarathustrismus grundlegenden Werkes. Es sei aber
noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen, daß es
nicht nur der Iranist ist, dem hier Neuland erschlossen
wird, sondern daß vor allem denjenigen dies Buch in
die Hand zu wünschen ist, die von anderen Problemkreisen
aus an die Religion Zarathustras herantreten.
Göttingen. Götz von Seile.

Bruno, Rektor Lic. Arvid: Der Rhythmus der alttestamentlichen
Dichtung. Eine Untersuchung über d. Psalmen I — LXXII. Leipzig:
A. Deichert 1930. (IV, 349 S.) gr. 8°. RM 17-.

Das Buch ist ein metrischer Kommentar wie seinerzeit
Rothsteins „Grundzüge des Rhythmus" 1919, nur
mit dem anerkennenswerten Unterschiede, daß unverdrossen
beinahe die dreifache Reihe überlieferter Dichtungen
ohne Unterbrechung bearbeitet wird; es macht
sich die Kommentare Gunkels und Buhls zu nutze.
Den Anfang bildet eine thetische Darlegung hauptsächlich
der Abweichungen von Sievers: Ein Wort darf
nicht zwei Tonsilben haben; nicht betont werden Präpositionen
, Negationen, jes, Fragewörter, einsilbige Adverbien
(mit Ausnahmen) und Konjunktionen, st. estr.
Die Ganz-Zeile besteht aus 4—6 Takten. Zwei oder drei
Zeilen bilden die Strophe; doch besteht manchmal ein