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Ausgabe:

1931 Nr. 17

Spalte:

403-407

Autor/Hrsg.:

Marck, Siegfried

Titel/Untertitel:

Die Dialektik in der Philosophie der Gegenwart 1931

Rezensent:

Siegfried, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 17.

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er die Rechtsphilosophie davor warnt, in Spekulation
zu verfallen und den Anspruch zu erheben, selbst Weltanschauung
sein zu können, wird künftig der Ausgangspunkt
rechtsphilosophischer Grundlegung sein
müssen.

L. hätte hier, zumal er selbst auf Gerber hinweist, den Versuch
einer einheitlich theologisch-philosophischen Begründung der Staatsidee
bei Fr. Brunstäd heranziehen können. Vgl. ferner den eigenartigen
Versuch von Georg Lenz, Die Bedeutung des Protestantismus für den
Aufbau einer allgemeinen Staatslehre Tübingen 1924 (Sammlung ge-
meinverständl. Vorträge 112; Mohr) sowie von demselben: „Über die
Notwendigkeit eines Naturrechts auf protestantischer Grundlage" Z. syst.
Theol. II (1925), S. 205 ff., der in den Abschnitt „Religiös-ethisches
Naturrecht" S. 74 ff. eingefügt werden kann. Endlich sei für dies Grenz-,
aber auch Grundproblem von Recht und Religion noch verwiesen auf
den Vortrag von G. Radbruch, „Über Religionsphilosophie des Rechts"
in Radbruch-Tillich, „Religionsphilosophie der Kultur" Berlin2 1921
(Philos. Vorträge der Kantgesellschaft Nr. 24), der den Widerspruch
zwischen Recht und Religion als das letzte Wort der Religionsphilosophie
, zugleich jedoch das Recht als notwendige Voraussetzung der
Religion beschreibt. — Doch es konnte nicht mehr Larenz' Aufgabe
sein, in dieser Frage Vollständigkeit zu erstreben. —

Das Ergebnis des mit tiefer Kenntnis der zeitgenössischen
Philosophie gegebenen Durchblicks ist das
folgende: Die Rechtsphilosophie hat zunächst nur die
Methode der Rechtswissenschaft feststellen wollen und
stieß dabei auf die Frage nach der eigenen Methode.
Der Neukantianismus hat nicht vermocht, die entscheidende
Frage nach der Idee des Rechtes inhaltlich zu
beantworten. Erst der objektive Idealismus löst mittels
der dialektischen Methode diese Aufgabe. Im Begriffe i
des objektiven Geistes ist das Recht sowohl als Idee
wie als geschichtlich-kulturelle Wirklichkeit in dialektischer
Einheit erfaßt. Die Idee des Rechtes ist die
Gemeinschaft, die auf der Teilhabe des einzelnen an
der objektiven Vernunft beruht. Recht ist notwendige
Daseinsform der konkreten Gemeinschaft, die sich durch
den Rechtszwang als Mittel erhält. Recht und Sittlichkeit
verhalten sich so zu einander, daß das Recht die
objektive Sittlichkeit der Rechtsgemeinschaft ist. (Dieser
objektive Idealismus wird neben Binder von W. Schönfeld
vertreten.) Er allein vermag auch das Staatsproblem
zu lösen, an dem der Individualismus scheitert. Staat
ist die Willenseinheit der nationalen Gemeinschaft. Der
metaphysische Grundsatz dieser Staatslehre lautet: Staat
ist Geist. Wieder würde hier die Frage einer religiösen
Staatsanschauung einsetzen. — Gerade dies, daß Larenz
die rechts- und staatsphilosophische Problematik
mit strenger Folgerichtigkeit auf diese geschlossene und
großartige Lösung hinausführt, macht seine Schrift als
Einführung und Anstoß zur Auseinandersetzung bleibend
wertvoll.
Heidelberg. Heinz-Dietrich Wendland.

Marek, Prof. Dr. Siegfried: Die Dialektik in der Philosophie
der Gegenwart. Tübingen: J. C. B. Mohr. gr. 8°.

1. Halbbd. 1929. (VI, 166 S.) RM 8.40.

2. Halbbd. 1931. (VI, 174 S.) RM 8.60.

vollst. Lw. RM 20-.

Mit außerordentlicher Schärfe analysiert der Verf.
die Philosophie der Gegenwart unter dem Gesichtswinkel
des Problems der Dialektik. Ausgehend von
dem antidialektischen Kritizismus Rickerts und Lasks
wendet er sich der neuhegelischen Dialektik Kroners und
der existentiellen Dialektik zu, wie sie in sehr verschiedener
Form von der dialektischen Theologie, von Tillich
, der marxistischen Soziologie, von Grisebach und
Heidegger vertreten wird. Nach diesen Auseinandersetzungen
erschließt der zweite Halbband den Weg,
den der Verf. selber für den zukunftsreichsten hält,
den Weg einer kritischen Dialektik. Jonas Cohn, Hö-
nigswald, Bauch, Paul Hofmann, Th. Litt werden als
Vertreter dieses Weges gekennzeichnet. Daran schließen
sich systematische Ausführungen über den Begriff der
kritischen Dialektik. Den Abschluß bildet eine Auseinandersetzung
zwischen Kritizismus und Metaphysik:
Simmel, Natorp, Nioolai Hartmann, nochmals Heidegger,
schließlich Troeltsch und Peter Wust werden behandelt
. Am Leitfaden der dialektischen Probleme wird also
ein Durchblick durch die Gesamtlage der Gegenwartsphilosophie
gewonnen. Wie es in solchem Falle unumgänglich
ist, setzt der Verf. mit dieser „Einführung in
die Philosophie der Gegenwart" eine gewisse Vertrautheit
mit dem Stoff bereits voraus. Es ist schwer möglich
, die gedrängte Gedankenfülle, die der Verf. bietet,
nochmals in ein knappes Referat zusammenzupressen.
So beschränken wir uns darauf, die prinzipielle Einstellung
des Verf.s an charakteristischen Beispielen herauszukehren
.

Gegenüber Rickert will der Verf. zeigen, wie dem Prinzip der
Heterologie, mit dem R. die Dialektik überwinden will, dennoch das
Problem der Dialektik wieder entspringt, so z. B., wenn die Gegenstandsform
, die zugestandenermaßen nur unselbständiges Moment am
Gegenstand ist, selber zum Gegenstand gemacht wird oder wenn der
„immanente Sinn" des Urteilsakts einesteils als transsubjektiv gilt, an-
dernteils aber einem Subjekt überhaupt zugeordnet wird, oder wenn in
der Kritik der Lebensphilosophie die Unmittelbarkeit des Lebens und
die begriffliche Bearbeitung auseinanderfallen. Gegenüber dem Objektivismus
Lasks betont der Verf., Gelten von und Gelten für seien nicht
zu trennen. Die Betroffenheit des Materials durch die Gegenstandsform
außerhalb und abgesehen von der Subjektsphäre bleibe bei Lask ein undurchdringliches
Geheimnis.

Aber auch die neuhegelische Dialektik wird vom Verf. abgewiesen.
Kroners Grundprinzip ist das der „Heautologie" : der leeren Tautologie
wird das in sich dialektische Selbst des absoluten Bewußtseins
entgegengestellt. Aber Kroner kommt nicht zur hegelschen Synthese.
Ein Vergleich der beiderseitigen Kultursysteme ergibt: Kroner verzichtet
darauf, die „Totalität des Geistes" durch die Reflexion zu erreichen.
Dann aber fällt nach Marek auch die absolute Selbstversöhnung Hegels,
und da das System sich nicht mehr durch die vollendete Synthese verifizieren
kann, so wird auch der Ausgangspunkt unsicher: es kann nicht
einsichtig gemacht werden, inwiefern das absolute Selbstbewußtsein des
endlichen überhaupt bedarf, und so erweist sich eben jenes absolute
Bewußtsein selber als eine unbegründete Glaubenssetzung. Das Ergebnis
der bisherigen Analyse lautet: „So ist der Streit zugunsten der
Heterologie zu schlichten, ohne daß diese damit selbst unproblematisch
würde" (I, S. 89).

Dem Typus hegelscher Dialektik entgegengesetzt
ist die existentielle Dialektik, wie sie von der dialektischen
Theologie vertreten wird. Marek richtet
seine Aufmerksamkeit insbesondere auf den „rein objektivistischen
Transzendenzgedanken" der Dialektiker
und ihre damit zusammenhängende Theorie des Paradoxes
. Der reine Objektivismus führe zur „Konzeption
einer ichlosen Welt". Damit aber falle auch die Dialektik
, die Unterredung, die den Widerspruch immer
in die Rolle des Durchgangspunktes stellen müsse.
Anstelle der Dialektik trete vielmehr das „Paradoxe",
und hier setzt nun des Verf.s zentrale Kritik ein: „Der
Verbindung von A und Non-A gegenüber aber bleibt es
bei dem Verdikt der logischen Nichtigkeit. Die Ausschaltung
des schlechthinnigen Widerspruchs ist die
Grenze, die das ,schlicht-logische' Denken jeder Dialektik
setzt" (I, S. 105). „Denkunmögliche Inhalte"
aber „lassen sich in keiner geistigen Haltung vollziehen"
(ebenda). So mündet des Verf. Kritik dahin, zu zeigen,
wie die dialektische Theologie von den Anleihen lebt,
die sie bei den von ihr abgelehnten Gegenpositionen auf
Schritt und Tritt macht. Die von Marek gegebene Kritik
führt damit zu der von Marek nicht mehr behandelten
Frage, welche psychologischen Motive hinter der Theologie
des Paradoxen stehen. Ist die theoretische Antinomie
Verschleierung, intellektualistischer Ausdruck oder
gar eine (sichernde) Rechtfertigung einer existentiellen
Zerrissenheit? Dann ist die Dialektik dieser Theologie
eben nicht existentiell, sondern eine Projektion der eigentlichen
Probleme auf eine unangemessene „theoretische
" Ebene.

T i 11 i c h s Kritik an der dialektischen Theologie
wird von Marek eingehend gewürdigt. Besonderes Gewicht
fällt auf die Idee der konkreten Entscheidung,
] welche gleichermaßen in Erkennen und Handeln eingehe
. Sehr gut charakterisiert der Verf. die Schelling-
sche Linie bei Tillich: die „Idee" selber ist dynamisch,
| in sich dialektisch, lebendig, wird Fleisch. Beide Mo-
: mente, die Entscheidung und die metaphysische Fun-