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Ausgabe:

1931 Nr. 19

Spalte:

452-453

Autor/Hrsg.:

Winkler, Robert

Titel/Untertitel:

Das Wesen der Kirche mit besonderer Berücksichtigung ihrer Sichtbarkeit 1931

Rezensent:

Schian, Martin

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451 Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 19. 452

herniedersteigt, nun der Erde, und mit. Ach, es ist fast, als liefe das „So verhält das Gesetz sich zum Evangelium" USW.

doch nur himmlischer noch. Am auf einen Scherz hinaus, daß sie j blickt bei Kierkegaard zurück: nämlich SO wie das auf

Fuße des Berges ist es; ja, was auch mit dabei sind ... ein Spiel; j dem Qjpfel des Berges gewitterschwer Bleibende ZU dem

mehr ist, der Vogel und die Lilie und es wird auch ein Scherz so- j am puß des Berges 2U uns Redenden; und daran

smd nutgekommen - beinah lautet weit die Luhe und der VogeI rmt h,. ßt . ß jt fdchtem relativischen Anschluß eine

es, als liefe es scherzend darauf dabei sind. Aber desto heiliger . , . . v " r. " - . _

hinaus, daß sie mit gewesen sind wird zugleich der Ernst - weil Interpretation des Gleichnisses mit Bezug auf das

... im Spiele; denn wird auch der der Vogel und die Lilie mit dabei Evangelium, von dem weiter die Rede sein soll. Bei

Ernst um so heiliger, gerade weil sind. Denn sie sind gar nicht bloß Schrempf-Kütemeyer ist, allein durch willkürliche Kon-

der Vogel und die Lilie mit sind, auch so, für nichts, da; sie sind ! struktionsverschiebung und Verkürzung, die dunkle AUS'

er wird es durch den Scherz, und mitbeteiligt bei der Unterweisung,
ein Scherz ist es doch, daß die Allerdings, der eigentliche Lehrer
Lilie und der Vogel mit sind. Sie ist Er, der der Weg ist und die
sind mit, ja, was mehr ist, sie sind Wahrheit und das Leben; aber die
nicht bloß mit, sie sind auch mit, Lilie und der Vogel sind doch mit
indem sie unterrichten; denn wohl dabei als eine Art Hilfslehrer,
ist das Evangelium selbst der eigentliche
Lehrer, Er „der Lehrer" —
und der Weg und die Wahrheit
und das Leben beim Unterricht;
aber der Vogel und die Lilie sind
doch mit als eine Art Hilfslehrer.

Ich darf den Tatbestand analysieren, indem ich im
Voraus zweierlei erkläre: a) soweit die Abweichungen
nicht aus dem Moment des Zufalls in der Wortwahl
sich erklären, das vom Übersetzen unabtrennlich bleibt
— so ob man um des Wortspiels willen das dänische
„mit" nicht nur beim Kommen sondern auch beim
Sein beibehält oder es beim Sein mit „dabei" umschreibt,

sage entstanden, daß der Satz „Das Himmlische steigt,
milde, zur Erde nieder" das Verhältnis von Gesetz und
Evangelium ausdrücke. Ich habe bei der Prüfung erst
Schrempf-Kütemeyer gelesen, um zu finden, daß ich
hier Kierkegaard nicht verstehen konnte, und wie überrascht
war ich dann, als ich das Dänische mit seiner
Klarheit aufschlug. Weiter unten will Kierkegaard den
echt romantischen Gedanken ausdrücken, daß gerade
das Scherzende und Spielende darin, die Lilie und den
Vogel so einzuführen, den Ernst desto heiliger mache,
daß also im Scherz paradox verhüllter Ernst der tiefste
Ernst ist. Dann hebt er in der Weiterführung des Gedankens
heraus, daß diese paradoxe Verbindung von
Ernst und Scherz darin ihr Geheimnis habe, daß das
Evangelium sich zwei so liebliche und unbedeutende
Hilfslehrer nehme. Bei Schrempf-Kütemeyer ist diese
Feinheit verschwunden. Es steht nur noch da, daß der
Ernst dadurch heiliger wird, daß wir eine Belehrung;

was weit besser deutsch ist, aber die Gedankenform i empfangen, was unklar ist, weil der Comparativ durch

leicht beschädigt —, liegt die Abweichung meiner Über- den Wegfall des lieblichen Paradoxes seine Begründung

Setzung von der Schrempf-Kütemeyers ganz allein da- verloren hat. Alles also, was Geist, Schweben in der

rin, daß ich wörtlich bin, wo sie sich Freiheiten erlaubt. Feinheit eines unendlich zart angedeuteten tiefen Ge-

b) Ich bin weit davon entfernt, einer sonst gewissen- | dankens ist, ist in der Probe totgeschlagen. Das

haften und schönen Übersetzung gelegentliche Fehler j führt zum andern hinüber 2. diese Übersetzung ist

aufzumutzen, die ich bei zwei scheinbar so verwandten
und dann doch in Wortsinn, Phraseologie und Syntax so
verschiedenartigen Sprachen wie Dänisch und Deutsch

weitgehend Attentat auf einen Dichter. Kierkegaard
schreibt nicht Alltagsdänisch. So auffallend
und seltsam wie für den heutigen Dänen ist seine

an sich sehr verzeihlich finde. Aber den Willen, alle an- [ Sprache gewiß um 1848 nicht gewesen; manches
dem Rücksichten der treuen Wiedergabe des Originals | heut Archaistische war damals noch im Brauch,
nach Form und Inhalt zu beugen, die Ehrfurcht vor dem j Immerhin ist sein Dänisch gehobnes Dänisch, und
Eigenrecht eines Schriftstellers, die verlange ich uner- ! dazu noch von einer in der ganzen dänischen Lite-
bittlich. Und eben daran lassen es Schrempf-Kütemeyer ratur ihresgleichen nicht habenden dichterischen Ei-
in der gegebnen Probe völlig fehlen. Ich weiß nicht, was j genart, in Stil und Stimmung und Satzbau so durchge-
Fahrlässigkeit und was Willkür ist, was Eilfertigkeit in j bildet, daß man über die Anwendung des Worts Prosa
der Wiedergabe so schnell wie möglich und nur ä peu I auf seine Reden sehr bedenklich sein wird. All das ist
pres zu wege gebracht hat, und was der törichte Wille, nun fast systematisch in der Übersetzung zerstört, auch
Kierkegaard zu verbessern und ihn das sagen zu lassen, | da, wo es sich ohne Mühe nachbilden ließ, ja auch da,
was der Übersetzer gesagt hätte. Jedenfalls heißt Kierke- wo man nur wörtlich zu sein brauchte, um im Deutschen
gaard so übersetzen entweder sich einer groben Flüch- j die gleiche Wirkung zu erzielen. Vernichtet ist das
tigkeit schuldig machen, oder aber einer Taktlosigkeit I feierliche „dem Gesetze zufolge",, welches auch im Däni-
und eines Mangels an Ehrfucht. Es begreift kein I sehen einen niederen Ausdruck neben sich hat. Vernich-
Mensch, warum zweimal, wenn Kierkegaard „der Vogel tet ist der dreimal gleiche Satzanfang: „Det ervedFoden
und die Lilie" sagt, der Übersetzer sagen muß „die j af Bjerget" usw. Man hat das Gefühl, daß hier ein der
Lilie und der Vogel", gerade umgekehrt; warum das j Poesie ermangelnder Mann alles dergleichen mit Ab-
„unversehens" am Anfang wegbleiben muß; warum am sieht zerstört hat, weil es ihm ärgerlich war.
Schluß gestrichen wird, daß das Evangelium der eigent- Man wird es verstehen, daß ich nach diesem Er-
liche Lehrer ist, und damit die für Kierkegaard so cha- . gebnis nicht Lust hatte, mit weiteren Proben meine Zeit
rakteristische Abwechslung von Evangelium und Chri- j zu verderben, sondern den Band beiseite gelegt habe,
stus verschwinden muß; warum die Tempora Kierke- | Es ist an der ganzen Angelegenheit etwas, was er-
gaards geändert werden, zum Beispiel das wunderschöne ; schwerend ist für das Ansehn deutscher Kultur im Aus-
die Gegenwärtigkeit der Bergrede an uns ausdrückende lande. Mehr als ein Däne hat es schon zu mir gesagt:
Präsens im zweiten Satze; warum es „Einleitung" statt „Daß Sie sich in Deutschland diese Kierkegaardüber-
„Eingang" heißen muß, wo doch die Dänen genau wie setzung gefallen lassen, ist uns unbegreiflich". Es ist
wir die beiden Worte haben und unterscheiden; warum j ein Schade auch für die deutsche Frömmigkeit. Welche
die Konstruktion ganzer Sätze und die Reihenfolge der j lebendige Kraft könnte von Kierkegaards Reden ausGedanken
umgestoßen werden muß, usw. Die Ver- j gehen, wenn sie recht übersetzt wären. Nun hindert die
kürzung wenigstens scheint bewußte Absicht zu sein, | schlechte Übersetzung unweigerlich das Herauskommen
und ist eine unfehlbare Dokumentierung dafür, daß die j einer guten.

Übersetzer die medidativ die Gedanken hin und her
wendende nur langsam durch Nuancen fortschreitende
Stileigentümlichkeit Kierkegaards und die religiöse Bedeutsamkeit
dieser Eigenheit für eine erbauliche und
christliche Rede nicht zu empfinden in der Lage sind.
Will man aber die schlimmsten Folgen dieser Weise zu
übersetzen herausheben, so muß man zweierlei sagen:
1. Sinnverdunklung (um nicht das Wort Sinn

Göttingen. _ E. Hirsch.

Winkler, Lic. Dr. Robert: Das Wesen der Kirche mit besonderer
Berücksichtigung ihrer Sichtbarkeit. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1931. (48 S.) gr. 8°. RM 2.20.

Die Aussprache über die Kirche kommt nicht zur
Ruhe. Das ist gut; denn Klarheit ist noch keineswegs
geschaffen. Die Systematiker beteiligen sich jetzt viel
mehr als früher. Winkler zeigt, woran das liegt: die
Verfälschung zu brauchen). Der dritte Satz der Probe ! neue Lage seit 1918, die ökumenische Bewegung und